Vorsicht bei identifizierender Berichterstattung über potentielle Straftaten, z.B. in Zeitungen oder Magazinen, aber auch investigativen Blogartikeln. Wir erklären, was rechtlich zu beachten ist.
Rechtsanwalt Niklas Plutte
Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz
Rechtsanwalt Oliver Wolf, LL.M.
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
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Inhaltsübersicht
I. Verdachtsberichterstattung kann Reputation schwer beschädigen
II. Persönliche Betroffenheit und unmittelbare Erkennbarkeit
III. Sorgfaltspflichten bei Verdachtsberichterstattung
1. Mindestbestand an Beweistatsachen
2. Sorgfältige Recherche
3. Keine Vorverurteilung bzw. einseitige oder verfälschende Darstellung
4. Vorwurf von gravierendem Gewicht und berechtigtes öffentliches Interesse
5. Grundsatz: Vorab Stellungnahme des Betroffenen einholen
IV. Unterschiede zwischen Wort- und Bildberichterstattung
V. Ansprüche bei Rechtsverletzungen
VI. Prozessuales
I. Verdachtsberichterstattung kann Reputation schwer beschädigen
Eine Berichterstattung über Geschehnisse, bei denen bisher nur ein unbestätigter Verdacht vorliegt, kann für den Betroffenen ernste Konsequenzen haben.
1. Beispiel: Presseartikel über die Verlesung der Anklageschrift gegen einen u.a. wegen Betrugs angeklagten Zahnarzt mit “schöner Praxis in der Kölner Innenstadt” unter Nennung des Vornamens und Anfangsbuchstabens des Nachnamens des Arztes.
2. Beispiel: Pressebericht eines deutschlandweit bekannten Magazins über das Strafverfahren gegen einen namentlich benannten ZDF-Manager, der mithilfe sog. Spy-Cams heimlich Mitarbeiterinnen in deren Hotelzimmern gefilmt hatte (OLG Köln, Urteil vom 18.08.2022, Az. 15 U 258/21).
Durch derartige Presseberichte kann der Betroffene identifiziert werden, was zu einem Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts führt.
- In unserem ersten Beispiel entsteht die Gefahr, dass (viele) Patienten zu anderen Zahnärzten wechseln. Selbst falls später über eine Einstellung des Verfahrens berichtet würde, bliebe ein Imageschaden in Gestalt eines gewissen Makels bestehen, wovon sich Zahnarzt und Praxis womöglich nie persönlich und wirtschaftlich erholen.
- In unserem zweiten Beispiel besteht die Gefahr einer privaten und beruflichen Stigmatisierung, da die identifizierende Berichterstattung über ein laufendes Strafverfahren offensichtlich geeignet war, sich abträglich auf das Ansehen des Managers auszuwirken.
Auf der anderen Seite dürfen Medien unter den folgenden Voraussetzungen auch schon vor einer rechtskräftigen Verurteilung in identifizierender Weise über den Verdacht von Straftaten berichten.
II. Persönliche Betroffenheit und unmittelbare Erkennbarkeit
Zwingende Voraussetzung für eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch einen Medienbericht ist die persönliche Betroffenheit (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 01.02.2023, Az. 4 U 144/22).
Hierzu zählt auch das Erfordernis der Erkennbarkeit, wobei die höchstrichterliche Rechtsprechung insoweit die Erkennbarkeit durch einen mehr oder minder großen Bekanntenkreis ausreichen lässt (BVerfG, Beschluss vom 13.06.2007, Az. 1 BvR 1783/05 – Esra).
