In dieser Übersicht erklären wir, wie Unternehmer gegen unzulässige Bewertungen im Internet rechtlich vorgehen können. Neben Antworten auf häufige Fragen finden Sie hier zahlreiche rechtliche Tipps, Gerichtsurteile und Praxisbeispiele.
Seit über zehn Jahren beraten wir bundesweit Unternehmen in den Bereichen Gewerblicher Rechtsschutz, IT-Recht und Medienrecht.
Inhaltsverzeichnis
I. Bewertungen im Internet – Entscheidungshilfe & Risiko
II. Rechtlicher Rahmen bei Internetbewertungen
1. Wie werden Äußerungen rechtlich beurteilt?
2. Welche Arten von Äußerungen sind rechtlich geschützt?
3. Gelten die Äußerungsrechte unbeschränkt?
4. Kann eine Firma von einer negativen Rezension „verletzt“ werden?
5. Können Mitarbeiter verlangen, dass ihr Name aus Bewertungen gelöscht wird?
6. Generell unzulässige Äußerungen
7. Generell zulässige Äußerungen
8. Was gilt bei Vermischung von Tatsachenbehauptung und Werturteil?
9. Beispiele für Gerichtsverfahren zu Bewertungen
III. Welche Rechtsansprüche bestehen gegen negative Bewertungen?
1. Berichtigung und Löschung
2. Kann man direkt das ganze Bewertungsprofil löschen lassen? (Update)
3. Unterlassung
IV. Wie können Betroffene vorgehen, um Bewertungen zu löschen?
1. Beweissicherung
2. Kontaktaufnahme mit dem bewertenden Nutzer
3. Kontaktaufnahme mit dem Portalbetreiber
4. Was sollte die Meldung an das Portal enthalten? (sog. „Qualifizierter Hinweis“)
5. Warum muss man eine Frist setzen?
6. Was tun, wenn die Löschaufforderung nicht erfolgreich war?
V. Kann man von einem Bewertungsportal die Wiederveröffentlichung gelöschter Bewertungen verlangen?
VI. Kann man gegen Jamedas Warnhinweise wegen Manipulationsverdacht vorgehen?
VII. Kann man gegen künstlich generierte / gekaufte Bewertungen vorgehen?
VIII. Kann man die Abgabe von Bewertungen per AGB beschränken oder verbieten?
IX. Kann man Bewertungen bei einem Unternehmenswechsel mitnehmen?
I. Bewertungen im Internet – Entscheidungshilfe & Risiko
Die meisten Kunden informieren sich heute über ihren Vertragspartner vorab im Internet. Das Netz gewinnt damit für die Meinungsbildung der Kunden über ein Unternehmen immer größeren Einfluss. Neben den Bewertungsrubriken auf den Seiten verschiedener Verkaufsportale wie eBay oder Amazon finden sich mittlerweile unzählige, oft branchenspezifische Bewertungsportale. Einige der beliebtesten Bewertungsportale sind:
- Jameda, Sanego & Docinsider (Bewertungsportale für Ärzte)
- Kununu & XING (Bewertungsportale für Arbeitgeber)
- Yelp (Bewertungsportal im Bereich Unterhaltung, Geschäfte, Restaurants, u.v.m.)
- Golocal (Empfehlungsportal in verschiedenen Bereichen wie Dienstleistungen, Restaurants, o.ä.)
- Holidaycheck, HRS & Tripadvisor (Hotel- & Reisebewertungen)
- Google (allgemeine Nutzerbewertungen, App-Bewertungen)
Eine ungerechtfertigte schlechte Bewertung im Internet und die damit einhergehende rufschädigende Wirkung kann zu erheblichen finanziellen Einbußen für das bewertete Unternehmen führen. Das gilt insbesondere, wenn es soweit kommt, dass sich Bestandskunden abwenden oder potentielle Neukunden lieber einen Vertrag mit einem Konkurrenten abschließen.
Die folgenden rechtlichen Erklärungen gelten grundsätzlich auch für soziale Netzwerke wie Facebook (vgl. LG Köln, Urteil vom 30.09.2015, Az. 28 O 423/12) und Mikrobloggingdienste wie Twitter (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 01.04.2015, Az. 4 U 1296/14). Sie gelten ebenso für unwahre Erfahrungsberichte und unrichtige Beiträge in Foren (vgl. BGH, Urteil vom 27.03.2007, Az. VI ZR 101/06), Blogs (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 25.10.2011, Az. VI ZR 93/10 – Blog-Eintrag) und RSS-Feeds (vgl. BGH, Urteil vom 27.03.2012, Az. VI ZR 144/11 – RSS-Feeds).
II. Rechtlicher Rahmen bei Internetbewertungen
1. Wie werden Äußerungen rechtlich beurteilt?
Wie eine Äußerung rechtlich zu bewerten ist, hängt von vielen Faktoren ab und ist immer anhand einer Gesamtschau der konkreten Umstände im Einzelfall zu beurteilen. Unter anderem sind zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 02.04.2015, Az. 3 StR 197/14; BGH, Beschluss vom 07.02.2002, Az. 3 StR 446/01):
- der genaue und vollständige Wortlaut der Äußerung
- der sprachliche Kontext
- die Begleitumstände
- wie ein objektives Publikum die Äußerung verstehen muss
2. Welche Arten von Äußerungen sind rechtlich geschützt?
Wichtig ist es zunächst, den Unterschied zwischen Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen zu verstehen, da diese rechtlich unterschiedlich behandelt werden.
Faustregel: So werden Äußerungen rechtlich abgegrenzt
- Tatsachenbehauptungen sind innere und äußere Vorgänge, die zumindest theoretisch dem Beweis zugänglich sind und sich damit als wahr oder unwahr feststellen lassen. Wahre Tatsachenbehauptungen fallen unter die Meinungsäußerungsfreiheit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.10.1991, 1 BvR 1555/88; BVerfG, Beschluss vom 13.04.1994, 1 BvR 23/94; st. Rspr). und müssen abgesehen von Extremfällen (z.B. intime Details) hingenommen werden. Falsche Tatsachenbehauptungen verdienen den Schutz von Art. 5 GG nicht (vgl. AG München zu Verkäuferbewertung bei eBay; BVerfG, Beschluss vom 03.06.1980, Az. 1 BvR 797/78). Gegen falsche Tatsachenbehauptungen kann man vergleichsweise leicht vorgehen, da der Verfasser der Bewertung beweisen muss, dass seine Tatsachenbehauptung zutreffend ist.
- Meinungsäußerungen sind subjektive Ansichten bzw. Auffassungen, die durch das Element der Stellungnahme gekennzeichnet und nicht dem Beweis zugänglich sind. Art. 5 Abs. 1 GG schützt Meinungsäußerungen selbst dann, wenn sie hart, ausfällig oder polemisch sind. Grenze sind Formalbeleidigungen („A****“), Schmähkritik („Geht es – wenn auch bloß entfernt – noch um die Sache oder nur noch um die Diffamierung einer Person?“) und Angriffe auf die Menschenwürde, die nicht hingenommen werden müssen.
- Voraussetzung für eine zutreffende Einordnung als Tatsachenbehauptung bzw. Meinungsäußerung ist die Ermittlung des Aussagegehalts. Dabei darf nicht isoliert auf einzelne Sätze abgestellt werden. Stattdessen muss der gesamte Aussagegehalt gedeutet werden. Maßgeblich ist weder die subjektive Intention des Bewertenden noch das Verständnis des Bewerteten. Entscheidend ist der objektive Sinn der Äußerung aus Sicht eines unvoreingenommenen Durchschnittslesers.
Negative Rezensionen mit einem „-“ Minuszeichen stellen ein Werturteil dar (vgl. OLG München, Urteil vom 28.10.2014, Az. 18 U 1022/14). Gleiches gilt für Bewertungen mit Sternchen oder Schulnoten (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2009, Az. VI ZR 196/08; LG München: Arztbewertung mit Schulnoten von Meinungsfreiheit gedeckt).