Daneben wird von der Rechtsprechung eine unmittelbare Betroffenheit beziehungsweise individuelle Betroffenheit gefordert, wobei die Rechtsprechung insoweit mit unterschiedlichen Formulierungen arbeitet. Gegen Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht kann nur der unmittelbar Verletzte vorgehen, nicht auch derjenige, der von den Fernwirkungen eines Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht eines anderen nur mittelbar belastet wird, solange diese Auswirkungen nicht auch als Verletzung des eigenen Persönlichkeitsrechts zu qualifizieren sind. Bei Verletzung der Persönlichkeitsrechte eines Dritten muss zugleich auch das Persönlichkeitsrecht eines Dritten unmittelbar tangiert sein (BGH, Urteil vom 20.03.2012, Az. VI ZR 123/11 – Verkehrsunfall mit Todesopfer). Bloß mittelbare oder reflexartige Beeinträchtigungen genügen danach nicht (Burkhardt/Pfeifer in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, Kap. 5 Rn. 262; Korte, Praxis des Presserechts, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 157). Der Bundesgerichtshof hat es jedoch z.B. auch genügen lassen, dass mit dem Namen des Klägers öffentlich Kritik an einem in seiner Verantwortung stehenden Presseprodukt geäußert wurde (BGH, Urteil vom 17.11.2009, Az. VI ZR 226/08 – Markwort).
Erforderlich ist, dass sich die Äußerung mit dem jeweiligen Anspruchssteller befasst, es genügt aber auch, wenn die verbreitete Tatsache in enger Beziehung zu seinen Verhältnissen, seiner Betätigung oder seiner gewerblichen Leistung steht. Eine solche Beziehung kann auch dann anzunehmen sein, wenn Tatsachen über die Erzeugnisse, den Mitarbeiterkreis oder die Geschäftsmethoden eines Unternehmens verbreitet werden (BGH, Urteil vom 02.07.1963, Az. VI ZR 251/62 – Systemvergleich). Die Äußerung muss sich mit dem Anspruchssteller befassen oder in enger Beziehung zu dessen Verhältnissen, seiner Betätigung oder gewerblichen Leistung stehen (OLG München AfP 1983, 278 [279]).
Eine den Beschuldigten (§ 157 StPO) identifizierende Berichterstattung über die Verfolgung einer Straftat beeinträchtigt zwangsläufig dessen Recht auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufes, weil sie sein mögliches Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert (vgl. BGH, Urteil vom 31.05.2022, Az. VI ZR 95/21).
Wird deshalb eine Gesellschaft kritisiert, sind die Gesellschafter nicht ohne weiteres betroffen, erforderlich ist, dass die Kritik auch die Gesellschafter (be-) trifft (Burkhardt/Pfeifer in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, Kap. 5 Rn. 262).
III. Sorgfaltspflichten bei Verdachtsberichterstattung
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts zur Verdachtsberichterstattung darf eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf, Art. 5 Abs. 1 GG, § 193 StGB (zur nachfolgenden Darstellung siehe OLG Brandenburg, Beschluss vom 01.04.2020, Az. 1 U 91/19).
Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt wurden. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen. Andererseits sind die Anforderungen umso höher, je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt (BGH, Urteil vom 07.12.1999, Az. VI ZR 51/99; BGH, Urteil vom 22.04.2008, Az. VI ZR 83/07; BGH, Urteil vom 17.12.2013, Az. VI ZR 211/12 – Sächsische Korruptionsaffäre; BGH, Urteil vom 18.11.2014, Az. VI ZR 76/14 – Chefjustitiar).
Diese Grundsätze gelten zunächst auch für die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten. In diesem Verfahrensstadium steht lediglich fest, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, in der Regel ist aber nicht geklärt, ob der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Straftat begangen hat. Zwar gehört es zu den legitimen Aufgaben der Medien, Verfehlungen – auch konkreter Personen – aufzuzeigen (BGH, Urteil vom 30.10.2012, Az. VI ZR 4/12; BGH, Urteil vom 13.11.2012, Az. VI ZR 330/11; BVerfG, Beschluss vom 25.01.2012, Az. 1 BvR 2499/09). Dies gilt auch für die Berichterstattung über eine vermeintliche Straftat, da diese zum Zeitgeschehen gehört und die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung von Rechtsgütern der betroffenen Bürger oder der Gemeinschaft ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter begründen kann (BGH, Urteil vom 07.06.2011, Az. VI ZR 108/10; EGMR, Urteil vom 07.02.2012, Az. 39954/08).
Besteht allerdings – wie im Ermittlungsverfahren – erst der Verdacht einer Straftat, so sind die Medien bei besonderer Schwere des Vorwurfs angesichts des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die persönliche Ehre in besonderem Maße zu sorgfältigem Vorgehen verpflichtet. Dabei ist im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende und in Art. 6 Abs. 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung die Gefahr in den Blick zu nehmen, dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf „etwas hängenbleibt“ (BGH, Urteil vom 07.12.1999, Az. VI ZR 51/99; BGH, Urteil vom 30.10.2012, Az. VI ZR 4/12 – Gazprom-Manager).
Sind die Anforderungen an eine Verdachtsberichterstattung zu beachten, ist erforderlich, dass ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (BGH, Urteil vom 16.02.2016, Az. VI ZR 367/15).
Bei einer identifizierenden Berichterstattung ist besondere Zurückhaltung geboten. Die namentliche Erwähnung des Beschuldigten erfordert zusätzlich zu den Anforderungen an eine zulässige Verdachtsberichterstattung, dass auch unter Berücksichtigung des Geheimhaltungsinteresses des Betroffenen bei der erforderlichen Abwägung das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiegt. Danach kommt eine Namensnennung grundsätzlich nur in Fällen schwerer Kriminalität oder bei Straftaten in Betracht, die die Öffentlichkeit besonders berühren (BVerfG, Beschluss vom 19.10.2006, Az. 1 BvR 152/01; BGH, Urteil vom 07.12.1999, Az. VI ZR 51/99; BGH, Urteil vom 07.12.1999, Az. VI ZR 51/99). Denn die öffentliche Berichterstattung über den Verdacht einer Straftat, die eine Identifizierung enthält oder ermöglicht, stellt regelmäßig eine erhebliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen dar, weil sein Fehlverhalten öffentlich bekannt gemacht und seine Person in den Augen des Publikums negativ qualifiziert wird (vgl. BGH, Urteil vom 15.11.2005, Az. VI ZR 286/04; BVerfG, Beschluss vom 13.06.2006, Az.1 BvR 565/06).
Um einen ausreichenden Reputationsschutz des Betroffenen sicherzustellen, müssen bei identifizierender Verdachtsberichterstattung über mögliche Straftaten mindestens die folgenden Sorgfaltspflichten beachtet werden:
- Mindestbestand an Beweistatsachen
- Sorgfältige Recherche gemessen an den Aufklärungsmöglichkeiten
- Keine Vorverurteilung, sondern ausgewogene Darstellung des Verdachts
- Vorwurf von gravierendem Gewicht, dessen Mitteilung ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse rechtfertigt
- Grundsatz: vorab Stellungnahme des Betroffenen einholen
Werden die nachfolgend detaillierter beschriebenen Sorgfaltsanforderungen nicht eingehalten, stellt dies in der Regel eine Persönlichkeitsrechtsverletzung dar. Dem Verletzten stehen dann Ansprüche auf Unterlassung, Berichtigung und Schadensersatz zu, bei besonders schwerwiegender Verletzung des Persönlichkeitsrechts ggf. auch Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung.
1. Mindestbestand an Beweistatsachen
Eine zulässige Verdachtsberichterstattung setzt immer das Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte dafür voraus, dass der Verdacht tatsächlich besteht. Die Anforderungen an die Stichhaltigkeit des Verdachts sind umso höher, je schwerer und nachhaltiger das Ansehen des Betroffenen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt wird bzw. werden kann.
Beispiel: Der Verdacht der gefährlichen Körperverletzung stützt sich in der Berichterstattung nur auf die Aussage einer Zahnarztgehilfin, welche behauptet, es seien auffällig viele Zähne gezogen worden.
Angesichts der Schwere des Vorwurfs ist vor der Veröffentlichung eines Berichts über die Arbeitsweise der Praxis eine ausreichende Tatsachengrundlage erforderlich, die im vorstehenden Beispiel noch nicht gegeben wäre (gleiches gilt für dieses Praxisbeispiel, mit dem das LG Köln bild.de identifizierende Presseberichte über einen bekannten Fußballer verboten wurde).