Die Ein-Sterne-Bewertung nebst Kommentar (hier: „nicht empfehlenswert“ und „kritisch: Professionalität“ zur Leistung eines Rechtsanwalts) auf einer Internetplattform stellt ein Werturteil dar, das nach dem objektiven Sinngehalt einen Tatsachenkern aufweist, wonach die Bewertung auf Erfahrungen aus einem mandatsbezogenen geschäftlichen Kontakt beruht (OLG Stuttgart, Urteil vom 31.08.2022, Az. 4 U 17/22).
Umstritten ist die Zulässigkeit von ohne Begründungstext verfassten Sternebewertungen, wenn unklar bleibt, ob der Bewertende Kunde des Unternehmen war bzw. ist. Das Landgericht Augsburg stufte eine solche unkommentierte 1-Sterne-Bewertung eines Arztes als erlaubte Meinungsäußerung ein. Mit der Vergabe des Sterns sei keine Aussage darüber getroffen worden, welche konkreten Leistungen oder Personen der Klinik gemeint sind. Deshalb sei die Bewertung auch nicht so zu verstehen, dass der Nutzer die Bewertung als Patient des Klägers oder seiner Klinik abgegeben habe (LG Augsburg, Urteil vom 17.07.2017, Az. 022 O 560/17 in Bezug auf 1-Sterne-Bewertung bei Google Maps). Die herrschende Meinung vertritt die genau entgegengesetzte Auffassung. Beispielsweise folgerte das Landgericht Hamburg aus einer unkommentierten 1-Sterne-Bewertung, dass der Bewertende kein Kunde des bewerteten Unternehmen war. Auf dieser Grundlage wurde Google als verklagte Bewertungsplattform verurteilt, die negative Bewertung zu löschen. Google hatte zuvor auf eine Beanstandung des bewerteten Unternehmens nicht substantiell reagiert. Insbesondere hatte es keine Nachforschungen angestellt, ob der Bewertende Kunde des Unternehmens war oder nicht (LG Hamburg, Urteil vom 12.01.2018, Az. 324 O 63/17). Auf Klage eines Arztes wurde Google in einem weiteren Fall vom Landgericht Lübeck zur Unterlassung und Löschung einer 1-Sterne-Bewertung bei Google Maps verurteilt. Auch hier hatte Google die Löschung der Bewertung zuvor außergerichtlich abgelehnt. Das Gericht sah in der schlechten Bewertung jedoch eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arztes, weil die Identität des Bewertenden offen blieb (LG Lübeck, Urteil 13.06.2018, Az. 9 O 59/17). So verfuhr auch das Landgericht Frankfurt in einem Prozess gegen Google, in dem die klagende Ärztin nicht nur einen Behandlungstermin bestritten hatte, sondern auch, jemals mit den Bewertenden „beruflich in Kontakt getreten“ zu sein (LG Frankfurt, Urteil vom 13.09.2018, Az. 2-03 O 123-17). Wegen nicht nachgewiesenem Kontakt zum Praxispersonal verurteilte das Landgericht Meiningen die Bewertungsplattform Jameda zur Unterlassung (LG Meiningen, Urteil vom 15.05.2019, Az. (117) 2 O 274/19).
In Österreich entschied der Oberste Gerichtshof, dass eine Lehrerbewertungs-App mit Sterne-Bewertungen zulässig sei. Meinungsäußerungsfreiheit und Informationsfreiheit von Schülerinnen und Schülern würden auch anonym abgegebene Bewertungen schützen. Davon umfasst sei die Veröffentlichung des Namens und der Durchschnittsbewertungen eines Lehrers (Oberster Gerichtshof Österreich, Urteil vom 02.02.2022, Az. 6 Ob 129/21w).
Tipp: Vertiefende Informationen finden Sie in unseren FAQ zur Abgrenzung von Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen.
3. Gelten die Äußerungsrechte unbeschränkt?
Nein. Ansonsten könnte man über jede Person alles im Internet behaupten, ohne dass sich der Betroffene dagegen wehren kann. Deswegen gilt aus Sicht des Betroffenen:
„Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt“ (BGH, Urteil vom 01.03.2016, Az. VI ZR 34/15 – jameda.de II).
Es muss also stets überprüft werden, welche Interessen im jeweiligen Einzelfall stärker wiegen. Bei Internetbewertungen stehen sich typischerweise die folgenden beiden Rechtspositionen gegenüber, die gegeneinander abzuwägen sind:
- das Recht des von der Äußerung Betroffenen auf Schutz seiner Persönlichkeit sowie Achtung seines Privatlebens (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, ggf. i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG; Art. 8 EMRK) sowie
- das Recht des Nutzers und des Betreibers auf Meinungs- und Medienfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK)
4. Kann eine Firma von einer negativen Rezension „verletzt“ werden?
Ja. Handelt es sich um eine juristische Person, kann diese sich auf den durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten sozialen Geltungsanspruch berufen, wenn die Äußerung dazu geeignet ist, das Ansehen des Unternehmens in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteil vom 28.07.2015, Az. VI ZR 340/14). Falsche Bewertungen können auch eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellen (Art. 12 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG). Dies ist möglich, wenn die wirtschaftliche Stellung des Unternehmens
„durch inhaltlich unrichtige Informationen oder Wertungen, die auf sachfremden Erwägungen beruhen oder herabsetzend formuliert sind, geschwächt wird und andere Marktteilnehmer deshalb von Geschäften mit ihm abgehalten werden.“ (BGH, Urteil vom 16.12.2014, Az. VI ZR 39/14 – Unternehmenskritik)
5. Können Mitarbeiter verlangen, dass ihr Name aus Bewertungen gelöscht wird?
In einem vor dem Oberlandesgericht Hamm verhandelten Fall hatte die Mitarbeiterin eines Cafés von Google verlangt, ihren Namen aus der folgenden Onlinebewertung des Cafés zu löschen:
„Ich bin hier immer zum Frühstücken und sonst auch immer zufrieden und finde das Team sehr nett aber wurde heute so unfreundlich „bedient von Frau (S… ?)! Nicht schön in einer Bäckerei zu arbeiten aber Menschen derart unfreundlich zu behandeln.“
Die Klage der Mitarbeiterin gegen Google hatte nach Abwägung aller relevanten Grundrechte in diesem Fall keinen Erfolg, weil die Bewertung vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt war. Je nach Lage des Falls kann sich aber ein abweichendes Bild ergeben. Nutzen Sie ggf. unsere kostenlose Erstberatung.
6. Generell unzulässige Äußerungen
Generell unzulässig und damit angreifbar sind Äußerungen, wenn sie, ohne sich tatsächlich mit der Sache auseinanderzusetzen, entweder
- eine Formalbeleidigung oder
- eine unsachliche Schmähkritik oder
- einen Angriff auf die Menschenwürde
enthalten (vgl. BGH, Urteil vom 05.12.2006, Az. VI ZR 45/05 – Terroristentochter). Die Interessen der Betroffenen müssen hier ausnahmsweise nicht gegeneinander abgewogen werden. Aufgrund des fehlenden Sachbezugs steht die bloße Ehrbeeinträchtigung des Betroffenen im Vordergrund und gerade nicht die Bewertung einer Leistung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.06.2016, Az. 1 BvR 2646/15).
Tipp: Vertiefende Informationen zu stets unzulässigen Meinungsäußerungen finden Sie in unseren FAQ zur Abgrenzung von Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen.
7. Generell zulässige Äußerungen
Alle anderen Äußerungen, die sich im Rahmen der Sozialsphäre bewegen, sind generell zulässig. Sie können nur dann erfolgreich angegriffen werden, wenn sie sich z.B. durch Stigmatisierung oder Prangerwirkung schwerwiegend auf das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen auswirken und der so zu befürchtende Schaden „außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht“ (BVerfG, Urteil vom 29.06.2016, Az. 1 BvR 3487/14). Das liegt bei Äußerungen, die die berufliche Tätigkeit betreffen daran, dass diese auf eine breitere Öffentlichkeit wirkt. Denn jeder, der sich am Wirtschaftsleben beteiligt, setzt sich zwangsläufig der Kritik an seinen Leistungen aus (für Lehrerbewertungen: BGH, Urteil vom 23.06.2009, Az. VI ZR 196/08).
Es muss außerdem ein öffentliches Informationsinteresse an einer solchen Bewertung für die Meinungsbildung potentieller Kunden und Geschäftspartner bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 21.11.2006, Az. VI ZR 259/05). Eine Namensnennung ist dabei notwendiger Bestandteil, da die Information ohne Identifikation nutzlos wäre.