Der bloße Umstand, dass eine Strafanzeige gestellt wurde reicht für die Annahme des Vorliegens eines Mindestbestands an Beweistatsachen ebensowenig aus wie die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (vgl. LG Köln, Urteil vom 01.09.2021, Az. 28 O 67/20). Die Staatsanwaltschaft hat schon beim Vorliegen eines Anfangsverdachts Ermittlungen aufzunehmen (vgl. § 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 StPO). Dafür reicht es aus, dass aufgrund zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit einer verfolgbaren Straftat gegeben ist. Die Schwelle für die Annahme eines Anfangsverdachts liegt also niedrig; es genügen schon entferntere Verdachtsgründe, die eine geringe, wenngleich nicht nur theoretische Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer verfolgbaren Straftat begründen. Die Ermittlungsbehörden müssen auch auf völlig unbegründete, unter Umständen wider besseres Wissen in Schädigungsabsicht erstattete Strafanzeigen hin tätig werden (BGH, Urteil vom 16.02.2016, Az. VI ZR 367/15).
Es bedarf daher stets einer Einzelfallprüfung hinsichtlich der in der Anzeige mitgeteilten Umstände im Hinblick darauf, ob ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Zu betonen ist insoweit, dass ein Verdachtsgrad, der eine Verurteilung als hinreichend wahrscheinlich erscheinen lässt, nicht zwingend vorliegen muss.
- Die Aussagen einer Zeugin, die selbst „lediglich aus ihrer Sicht auffällige Begebenheiten“ schildert, reichen nicht aus (BGH, Urteil vom 17.12.2013, Az. VI ZR 211/12).
- Wenn es bereits zu einer Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen gekommen ist, liegt dagegen regelmäßig eine ausreichende Tatsachengrundlage vor (LG Berlin, Urteil vom 15.01.2008, Az. 27 O 973/07).
- Bei einer substantiierten Strafanzeige mit diversen Anlagen, Urkunden und Zeugenbenennungen sowie ergangenen zivilrechtlichen Entscheidungen wurde eine ausreichende Plausibilität und Dichte bejaht (vgl. LG Köln, Urteil vom 01.09.2021, Az. 28 O 67/20).
- Mit der Pressemitteilung einer Staatsanwaltschaft kann ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegen (OLG München, Endurteil vom 01.06.2021, Az. 18 U 144/21 Pre).
- Wurde bereits Anklage erhoben und das Hauptverfahren eröffnet, setzt dies nach § 170 Abs. 1, § 203 StPO voraus, dass der Beschuldigte aus Sicht der Staatsanwaltschaft und des Gerichts einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint, also eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Verurteilung besteht. Der Bundesgerichtshof bejahte hier den nötigen Mindestbestand an Beweistatsachen (BGH, Urteil vom 31.05.2022, Az. VI ZR 95/21; BGH, Urteil vom 22.02.2022, Az. VI ZR 1175/20).
Tipp: Wer kritische (Presse-)Berichte verfasst, sollte die Unterschiede zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen kennen.
Bei ansehensbeeinträchtigenden Tatsachenbehauptungen wird die Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen ganz wesentlich vom Wahrheitsgehalt der Behauptungen bestimmt. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht (BGH, Urteil vom 22.02.2022, Az. VI ZR 1175/20; BGH, Urteil vom 18.12.2018, Az. VI ZR 439/17; BGH, Urteil vom 11.12.2012, Az. VI ZR 314/10). Auch wahre Tatsachenbehauptungen sind indes nicht unbeschränkt zulässig. Vielmehr können sie rechtswidrig in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreifen, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten drohen, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Aussage geeignet ist, eine erhebliche Breitenwirkung zu entfalten oder eine besondere Stigmatisierung des Betroffenen nach sich zu ziehen, so dass sie zum Anknüpfungspunkt für soziale Ausgrenzung und Isolierung zu werden droht (OLG Brandenburg, Beschluss vom 01.04.2020, Az. 1 U 91/19 mit Verweis auf: BGH, Urteil vom 18.06.2019, Az. VI ZR 80/18; BGH, Urteil vom 18.12.2018, Az. VI ZR 439/17; BGH, Urteil vom 19.03.2013, Az. VI ZR 93/12).
2. Sorgfältige Recherche
Eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, darf demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf, Art. 5 GG, § 193 StGB (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteil vom 16.02.2016, Az. VI ZR 367/15).
Beispiel: Bei Presseberichten über strafrechtliche Ermittlungsverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten steht in diesem Stadium nur fest, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. In der Regel ist aber unklar, ob der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Straftat begangen hat.
Eine Berufung auf berechtigte Interessen setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden. Wie sorgfältig der Wahrheitsgehalt recherchiert werden muss, richtet sich nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen. Andererseits sind die Anforderungen umso höher, je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Allerdings ist auch das Interesse der Öffentlichkeit an derartigen Äußerungen zu berücksichtigen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 16.02.2016, Az. VI ZR 367/15).
Bei einer privilegierten Quelle wie der Staatsanwaltschaft darf man regelmäßig davon ausgehen, dass sie die Öffentlichkeit erst dann unter Namensnennung über ein Ermittlungsverfahren unterrichten wird, wenn sich Tatverdacht bereits einigermaßen erhärtet hat (BVerfG, Beschluss vom 09.03.2010, Az. 1 BvR 1891/05 Rn. 35). Trotzdem müssen die Medien prüfen und abwägen, ob eine Namensnennung des Betroffenen nach den sonstigen Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung gerechtfertigt ist (vgl. BGH, Urteil vom 16.02.2016, Az. VI ZR 367/15).
3. Keine Vorverurteilung bzw. einseitige oder verfälschende Darstellung
Bis zur rechtskräftigen Verurteilung verpflichtet die Unschuldsvermutung zur ausgewogenen Darstellung des Sachverhalts (BGH, Urteil vom 19.03.2013, Az. VI ZR 93/12). Unzulässig ist eine vorverurteilende Darstellung, die den falschen Eindruck erweckt, der Betroffene sei bereits überführt. Dasselbe gilt für eine auf Sensationen ausgerichtete, bewusst einseitige oder verfälschende Darstellung.
Erforderlich ist stattdessen eine sachlich-distanzierte Berichterstattung, die den unzutreffenden Eindruck vermeidet, eine Verurteilung des Beschuldigten stehe schon so gut wie fest und sei nur noch “Formsache” (LG Köln, Urteil vom 01.09.2021, Az. 28 O 67/20).
Beispiel: Der bloße Bericht, welcher Anklagevorwurf gegen den Beschuldigten erhoben wurde und welche Strafe dafür verhängt werden kann, stellt keine Vorverurteilung dar (vgl. BGH, Urteil vom 31.05.2022, Az. VI ZR 95/21).
Dabei muss auch über die zur Verteidigung des Beschuldigten vorgetragenen Tatsachen und Argumente berichtet werden. Außerdem muss bei der Berichterstattung eindeutig darauf hingewiesen werden, wie weit die Ermittlungen fortgeschritten sind, damit nicht schon zu Beginn der Ermittlungen der falsche Eindruck einer bereits erfolgten Verurteilung entsteht.
Beispiel: „Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft stehen noch am Anfang“, „eindeutige Beweise liegen noch nicht vor“.
Sollte das Verfahren später eingestellt werden, besteht auch bei ursprünglich zulässiger Verdachtsberichterstattung die Pflicht, einen Nachtrag zu veröffentlichen, demzufolge der berichtete Verdacht nach Klärung des Sachverhalts nicht aufrecht erhalten werden kann. Dagegen besteht kein (Berichtigungs-) Anspruch auf Richtigstellung (BGH, Urteil vom 18.11.2014, Az. VI ZR 76/14).
Beispiel: „Das Ermittlungsverfahren gegen Zahnarzt Max Mustermann, über das wir am 26.08.2015 berichtet haben, wurde nach § 153a StPO gegen Auflage eingestellt.“
4. Vorwurf von gravierendem Gewicht und berechtigtes öffentliches Interesse
Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (OLG Dresden, Urteil vom 27.11.2003, Az. 4 U 991/03). Dies kann bei schweren Straftaten oder Hintergründen wichtiger politischer Entscheidungen der Fall sein.