Wichtig: Das öffentliche Interesse verliert nicht dadurch an Gewicht, dass die Bewertung erst einige Jahre später verfasst oder veröffentlicht wird (hier: drei Jahre), solange die geschilderten Ereignisse so dargestellt werden, dass sie sich zeitlich zuordnen lassen (vgl. BVerfG, Urteil vom 29.06.2016, Az. 1 BvR 3487/14).
Beispiele: Ein Unternehmer/Firmeninhaber kann nicht gegen jede ihm unliebsame Berichterstattung oder Bewertung vorgehen. Eine harsche Kritik muss er sich als Marktteilnehmer grundsätzlich gefallen lassen, auch wenn sie polemisch, ungerecht oder überzogen ist (vgl. BGH, Urteil vom 29.01.2002, Az. VI ZR 20/01; OLG Stuttgart, Urteil vom 11.09.2013, Az. 4 U 88/13). Gleiches gilt für die „Bewertung der gewerblichen Leistung eines Wirtschaftsunternehmens“ (BGH, Urteil vom 16.12.2014, Az. VI ZR 39/14) oder die Beurteilung der Zahlungsmoral (vgl. BVerfG, Urteil vom 29.06.2016, Az. 1 BvR 3487/14).
8. Was gilt bei Vermischung von Tatsachenbehauptung und Werturteil?
Ein Werturteil, das auf einer unrichtigen Tatsachenbehauptung basiert, kann und sollte angegriffen werden. Eine derartige Konstellation liegt beispielsweise dann vor, wenn der Bewertende gar kein Patient des bewerteten Arztes ist oder war und damit der behauptete Behandlungskontakt nicht bestanden hat (vgl. BGH, Urteil vom 01.03.2016, Az. VI ZR 34/15), wenn er entgegen seiner Behauptung nie Arbeitnehmer des von ihm bewerteten Arbeitgebers war oder schlicht nie Kunde des Hotels.
Beziehen sich das Werturteil und die unwahre Tatsachenbehauptung untrennbar aufeinander, spiegelt sich also die falsche Tatsachenbehauptung in dem Werturteil (z.B. bei Vergabe der Anzahl an Sternchen und begleitendem Kommentar), so sind Tatsachenbehauptung und Werturteil gemeinsam angreifbar (vgl. OLG München, Urteil vom 28.10.2014, Az. 18 U 1022/14).
Unrichtige Tatsachenbehauptungen eignen sich nämlich nicht für die öffentliche Meinungsbildung und entziehen einer darauf fußenden Meinungsäußerung jegliche Grundlage (vgl. BGH, Urteil vom 01.03.2016, Az. VI ZR 34/15; auch OLG München, Urteil vom 28.10.2014, Az. 18 U 1022/14 unter Bezug auf BVerfG, Urteil vom 22.06.1982, Az. 1 BvR 1376/79). Sie müssen nicht hingenommen werden.
Eine kleine Einschränkung ist zu beachten: Die beanstandete Tatsache darf nicht komplett unbedeutend sein und muss den Betroffenen in seinem sozialen Geltungsanspruch berühren (vgl. BGH, Urteil vom 15.11.2005, Az. VI ZR 274/04). Kontrollfragen: 1. Ist die Behauptung der falschen Tatsache x schlimmer als die Behauptung der wahren Tatsache y? 2. Verdreht oder verfälscht sich dadurch der Aussagegehalt?
Derjenige, der eine Tatsache behauptet, hat diese im Streitfall übrigens zu belegen (vgl. LG Berlin, Urteil vom 21.11.2014, Az. 27 O 423/13). Hier lassen sich leicht Angriffspunkte finden.
9. Beispiele für Gerichtsverfahren zu Bewertungen
a. LG Frankfurt, Beschluss vom 18.10.2018, Az. 2-03 O 375/18
„Super Service! Keine Reaktion, Drohung, Beleidigung und Erpressung! Da wir nicht bereit sind unsere Bewertung zu löschen müssen wir jetzt anderweitig bestellen!!! Unsere Bestellung bearbeitet … nicht! 07.09.18“
Die Äußerung „Keine Reaktion“ war hier eine zulässige Tatsachenbehauptung, weil der Verkäufer weder per Telefon erreichbar war bzw. Rückrufe nicht erfolgten noch auf mehrere E-Mails reagiert hatte. Die Begriffe „Drohung“ und „Erpressung“ wurden als erlaubte Meinungsäußerungen mit Tatsachenkern eingestuft, weil ein Mitarbeiter der Händlerin bei der Käuferin angerufen und geäußert hatte, dass die sofortige Löschung der schlechten Bewertung erwartet und die Ware nur verschickt werde, wenn die Käuferin die Bewertung herausnehme. Bei der Äußerung „Beleidigung“ handelte es sich um eine zulässige Meinungsäußerung, weil der Händler die Käuferin in einem außergerichtlichen Schreiben als „bösartigen Menschen mit sehr fraglichen Schädigungsabsichten“, „unverschämt“ und „unerfreuliche Menschen“ bezeichnet hatte (LG Frankfurt, Beschluss vom 18.10.2018, Az. 2-03 O 375/18, Streitwert: 7.000 Euro).
b. LG Hamburg, Urteil vom 03.05.2019, Az. 324 O 358/18
Die nachfolgenden Äußerungen im Rahmen einer Bewertung wurden vom Landgericht Hamburg als Meinungsäußerungen eingestuft, da sie sich nicht an den Kriterien wahr oder unwahr messen lassen und keine Schmähkritik vorliege:
„Als Geschäftspartner ist absolute Vorsicht zu verwalten. Mies und hinterlistig. Versteckt sich hinter seinem Telefon. Mit dieser Firma Geschäfte zu machen rate ich ab.“
„Mieser und hinterlistiger Geschäftspartner, den man nicht vertrauen kann. Telefonisch nicht erreichbar. Hier rate ich dringend ab Geschäfte zu machen Äußerst bedenkliches Geschäftsgebaren.“
sowie
„Diese Firma kann ich nicht empfehlen.“
Allenfalls für die Äußerung „Telefonisch nicht erreichbar“ könnte laut LG Hamburg etwas anderes gelten. Hierauf kam es im Prozess aber nicht an, weil diese Äußerung nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme (Anrufprotokolle) wahr war. Der Streitwert wurde auf 10.000 Euro festgesetzt (LG Hamburg, Urteil vom 03.05.2019, Az. 324 O 358/18).
c. OLG München, Urteil vom 28.10.2014, Az. 18 U 1022/14
„Die Gewinde mussten wegen Schwergängigkeit nachgeschnitten werden.“
Die negative Bewertung „Die Gewinde mussten wegen Schwergängigkeit nachgeschnitten werden.“ wurde vom OLG München als Tatsachenbehauptungen eingestuft, weil sie den Eindruck eines Produktmangels erwecke, der tatsächlich nicht vorlag. Da der Bewertende nicht nachweisen konnte, dass seine Tatsachenbehauptung wahr ist, wurde er zur Unterlassung und Beseitigung verurteilt.
d. OLG Celle, Beschluss vom 21.06.2024, Az. 5 W 62/24
Die (kritische) Bewertung eines Unternehmens, das im direkten Kontakt mit Kunden steht, ist rechtswidrig, wenn mit der Bewertung der – unzutreffende – Eindruck vermittelt wird, als habe der Bewertende das Unternehmen als Kunde aufgesucht, es sich bei dem Bewertenden tatsächlich aber um einen ehemaligen Mitarbeiter des Unternehmens handelt.
III. Welche Rechtsansprüche bestehen gegen negative Bewertungen?
Ansprüche gegen den Portalbetreiber oder den Bewertenden können sich unter anderem aus § 823 Abs. 1 BGB, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 185 ff. StGB oder § 824 BGB ergeben. Die konkrete Beurteilung hängt vom Einzelfall ab. § 824 BGB lässt sich zum Beispiel nur auf Tatsachen anwenden, nicht aber auf Meinungsäußerungen.
Bewertet ein Unternehmen seine Wettbewerber negativ, z.B. mit einem Stern, kommt eine unzulässige Herabsetzung nach § 4 Nr. 1 UWG in Betracht. Ist der geschäftliche Zweck der Bewertung nicht erkennbar, liegt zusätzlich ein Verstoß gegen § 5a Abs. 6 UWG vor (vgl. LG Köln, Beschluss vom 09.07.2018, Az. 84 O 164/18).
Die wichtigsten Ansprüche auf Berichtigung, Löschung & Unterlassung werden nachfolgend erörtert und zu beachtende Unterschiede beim Vorgehen gegen Portalbetreiber herausgestellt. Weitere Informationen und Erläuterungen finden Sie in unserer Übersicht zu Ansprüchen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen.
1. Berichtigung und Löschung
Gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog besteht ein Anspruch auf Beseitigung eines durch die unwahren Tatsachenbehauptungen geschaffenen Zustands fortdauernder Rufbeeinträchtigung (vgl. BGH, Urteil vom 28.07.2015, Az. VI ZR 340/14). Dieser Anspruch umfasst neben einem Berichtigungsanspruch (vgl. BGH, Urteil vom 18.11.2014, Az. VI ZR 76/14 – Chefjustiziar) auch einen Anspruch auf Löschung bzw. Hinwirken auf Löschung der entsprechenden Tatsachenbehauptungen (vgl. BGH, Urteil vom 28.07.2015, Az. VI ZR 340/14; BGH, Urteil vom 18.09.2014, Az. I ZR 76/13 – CT-Paradies).
Achtung: Kann der Betroffene selbst in einem Bewertungssystem im Internet eine für jeden Nutzer einsehbare klarstellende Erwiderung zu dem negativen Kommentar verfassen (wie z.B. bei eBay) und seine Rechte dadurch vorerst wahren, besteht in der Regel kein Bedürfnis mehr für vorläufigen Rechtsschutz per einstweiliger Verfügung (vgl. OLG Köln, Urteil vom 08.03.2012, Az. I-15 U 193/11; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.03.2011, Az. I-15 W 14/11). In einem einstweiligen Verfügungsverfahren entschied das Oberlandesgericht Bamberg, dass von einer gelöschten, nicht mehr im Internet auffindbaren negativen Kundenbewertung grundsätzlich keine Gefahr für die Rechtsverwirklichung der Verfügungsklägerin im Hauptsacheverfahren ausgehe. Dies gelte umso mehr, wenn der Verfügungsbeklagte durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht habe, dass er alles ihm Mögliche getan hatte, um eine – von ihm nicht beabsichtigte – erneute Veröffentlichung der Bewertung zu unterbinden, nämlich in dem er alle von ihm verfassten Bewertungen gelöscht, seine Tätigkeit als „Local Guide“ beendet und das von ihm in diesem Rahmen und zur Erstellung der Bewertungen verwendete Google-Konto gelöscht hatte. Auf dieser Grundlage verneinte das Gericht die nötige Eilbedürftigkeit (OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 13.02.2024, Az. 6 U 42/23 e). Diese Entscheidung ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Für gewöhnlich kann die Wiederholungsgefahr nur durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung beseitigt werden, die im Fall nicht abgegeben worden war.
Andere Gerichte erlauben einstweilige Verfügungen ohne Einschränkungen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.11.2018, Az. 3 W 2064/18). Voraussetzung ist aber wie bei allen einstweilen Verfügungen, dass die Sache eilbedürftig ist. Wartet der Betroffene mit der Einreichung des Antrags auf Erlass der einstweiligen Verfügung länger als einen Monat seit Kenntnis der Bewertung ab, weisen viele Gerichte den Verfügungsantrag zurück und verweisen auf das normale Klageverfahren.
2. Kann man direkt das ganze Bewertungsprofil löschen lassen? (Update)
Nein, ein Anspruch auf Löschung des Profils aus einem Bewertungsportal besteht grundsätzlich nicht.
- Zur früheren Rechtslage vor Geltung der DSGVO entschied der BGH, dass personenbezogene Daten wie z.B. Name und Anschrift eines Arztes eigentlich nach § 35 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BDSG zu löschen waren, wenn ihre Speicherung nach § 4 Abs. 1 BDSG unzulässig war und der Betroffene nicht eingewilligt hatte. Im Fall von Bewertungsportalen bewegte sich die Nutzung der Daten jedoch grundsätzlich in dem von § 29 BDSG erlaubten Rahmen. Das Recht der Bewertungsplattformen auf Kommunikationsfreiheit überwog gegenüber dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen (vgl. BGH, Urteil vom 23.09.2014, Az. VI ZR 358/13 – Ärztebewertung II; BGH, Urteil vom 23.06.2009, Az. VI ZR 196/08). Auch in Bezug auf Unternehmen fiel die Abwägung zu Lasten des bewerteten Unternehmens und zu Gunsten der Kommunikationsfreiheit aus (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 18.01.2012, Az. 5 U 51/11). So mussten Ärzte z.B. ein Praxisprofil auf dem Ärztebewertungsportal Jameda einschließlich der dortigen Bewertungen grundsätzlich dulden.
- Unter Geltung der DSGVO bejahten mehrere Gerichte zumindest in Bezug auf die Ärztebewertungsplattform Jameda einen Anspruch der klagenden Ärzte auf Löschung ihrer Profile (LG Bonn, Urteil vom 28.03.2019, Az. 18 O 143/18; LG Bonn, Urteil vom 29.03.2019, Az. 9 O 157/18; LG Wuppertal, Urteil von 29.03.2019, Az. 17 O 178/18; Hinweis: Jameda hat angeblich in allen Verfahren Berufung eingelegt). In zwei Berufungsverfahren verbot auch das OLG Köln mehrere umsatzrelevante Funktionen bzw. Darstellungsvarianten von Jameda, da die Plattform Premiumkunden diverse verdeckte Vorteile im Vergleich zu Basiskunden gewähre. Die Revision wurde zugelassen.
- Updates: Der Bundesgerichtshof hat Klagen von zwei Ärzten abgewiesen, die auf Löschung ihrer kostenlosen Basisprofile bei Jameda geklagt hatten. Es gebe keinen generellen Anspruch auf Gleichbehandlung zwischen zahlenden und nicht zahlenden Kunden auf dem Portal. Basiskunden würden in der dem Urteil zugrundeliegenden Ausgestaltung von Jameda nicht unzulässig benachteiligt. Im Ergebnis müssen Ärzte es hinnehmen, auf Plattformen wie Jameda gelistet zu sein. Das öffentliche Interesse im Sinne einer freien Arztwahl sowie die Kommunikationsfreiheit sei höher zu bewerten als die persönlichkeits- und berufsrechtlichen Interessen der Ärzte (BGH, Urteile vom 13.10.2021, Az. VI ZR 488/19 und VI ZR 489/19 – Ärztebewertungsportal „JAMEDA“). Ein DSGVO-Löschungsanspruch gegen Jameda aus Art. 17 DSGVO scheidet aus (vgl. BGH, Urteil vom 15.02.2022, Az. VI ZR 692/20). Jameda darf allgemein zugängliche Arztdaten auch ohne Zustimmung der Betroffenen auf ihrer Plattform speichern, weil ein Fall des berechtigten Interesses nach Art. 6 Abs.1 f) DSGVO vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 13.12.2022, Az. VI ZR 60/21).
- Etwas anderes gilt, wenn eine Bewertungsplattform ihre Stellung als neutraler Informationsvermittler verlässt. Juristischer Anknüpfungspunkt ist nicht die Nutzung allgemein zugänglicher Daten der Ärzte, um damit Profile anzulegen und Bewertungen zu ermöglichen, was für sich genommen zulässig ist. Kritikpunkt ist die Instrumentalisierung dieser Daten, um Ärzte zum Abschluss kostenpflichtiger Premiumpakete zu drängen.
3. Unterlassung
Gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog besteht ein Anspruch auf Unterlassung weiterer Störungen. Der Portalbetreiber kann sich nicht auf eine Einschränkung der Verantwortlichkeit nach § 10 TMG berufen, da dieser auf Unterlassungsansprüche keine Anwendung findet (vgl. BGH, Urteil vom 27.03.2012, Az. VI ZR 144/11 – RSS-Feeds).