Bei schweren Straftaten ist eine identifizierende Berichterstattung häufig zulässig, etwa bei einem schweren Verkehrsverstoß eines Prominenten (BGH, Urteil vom 15.11.2005, Az. VI ZR 286/04). Bei kleineren Vergehen ist identifizierende Berichterstattung nur zulässig, wenn beispielsweise in der Person des Täters ein besonderes Informationsinteresse besteht.
Beispiel: Das Ermittlungsverfahren gegen einen Zahnarzt wegen gefährlicher Körperverletzung bei der Berufsausübung weckt aufgrund der Schwere des Vorwurfs bereits das öffentliche Informationsinteresse. Eine identifizierende Berichterstattung ist jedoch in diesem frühen Stadium der Ermittlungen wegen des Grundsatzes der Unschuldsvermutung selten zulässig.
Die Frage, ob Altmeldungen im Online-Archiv einer Tageszeitung online bleiben dürfen, in denen über den Verdacht einer Straftat im Zusammenhang mit einem – später nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellten – Ermittlungsverfahren berichtet und in denen der Beschuldigte – durch Namen und/oder Bild – identifizierbar bezeichnet wird, ist aufgrund einer umfassenden Abwägung des Persönlichkeitsrechts des Beschuldigten mit dem Recht der Presse auf Meinungs- und Medienfreiheit zu entscheiden. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit im Rahmen der Abwägung ist von erheblicher Bedeutung, ob die Berichterstattung ursprünglich zulässig war. Ist dies nicht der Fall, ist das Bereithalten der Beiträge zum Abruf in einem Online-Archiv grundsätzlich unzulässig, soweit der Beschuldigte weiterhin identifizierbar bezeichnet bzw. dargestellt ist (BGH, Urteil vom 16.02.2016, Az. VI ZR 367/15).
5. Grundsatz: Vorab Stellungnahme des Betroffenen einholen
Grundsätzlich ist vom Betroffenen vor Veröffentlichung eine Stellungnahme einzuholen. Auch für Kritik an Firmen gelten die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung, was bedeutet, dass öffentliche Firmenkritik grundsätzlich rechtswidrig ist, wenn nicht vorher eine Stellungnahme des Unternehmens eingeholt wurde (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 01.02.2023, Az. 4 U 144/22).
Der Betroffene muss mit dem wesentlichen Kern der Vorwürfe, Anknüpfungstatsachen und Argumenten konfrontiert werden. Wird der Verdacht wesentlich auf ein vermeintliches Indiz gestützt, erstreckt sich die Anhörungsobliegenheit auch hierauf. Andernfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass die konkrete Berichterstattung in einem für den Leser wichtigen Punkt bei erfolgter Anhörung anders ausgefallen wäre (OLG Frankfurt, Urteil vom 08.05.2024, Az. 16 U 33/23).
Das grundsätzliche Erfordernis einer Möglichkeit zur Stellungnahme soll sicherstellen, dass der Standpunkt des von der Verdachtsberichterstattung Betroffenen in Erfahrung und gegebenenfalls zum Ausdruck gebracht wird, der Betroffene also selbst zu Wort kommen kann. Dies setzt voraus, dass der Betroffene nicht nur Gelegenheit zur Stellungnahme erhält, sondern dass seine etwaige Stellungnahme auch zur Kenntnis genommen und der Standpunkt des Betroffenen in der Berichterstattung sichtbar wird (BGH, Urteil vom 16.11.2021, Az. VI ZR 1241/20).