Er kann daher je nach Sachverhalt als unmittelbarer oder mittelbarer Störer in die Pflicht genommen werden. Eine Inanspruchnahme des Portalbetreibers ist auch dann möglich, wenn dem Bewerteten die wahre Identität des Bewertenden bereits bekannt ist (vgl. BGH, Urteil vom 27.03.2007, Az. VI ZR 101/06).
Unterschied zwischen unmittelbarem Störer und mittelbarem Störer
Der Portalbetreiber haftet als unmittelbarer Störer bzw. Täter, wenn er die in Rede stehende Bewertung selbst verfasst oder – praktisch wichtiger – sich zu Eigen gemacht hat (BGH, Urteil vom 27.03.2012, Az. VI ZR 144/11 – RSS-Feeds; BGH, Urteil vom 25.10.2011, Az. VI ZR 93/10 – Blog-Eintrag).
Von einem Zu-Eigen-Machen ist auszugehen, wenn der Portalbetreiber nach außen erkennbar die inhaltliche Verantwortung für die auf seiner Internetseite veröffentlichten Inhalte übernommen hat, was aus Sicht eines verständigen Durchschnittsnutzers auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände zu beurteilen ist. Dabei ist bei der Annahme einer Identifikation mit fremden Inhalten grundsätzlich Zurückhaltung geboten (vgl. BGH, Urteil vom 01.03.2016, Az. VI ZR 34/15 – jameda.de II). Verteidigt sich die Plattform im Rahmen einer Auseinandersetzung mit dem Bewertenden durch juristische Stellungnahmen, stellt dies kein Zu-Eigen-Machen dar (LG Frankfurt, Urteil vom 13.09.2018, Az. 2-03 O 123-17 mit Verweis auf: OLG München, Urteil vom 29.09.2011, Az. 29 U 1747/11).
Haftet der Provider nicht als unmittelbarer Störer, ist zu prüfen, ob er als mittelbarer Störer in Anspruch genommen werden kann. Grundsätzlich ist als mittelbarer Störer verpflichtet, wer, ohne unmittelbarer Störer zu sein, in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Beeinträchtigung des Rechts beiträgt.
Wird eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten behauptet, liegt das Problem darin, dass sich eine Rechtsverletzung häufig nicht ohne weiteres feststellen lässt, weil sie eine Abwägung zwischen dem Recht des Betroffenen auf Schutz seiner Persönlichkeit, sozialen Anerkennung und (Berufs-)Ehre aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG (auch in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG), Art. 8 Abs. 1 EMRK, dem durch Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK geschützten Recht des Providers auf Meinungsfreiheit und Kommunikationsfreiheit sowie dem Recht des Bewertenden auf Meinungsfreiheit erfordert (vertiefende Informationen zur Abgrenzung bieten unsere FAQ zu Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen).
Portalbetreiber, Plattformen und vergleichbare Provider sind als sog. Host-Provider zwar grundsätzlich nicht verpflichtet, fremde Bewertungen proaktiv vor Veröffentlichung auf eventuelle Rechtsverletzungen zu überprüfen. Der Provider ist aber verantwortlich, sobald er Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt. Wird er mit der Beanstandung eines Betroffenen konfrontiert, die so konkret gefasst ist, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptung des Betroffenen unschwer bejaht werden kann, ist eine Ermittlung und Bewertung des gesamten Sachverhalts unter Berücksichtigung einer etwaigen Stellungnahme des für den beanstandeten Beitrag Verantwortlichen erforderlich. Dies gilt auch dann, wenn die Zulässigkeit einer Meinungsäußerung im Streit steht (vgl. BGH, Urteil vom 01.03.2016, Az. VI ZR 34/15 – jameda.de II).
Entfernt die Plattform die Bewertung nach Erhalt einer Beanstandung unverzüglich, besteht mangels Verletzung einer Handlungspflicht kein Unterlassungsanspruch gegen sie und damit auch kein Anspruch auf Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.12.2015, Az. I-16 U 2/15; OLG Stuttgart, Beschluss vom 22.10.2013, Az. 4 W 78/13).
Es besteht außerdem kein Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung der entsprechenden Daten nach §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB analog, i.V.m. § 4 Abs. 1 BDSG durch deren Übermittlung an die abfragenden Nutzer. Diese ist vielmehr nach § 29 Abs. 2 Nr. 1 a und 2 BDSG zulässig (BGH, Urteil vom 23.06.2009, Az. VI ZR 196/08 im Falle der Lehrerbewertung; bestätigt durch BGH, Urteil vom 23.09.2014, Az. VI ZR 358/13 – Ärztebewertung II).
Handelt es sich um ein Portal, auf dem der Betreiber auch eigene Dienstleistungen anbietet, ist er aufgrund dieser „geschäftlichen Handlung“ nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG als Mitbewerber im Sinne des §§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG anzusehen. Entfernt er nach einer Meldung die beanstandete Tatsachenbehauptung, besteht auch in solchen Fällen im Regelfall kein Unterlassungsanspruch – weder nach § 4 Nr. 2 UWG (§ 4 Nr. 8 UWG a.F.) wegen unlauterer Anschwärzung noch nach § 3 UWG wegen der Verletzung einer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht (vgl. BGH, Urteil vom 19.03.2015, Az. I ZR 94/13 – Hotelbewertungsportal).
Sofern sich sich die negative Bewertung im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 GG bewegt, scheidet auch ein Anspruch gem. § 4 Nr. 1 UWG i.V.m. § 8 UWG aus (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 11.09.2013, Az. 4 U 88/13).
Wir haben eine ausführliche Übersicht zum Umgang von Plattformen mit Contentbeschwerden verfasst, die das abgestufte Prüfungsverfahren des BGH erklärt.
IV. Wie können Betroffene vorgehen, um Bewertungen zu löschen?
Seit über zehn Jahren beraten wir bundesweit Unternehmen in den Bereichen Gewerblicher Rechtsschutz, IT-Recht und Medienrecht.
Um möglichst schnell reagieren zu können, empfiehlt es sich, einschlägige Plattformen regelmäßig auf negative Bewertungen zu überprüfen.
1. Beweissicherung
Entdeckt man eine unzulässige Bewertung, sollte man zunächst Informationen sammeln. Denn um sinnvoll gegen den Beitrag vorgehen zu können, muss man in der Lage sein, dessen tatsächliche Existenz gegenüber Dritten konkret darzulegen und ggf. (vor Gericht) zu beweisen. Es ist daher sinnvoll, zunächst
- einen Screenshot oder Ausdruck der Internetseite mit Datumsangabe und vollständigem Text der Bewertung anzufertigen (Tipp: Erstellen Sie Screenshots mit der atomshot Extension für den Chrome Browser),
- den genauen Link des Beitrages aus dem Adressfenster zu kopieren und
- (soweit vorhanden) den Namen des bewertenden Nutzers und das Erstelldatum des Beitrags zu notieren.
Mit diesen Informationen besteht die Möglichkeit, den Beitrag sicher zu identifizieren, ihn leicht wiederzufinden sowie dessen genauen Wortlaut zu belegen. Der Wortlaut ist wichtig, um die Äußerung juristisch beurteilen zu können.
2. Kontaktaufnahme mit dem bewertenden Nutzer
- Ist Ihnen Name und Anschrift des Verfassers der Bewertung bekannt, können Sie ihn selbst oder mit Unterstützung eines Rechtsanwalts abmahnen.
- Ist Ihnen Name und Anschrift des Verfassers der Bewertung nicht bekannt, wird es schwer, Ansprüche unmittelbar gegen den bewertenden Nutzer durchzusetzen. Bewertungsportale müssen anonyme Bewertungen bzw. Bewertungen unter Pseudonym ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist (§ 19 Abs. 2 TTDSG). In Bereichen mit sensiblen Kundenbeziehungen (wie z.B. im Gesundheitsbereich) bestünde ansonsten die unerwünschte Gefahr der Selbstzensur. Häufig verwenden Nutzer auch sonst keinen Klarnamen im Internet. Das erschwert es Bewerteten, direkt an Nutzer heranzutreten, die eine negative Rezension abgegeben haben (vgl. BGH, Urteil vom 09.08.2022, Az. VR ZR 1244/20).