Ausnahme: Wurde bereits Anklage erhoben, über die berichtet werden soll, ist es nicht in jedem Fall nötig, vorab eine Stellungnahme vom Betroffenen einzuholen. Das folgt zwar nicht daraus, dass bei Zulassung der Anklage der hinreichende Tatverdacht durch das Gericht geprüft wurde, nachdem dem Angeschuldigten (§ 157 StPO) gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO rechtliches Gehör gewährt worden war. Denn dieses gerichtliche Zwischenverfahren ist nichtöffentlich. Es hängt vom Ablauf der jeweiligen Hauptverhandlung ab, ob, wann und in welcher Form eine etwaige Stellungnahme aus dem Zwischenverfahren in die öffentliche Hauptverhandlung eingeführt und dadurch bekannt wird. Beschränkt sich die Berichterstattung jedoch auf den bestehenden Tatverdacht und auf die Wiedergabe dessen, was Gegenstand und Inhalt der öffentlichen Hauptverhandlung war, muss vorab keine Stellungnahme eingeholt werden. Auch Vertreter der Presse dürfen bei einer gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 StPO öffentlichen Hauptverhandlung zusehen und zuhören und sind berechtigt, die aufgenommenen Informationen zu verbreiten. Eine solche Verbreitung darf die Presse zur Wahrnehmung berechtigter Interessen zumindest in der Regel für erforderlich halten, ohne eigene Recherchen über den Wahrheitsgehalt der Tatvorwürfe anzustellen und in diesem Rahmen eine Stellungnahme des Angeklagten einzuholen (BGH, Urteil vom 31.05.2022, Az. VI ZR 95/21).
Kommt man zu dem Ergebnis, dass eine Stellungnahme einzuholen ist, schließt dies nicht aus, dass – abhängig von den Umständen des Einzelfalls – nur eine sehr kurze Frist zur Stellungnahme gesetzt werden muss.
Beispiel: Bei einer Stellungsnahmefrist von fünf Stunden ging nach 1,5 Stunden eine Bitte um Fristverlängerung ein, auf die das Presseunternehmen nicht reagierte. Stattdessen veröffentlichte es den Artikel mit dem Hinweis “… äußerte sich auf BILD-Anfrage nicht zu den Vorwürfen“. Darin sah der Bundesgerichtshof keine ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme. Das Presseunternehmen hätte dem Betroffenen mitteilen müssen, dass die Frist nicht verlängert wird und gegebenenfalls bis wann nach Fristablauf seine Stellungnahme noch berücksichtigt werden kann (BGH, Urteil vom 22.02.2022, Az. VI ZR 1175/20).
Gegebenenfalls sind Stellungnahmen weiterer Personen einzuholen, die Auskunft zum Sachverhalt geben können. Ausnahmsweise kann eine Nachfrage bei anderen Medien genügen, die bereits über den Verdacht berichtet haben (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.05.2005, Az. 14 U 209/04). Sitzt der Betroffene in Untersuchungshaft, stellt dieser Umstand jedoch keinen Grund dar, weshalb die Presse ohne Stellungnahme des Betroffenen über den Straftatverdacht berichten dürfte. Hier gilt Sorgfalt vor Schnelligkeit, die Pressefreiheit hat in solchen Lagen geringeres Gewicht als das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen (vgl. BGH, Urteil vom 16.11.2021, Az. VI ZR 1241/20).
Ausnahme: Eine Anhörung des Betroffenen ist nicht erforderlich, wenn er bereits in der Vergangenheit erklärt hat, im Hinblick auf ein gegen ihn laufendes Verfahren keine weiteren Erklärungen mehr abzugeben (OLG Köln, Urteil vom 15.11.2011, Az. 15 U 61/11) oder sein prozessuales Verhalten im Verfahren zeigt, dass er sich nicht zu den Vorwürfen äußern will (LG Berlin, Urteil vom 12.07.2007, Az. 27 O 569/07).
IV. Unterschiede zwischen Wort- und Bildberichterstattung
Die Zulässigkeit einer Bildberichterstattung richtet sich nicht nach denselben Maßstäben wie die einer Textberichterstattung (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2019, Az. VI ZR 249/18). Sie beurteilt sich nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG. Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Hiervon besteht gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Diese Ausnahme gilt aber nach § 23 Abs. 2 KUG nicht für eine Verbreitung, durch die berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden.
Schon die Beurteilung, ob ein Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zuzuordnen ist, erfordert eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK andererseits (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2019, Az. VI ZR 249/18; BGH, Urteil vom 06.02.2018, Az. VI ZR 76/17).
Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Dieser darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit umfasst er alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Es gehört zum Kern der Presse- und Meinungsfreiheit, dass die Presse im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht. Dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird. Eine Bedürfnisprüfung, ob eine Bebilderung veranlasst war, findet nicht statt (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2019, Az. VI ZR 249/18).
Allerdings besteht das Informationsinteresse nicht schrankenlos. Vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt. Im Rahmen der Abwägung kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu, wobei der Informationsgehalt der Bildberichterstattung unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung zu ermitteln ist. Ebenso ist von Bedeutung, welche Rolle dem Betroffenen in der Öffentlichkeit zukommt (BGH, Urteil vom 17.12.2019, Az. VI ZR 249/18).
Auch bei der strafverfahrensbegleitenden Bildberichterstattung hat in der Abwägung der widerstreitenden Interessen – bereits bei der Prüfung, ob ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vorliegt – die Unschuldsvermutung Berücksichtigung zu finden. Auch insoweit ist eine entsprechende Zurückhaltung geboten und eine mögliche Prangerwirkung zu berücksichtigen. Auch hier wird oftmals bis zu einem erstinstanzlichen (nicht notwendig rechtskräftigen) Schuldspruch das Recht des Beschuldigten auf Schutz der Persönlichkeit das Interesse an einer identifizierenden Bildberichterstattung überwiegen (vgl. BGH, Urteil vom 06.02.2018, Az. VI ZR 76/17).
Beispiel: In einem Fall von erheblicher Wirtschaftskriminalität wurde die Veröffentlichung eines großformatigen unverpixelten Fotos des Unternehmensleiters trotz starkem öffentlichen Interesse als unzulässig eingestuft (anders als die begleitende Wortberichterstattung). Neben der zulässigen Namensnennung habe für die identifizierende Bildberichterstattung kein überwiegendes Interesse bestanden. Die Abwägung falle zugunsten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschuldigten in seiner Ausprägung als Recht am eigenen Bild aus (vgl. OLG München, Urteil vom 01.06.2021, Az. 18 U 144/21 Pre).
V. Ansprüche bei Rechtsverletzungen
Bei unzulässiger identifizierender Wortberichterstattung kann der Betroffene Anspruch auf Unterlassung der Berichterstattung aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG verlangen (vgl. exemplarisch BGH, Urteil vom 31.05.2022, Az. VI ZR 95/21). Bei unzulässiger identifizierender Bildberichterstattung folgt der Unterlassung aus § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 22, 23 KUG, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG verlangen (vgl. OLG München, Urteil vom 01.06.2021, Az. 18 U 144/21 Pre).
Der Anwendbarkeit der § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG steht im journalistischen Bereich die Datenschutzgrundverordnung nicht entgegen (Art. 85 Abs. 2 DSGVO, § 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1 Satz 4 MedienStV; vgl. BGH, Urteil vom 31.05.2022, Az. VI ZR 95/21; BGH, Urteil vom 22.02.2022, Az. VI ZR 1175/20; BGH, Urteil vom 12.10.2021, Az. VI ZR 489/19; BGH, Urteil vom 18.12.2018, Az. VI ZR 439/17).
VI. Prozessuales
Eine Klage, mit der ein Betroffener generell Unterlassung einer identifizierenden Verdachtsberichterstattung verlangt, bleibt ohne Erfolg, wenn nur einzelne Identifizierungsmerkmale im Klageantrag aufgegriffen werden, die für sich genommen für eine Identifizierung ausreichen, also letztlich gleichwertig nebeneinander stehen. Für ein derartiges „Teil-Vorgehen“ besteht kein Rechtsschutzbedürfnis. Anders verhält es sich bei einem eigenständigen Antrag auf Unterlassung der Veröffentlichung eines Lichtbildes in einem konkreten Kontext. In einem solchen Fall ist es prozessual wie materiell-rechtlich zulässig, eine Verdachtsberichterstattung einschließlich Namensnennung unangegriffen zu lassen, aber dennoch Abwehransprüche wegen Verletzung des Rechts am eigenen Bild geltend zu machen (OLG Köln, Urteil vom 21.02.2019, Az. 15 U 132/18).
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