3. Kontaktaufnahme mit dem Portalbetreiber
Sind die Möglichkeiten zur Identifikation des bewertenden Nutzers beschränkt, sollte man sich mit den gesammelten Informationen umgehend an den Portalbetreiber wenden und ihn zur Löschung des Beitrages/der negativen Bewertung auffordern. Dabei besteht keine vorrangige Pflicht, zunächst direkt gegen den Verfasser der Bewertung vorzugehen und erst nachrangig gegen das Portal.
Viele Portale bieten für die Beanstandung von Bewertungen die Möglichkeit, den Beitrag bzw. die Bewertung über entsprechende Schaltflächen oder Kontaktformulare direkt dem Betreiber zu melden.
Alternativ kann auch auf die Post- und E-Mailadresse des Portalbetreibers aus dessen Impressum zurückgegriffen werden, da Bewertete nicht gezwungen sind, das Meldesystem des Bewertungsportals zu verwenden.
Dagegen besteht grundsätzlich kein Auskunftsanspruch gegen den Portalbetreiber auf Nennung der Kontaktinformationen seines Nutzers ohne dessen Einwilligung. Eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage im Sinne des § 12 Abs. 2 TMG zur Herausgabe der erhobenen personenbezogenen Daten existiert nicht (vgl. BGH, Urteil vom 01.07.2014, Az. VI ZR 345/13 – Ärztebewertung I). Abweichend hiervon musste ein Online-Bewertungsportale ausnahmsweise die Daten eines Bewertenden herausgeben, weil der Nutzer im Fall unwahre, kreditschädigende Äußerungen über ein Unternehmen veröffentlicht hatte (OLG Celle, Beschluss vom 07.12.2020, Az. 13 W 80/20).
4. Was sollte die Meldung an das Portal enthalten? (sog. Qualifizierter Hinweis)
- Benennen Sie den Beitrag konkret und unter Angabe der Internetadresse (URL), damit der Portalbetreiber ihn auffinden und Verwechslungen ausschließen kann.
- Fügen Sie eine aussagekräftige Begründung bei. Der Portalbetreiber sollte auf Grundlage Ihrer Erklärung erkennen können, dass eine offensichtliche, unschwer zu erkennende Rechtsverletzung vorliegt. Zutreffende tatsächliche und rechtliche Ausführungen sind dringend zu empfehlen.
- Falls der Nutzername des Bewertenden nicht in der Kundenkartei des bewerteten Unternehmens geführt wird oder bei einer anonymen Bewertung darf und und muss das Bestehen einer Kundenbeziehung (z.B. ein Behandlungskontakt) bestritten werden (OLG München, Hinweisbeschluss, Az. 18 U 2352/18 Pre; 1. Instanz: LG München II, Urteil vom 08.06.2018, Az. 10 O 3560/17) verbunden mit der Aufforderung an das Portal, die Kundeneigenschaft auf Plausibilität zu prüfen und – sollte diese nicht gegeben sein – die Bewertung unverzüglich zu löschen.
- Setzen Sie dem Portalbetreiber eine angemessene Frist zur Prüfung und Löschung des Beitrags / der Bewertung. Das Landgericht Hamburg entschied in einem einstweiligen Verfügungsverfahren gegen Google wegen einer erfundenen Onlinebewertung auf Google+ und Google Maps, dass eine Prüfungsfrist von vier Tagen für die Suchmaschine im konkreten Fall ausgereicht hätte (LG Hamburg, Urteil vom 24.03.2017, Az. 324 O 148/16). Weil Google erst nach sechs Tagen reagierte, haftete es für die fremde Bewertung selbst.
- Bei einer anonymen Bewertung reicht es nicht, dass das Bewertungsportal den Bewertenden nach Erhalt des qualifizierten Hinweises nur dazu auffordert, in mindestens zwei Sätzen den Behandlungskontakt zu beschreiben (BGH, Urteil vom 01.03.2016, Az. VI ZR 34/15 – jameda.de II). Ebenso reicht es nicht, wenn Jameda bloß eine Praxisbeschreibung sowie die Angabe des Behandlungsmonats und -jahres anfordert (LG Meiningen, Urteil vom 15.05.2019, Az. (117) 2 O 274/19). Der Portalbetreiber hat sich die Behandlung durch objektive Beweismittel in Form von Rechnungen, Terminkarten, Bonusheften, Rezepten o. ä. nachweisen zu lassen. Ein Ärztebewertungsportal kann gehalten sein, vom anonymen Bewerter die Vorlage einer Auskunft nach § 305 SGB V zu verlangen, um prüfen zu können, ob der Bewertende tatsächlich bei dem Arzt als Patient in Behandlung war. Bewertungsplattform als mittelbarer Störer (LG Braunschweig, Urteil vom 28.11.2018, Az. 9 O 2616/17 (369)). Reicht der Verfasser der Bewertung auf eine Löschaufforderung hin eine Stellungnahme ein, die unergiebig ist, weil nicht alle an ihn gestellten Fragen beantwortet wurden, reicht es nicht, wenn das Bewertungsportal die unvollständige Stellungnahme bloß an den Bewerteten weiterleitet. Das Portal muss in diesem Fall beim Verfasser der Bewertung nachfassen (OLG Stuttgart, Urteil vom 22.05.2019, Az. 4 U 47/19).
- Legt der anonyme Bewerter ausreichende Unterlagen vor, sind diese vom Bewertungsportal im Rahmen von dessen sekundärer Darlegungslast ohne personenbezogene Daten (Name, Anschrift, E-Mailadresse etc.) an den Bewerteten weiterzuleiten. Den Bewerteten trifft dann wieder die volle primäre Darlegungs- und Beweislast (sehr instruktiv: OLG Brandenburg, Beschluss vom 05.03.2020, Az. 1 U 80/19). Es genügt dann nicht mehr, den Behandlungskontakt pauschal zu bestreiten.
- War die Beanstandung einer Internetbewertung gegenüber einem Bewertungsportal auf bewusst falschen Tatsachenvortrag gestützt (hier: wahrheitswidrige Leugnung eines Behandlungsverhältnisses), löst diese Beanstandung keine Prüfpflichten des Bewertungsportals aus. Das Bewertungsportal ist im Rahmen der Prüfung, ob eine auf seinem Internetportal veröffentlichte Bewertung eines Arztes rechtswidrig ist, nicht verpflichtet, den Sachverhalt weiter aufzuklären, wenn ihm unterschiedliche Schilderungen des Arztes und des Patienten über den Verlauf des Behandlungstermins vorliegen und keine objektiven Anhaltspunkte für die Richtigkeit der einen oder der anderen Schilderung sprechen (OLG Saarbrücken, Urteil vom 09.09.2022, Az. 5 U 117/21 – Kieferchirurgie).
Tipp: Im Rahmen der ersten Aufforderung gegenüber dem Portalbetreiber müssen Sie zunächst keine Beweise vorlegen. Es reicht aus, wenn Ihre Schilderung logisch und nachvollziehbar ist. Entkräften Sie falsche Argumente des bewertenden Nutzers und widerlegen Sie wenn möglich behauptete Tatsachen (z.B.: „Die Behauptung x ist unwahr, weil…“).
Nur eine pauschale Behauptung, dass die Kritik unzutreffend sei, ist nicht ausreichend. Schreiben Sie also nicht nur: „Die Behauptung x ist unwahr!“ (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 18.01.2012, Az. 5 U 51/11; bestätigt durch OLG Hamburg, Urteil vom 30.06.2016, Az. 5 U 58/13 betreffend das Portal Holidaycheck).
Unser Angebot: Wir bieten die Erstellung und Versendung des qualifizierten Hinweises an das Bewertungsportal zum Pauschalpreis von 300 Euro zzgl. MwSt. pro Bewertung an. Unsere qualifizierten Hinweise haben eine hohe Erfolgsquote (→ Kontakt).
5. Warum muss man eine Frist setzen?
Das Setzen einer Prüffrist ist notwendig. Denn dem Portalbetreiber muss im Rahmen seiner Prüfung der Beanstandung zunächst die Möglichkeit gegeben werden, seinen Nutzer zu kontaktieren und weitere Informationen einzuholen, um den Sachverhalt möglichst ernsthaft und vollständig aufzuklären. Dazu muss er sich von seinem Nutzer die Richtigkeit von dessen Angaben mit Hilfe von aussagekräftigen Unterlagen nachweisen lassen (je nach Behauptung z.B. Arbeitsvertrag, Verschreibungen etc., vgl. BGH, Urteil vom 01.03.2016, Az. VI ZR 34/15 – jameda.de II). Gelingt ihm dieser Nachweis nicht, gilt die Tatsachenbehauptung als nicht bewiesen. Dann muss der betreffende Eintrag durch den Portalbetreiber gelöscht werden.
Merke: Sie haben keinen Anspruch darauf, alle durch den Nutzer vorgelegten Unterlagen (vor allem nicht ungeschwärzt) zur Verfügung gestellt zu bekommen. Die Rückmeldung des Portalbetreibers muss allerdings so ausführlich sein, dass Sie sich sinnvoll gegen die Vorwürfe verteidigen können. Fragen Sie beim Portalbetreiber nach, anhand welcher Unterlagen/Angaben er den Sachverhalt überprüft hat.
Hat das bewertete Unternehmen bestritten, dass der Verfasser der Bewertung überhaupt dessen Kunde war und enthält die auf den qualifizierten Hinweis eingegangene Stellungnahme des Bewertenden keine für das Unternehmen nachprüfbaren Angaben, ist die Prüfpflicht des Bewertungsportals nicht erfüllt (OLG München, Hinweisbeschluss, Az. 18 U 2352/18 Pre; 1. Instanz: LG München II, Urteil vom 08.06.2018, Az. 10 O 3560/17). Das OLG München sieht das Portal dann in der Pflicht, den Verfasser der Bewertung noch einmal aufzufordern, konkrete(re) Angaben zu machen. Wenn das Portal nicht erneut beim Bewertenden nachfragt oder der Bewertende trotz erneuter Nachfrage nicht konkret(er) vorträgt, ist laut OLG München von einer fehlenden Kundenbeziehung auszugehen. Als Folge muss die Bewertung dann unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt gelöscht werden.
Wenn Sie sich rund um die Kontaktaufnahme mit einem Suchmaschinenbetreiber weiter informieren möchten, empfehlen wir diesen Beitrag.
6. Was tun, wenn die Löschaufforderung nicht erfolgreich war?
Sofern Ihre Aufforderung zur Löschung der negativen Bewertung nicht erfolgreich war, können weitere rechtliche Schritte unternommen werden. Insbesondere besteht die Möglichkeit, eine Abmahnung auszusprechen, z.B. gegen eine nicht tätig gewordene Plattform. Unterlassungs- und ggf. Schadensersatzansprüche können im Ernstfall auch per Klage geltend gemacht werden. Wer sich beeilt, kann unter Umständen sogar eine einstweilige Verfügung erwirken.
Der Gegenstandswert bzw. Streitwert einer Abmahnung wegen unzulässiger negativer Bewertung bewegt sich regelmäßig in der Größenordnung von 10.000 Euro (vgl. LG Braunschweig, Urteil vom 28.11.2018, Az. 9 O 2616/17).
V. Kann man von einem Bewertungsportal die Wiederveröffentlichung gelöschter Bewertungen verlangen?
Bewertungsportale haben ein Interesse an echten Bewertungen, schon um die Glaubwürdigkeit ihres Dienstes zu erhalten. Zur Verhinderung von Bewertungsmissbrauch in Form von Fake-Bewertungen setzen Anbieter wie Jameda nach eigenem Bekunden u.a. SMS-Verifikation sowie einen automatischen, selbstlernenden Prüfalgorithmus ein. Dadurch kommt es zunehmend dazu, dass positive Bewertungen gelöscht werden, die vom Bewertungsportale als Fakes eingestuft wurden
Will sich das bewertete Unternehmen gegen eine (teilweise) Löschung von erhaltenen positiven Bewertungen juristisch wehren, gelten spiegelbildlich die hier dargestellten BGH-Grundsätze zum Anspruch auf Löschung negativer Bewertungen. Die Prüfungsabfolge beschreibt dieses Urteil des Landgerichts München anschaulich.
Die Klage des betroffenen Arztes wurde auch in der Berufungsinstanz abgewiesen. Zwar könne in der Löschung positiver Bewertungen ein Eingriff das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb liegen (§ 823 Abs. 1 BGB), da der „gute Ruf“ des Unternehmers und sein Ansehen betroffen sei. Den Portalbetreiber treffe aber erst dann eine (sekundäre) Darlegungslast, warum die positiven Bewertungen gelöscht wurden, wenn der Bewertete konkrete Anhaltspunkte dafür vorträgt und gegebenenfalls unter Beweis stellt, dass die Löschung nicht aufgrund eines begründeten Verdachts hinsichtlich der Validität der Bewertungen erfolgt ist, sondern entweder willkürlich oder aus sachfremden Gründen. Wettbewerbsrechtliche Ansprüche schieden aus. Bewertungsplattform und Bewerteter seien keine Mitbewerber, weil kein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestehe. Der Portalbetreiber sei auch nicht verpflichtet, offenzulegen, wie der von ihm eingesetzte Algorithmus zum Aufspüren verdächtiger, also nicht „authentischer“, sondern vom Arzt beeinflusster Bewertungen funktioniert. Hierbei handele es sich um ein nicht zu offenbarendes Geschäftsgeheimnis des Portalbetreibers, denn wenn dem Verkehr dies bekannt würde, würden seitens der Ärzte bzw. seitens von diesen beauftragten Agenturen Umgehungsmöglichkeiten entwickelt und der Portalbetreiber würde durch die Offenlegung sein eigenes Geschäftsmodell gefährden (OLG München, Urteil vom 27.02.2020, Az. 29 U 2584/19).
VI. Kann man gegen Jamedas Warnhinweise wegen Manipulationsverdacht vorgehen?
In Fällen von Manipulationsverdacht ist Jameda dazu übergegangen, Warnhinweise im folgenden Stil in betroffenen Ärzteprofilen anzuzeigen:
„Bei einzelnen Bewertungen auf diesem Profil haben wir Auffälligkeiten festgestellt, die uns veranlassen an deren Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Wir haben den Profilinhaber mit dem Sachverhalt konfrontiert. Hierdurch ließ sich die Angelegenheit bisher nicht aufklären. Der Profilinhaber bestreitet für die Manipulation selbst verantwortlich zu sein. Damit sich die Nutzer ein Bild von der Glaubwürdigkeit der Bewertungen eines Profils machen können, kennzeichnen wir Profile, bei denen Verdachtsfälle auf Manipulation in Form von gekauften oder in unlauterer Weise beeinflussten Bewertungen aufgetreten sind. Ob die Manipulationen vom Profilinhaber veranlasst wurden, können wir derzeit nicht endgültig beurteilen. Wir entwickeln unsere Verfahren permanent weiter, um manipulierte Bewertungen zu identifizieren, entfernen diese und gehen entschieden gegen die Verantwortlichen vor. Es kann dennoch nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Profil weiterhin bzw. künftig manipulierte Bewertungen enthält.“
Ob betroffene Ärzte gegen derartige Warnhinweise rechtlich vorgehen und diese entfernen lassen können, ist umstritten. Landgericht Frankfurt und Oberlandesgericht Frankfurt wenden die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung an und lehnen im Ergebnis Rechtsschutz ab (OLG Frankfurt, Urteil vom 19.11.2020, Az. 16 W 37/20; LG Frankfurt, Beschluss vom 09.06.2020, Az. 2-03 O 167/20, Streitwert: 20.000 Euro). Betroffenen Ärzten stünden gegen Jameda keine Unterlassungsansprüche zu, weder aus
- §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB (schuldhafte Verletzung der aus dem Vertragsverhältnis fließenden Schutz- und Loyalitätspflichten)
- §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB analog i.V.m. Art. 6 Abs. 1 f) DSGVO noch
- §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB (analog), Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 12 GG.
Dagegen entschied das Landgericht Kassel, dass zu Unrecht von einem Warnhinweis Betroffene Unterlassung gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB wegen Verletzung leistungsbezogener Nebenpflichten verlangen dürfen, falls nötig auch per einstweiliger Verfügung (LG Kassel, Urteil vom 15.06.2020, Az. 10 O 703/20).
VII. Kann man gegen künstlich generierte / gekaufte Bewertungen vorgehen?
Zwar ist es bislang nicht per se verboten, mit gekauften Bewertungen zu werben. Es ist allerdings wettbewerbswidrig, Bewertungen einzukaufen und damit zu werben, ohne darauf hinzuweisen, dass die Bewerter für ihre Bewertungen einen finanziellen Vorteil erhalten haben.
In anderen Worten: der Werbende muss transparent machen, wenn es sich um eine gekaufte Bewertung handelt. Wird der kommerzielle Charakter einer Bewertung nicht kenntlich gemacht, liegt sowohl in der Veröffentlichung als auch Vermittlung von gekauften Rezensionen eine wettbewerbswidrige Irreführung im Sinne von §§ 3, 5a Abs. 6 UWG (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 07.10.2021, Az. 327 O 407/19 in Bezug auf Werbung mit gekauften Bewertungen bei Amazon).
Das gilt auch für die Einbeziehung bezahlter Rezensionen in das Gesamtbewertungsergebnis eines Produkts.
Mittäter kann auch derjenige sein, der die Kundenrezensionen nicht selbst verfasst, aber Tools, Anleitungen und eine Anreizstruktur auf seinem Portal zur Verfügung stellt, welche die Produkttester in Kenntnis der Umstände des Wettbewerbsverstoßes – jedenfalls der ihn begründenden Tatsachen – nutzen. Den Gesellschafter und/oder Geschäftsführer einer Gesellschaft, die 100% an einem Portal hält, welches gekaufte Kundenrezensionen anbietet, trifft unter bestimmten Umständen eine sekundäre Darlegungslast im Hinblick auf seine fehlende aktive Steuerung des Geschäftsmodells und der daraus resultierenden Tathandlungen. Er kann als Mittäter persönlich haften, indem er Tatherrschaft kraft Kontrolle und Steuerung des von dem Portal ausgeführten Geschäftsmodells innehat. Diese sekundäre Darlegungslast kann auch denjenigen treffen, der keine gesellschaftsrechtliche Verbindung zu dem Portal aufweist. Indizien für eine die sekundäre Darlegungslast auslösende Mittäterschaft sind u.a. die Übernahme der Gestaltung eines anderen Portals, Verlinkungen zwischen den Portalen und die Übernahme der Kunden des anderen Portals (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 07.10.2021, Az. 327 O 407/19).
Ebenso ist es unzulässig, die Teilnahme an einem Gewinnspiel durch Abgabe einer Bewertung zuzulassen und mit so generierten Bewertungen zu werben, weil davon auszugehen ist, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bewertungen in solchen Fällen nur deshalb abgegeben wird, weil die Bewertung durch die Gewinnspielteilnahme „belohnt“ wird. Solche Bewertungen erfolgen nicht frei und unbeeinflusst (OLG Frankfurt, Urteil vom 20.06.2024, Az. 6 U 128/23). Das gleiche gilt für das Generieren von Likes gegen Belohnung (hier: Treuepunkte) oder der Abgabe von Bewertungen durch Verbraucher auf Grundlage eines Belohnungssystems (LG Hannover, Urteil vom 22.12.2022, Az. 21 O 20/21).
Dem Reiseportal HolidayCheck wurde ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch gegen das Unternehmen Goldstar Marketing zugesprochen, das mit der Herbeiführung vorgetäuschter positiver Fake-Bewertungen geworben hatte (vgl. LG München, Urteil vom 24.07.2023, Az. 37 O 11887/21).
„Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht nicht nur dann, wenn zwei Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen. Es besteht vielmehr auch dann, wenn zwischen den Vorteilen, die die eine Partei durch eine Maßnahme für ihr Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die die andere Partei dadurch erleidet, eine Wechselwirkung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann (BGH GRUR 2014, 1114 Rn. 32 – nickelfrei, beck-online). Dies ist vorliegend der Fall, da die durch die Beklagte zu 1) zu ihrer eigenen Absatzförderung erstellten Fake-Bewertungen auf dem Portal der Klägerin zu einer schlechteren Qualität von deren Angebot und hierdurch zu einem Abwandern ihrer Portalbesucher führt. Die Fake-Bewertungen sind auch unlautere geschäftliche Handlungen der Beklagten. Eine Bewertung ohne eine tatsächliche zugrundeliegende Erfahrung einer tatsächlich existierenden Person, die die entsprechende Plattform auch tatsächlich genutzt hat, ist nach § 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG sowie nach § 5 a Abs. 4 S. 1 UWG irreführend. Der Verkehr erwartet, wenn er Bewertungen liest, dass diese von der bewerteten Person stammen und auf den Eigenwahrnehmungen des Bewerters beruhen. Der Verbraucher geht davon aus, dass es sich um „Ergebnisse oder wesentlichen Bestandteile von Tests der Waren oder Dienstleistungen“ (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG aE) von Reiseleistungen handelt, wobei die Tests durch andere Kunden tatsächlich erfolgten. Dies ist bei Fake-Bewertungen nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich nicht um Informationen anderer Kunden, sondern geschäftliche Handlungen, bei denen wegen der ausschließlichen Positivität ein kommerzielle Zweck besteht, der nicht kenntlich gemacht ist und für den Verbraucher auch nicht erkennbar ist. Dies ist geeignet, den auf die Echtheit der Bewertung vertrauenden Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Daher liegt auch ein Verstoß gegen das Schleichwerbungsverbot nach § 5 a Abs. 4 S. 1 UWG vor.“
VIII. Kann man die Abgabe von Bewertungen per AGB einschränken oder verbieten?
Ein Unternehmen war auf die Idee gekommen, seinen Kunden AGB vorzulegen, nach denen die Abgabe von Bewertungen nur in gegenseitigem Einvernehmen erlaubt war. Bei Verstoß war der Kunde auf erstes Anfordern verpflichtet, die abgegebene Bewertung wieder zu löschen. Eine nette Idee, schlechte Bewertungen zu verhindern. Derartige AGB sind aber natürlich unwirksam und abmahnbar (OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 13.10.2021, Az. 2 U 279/21).
§ 8 Nr. 2 Satz 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay, wonach die von Nutzern abgegebenen Bewertungen sachlich gehalten sein müssen und Schmähkritik nicht enthalten dürfen, enthält keine vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit von Werturteilen in Bewertungskommentaren von Nutzern, die über die deliktsrechtlichen Grenzen wertender Äußerungen hinausgehen (BGH, Urteil vom 28.09.2022, Az. VIII ZR 319/20).
IX. Kann man Bewertungen bei einem Unternehmenswechsel mitnehmen?
Bei einer Unternehmensänderung (hier: Wechsel des Franchisesystems) kann die Mitnahme bzw. Übertragung alter Facebook Likes und Bewertungen wettbewerbswidrig sein.
Wir unterstützen Sie beim Vorgehen gegen rechtswidrige negative Bewertungen als auch die unbegründete Löschung von positiven Bewertungen. Nehmen Sie unsere unverbindliche und kostenlose Erstberatung in Anspruch.
Hinweis: Dieser Beitrag wurde unter Mitwirkung unserer Referendarin Frau Lia Tabea Pasternack verfasst.
Dank skrupellosen Leuten wie euch verdienen Bewertungsportale in Deutschland ihren Namen nicht.
Es ist nicht möglich, vor schlechten Ärzten oder Arbeitgebern zu warnen, weil diese dank der kaputten deutschen Rechtslage die Macht haben und unliebige Bewertungen einfach löschen lassen können.
Danke, Niklas.
Das ist Unsinn. Natürlich darf man vor schlechten Ärzten und Arbeitgebern warnen, es gibt eben rechtliche Grenzen. https://www.ra-plutte.de/faq-zum-aeusserungsrecht-tatsachenbehauptung-und-werturteil/ Wer das nicht versteht, hat eine falsche Vorstellung davon, was Meinungsfreiheit bedeutet. Das klingt hart, ich meine es aber sachlich. Viele Menschen kennen sich tatsächlich nicht aus und stolpern aus ihrer Unwissenheit heraus in rechtliche Konflikte wie z.B. eine Abmahnung.