In diesem Beitrag erfahren Sie alles Wichtige rund um einstweilige Verfügungen, einfach und verständlich erklärt. Außerdem geben wir Tipps zu Reaktionsmöglichkeiten einschließlich der jeweiligen Vor- und Nachteile.
Rechtsanwalt Niklas Plutte
Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz
Rechtsanwalt Oliver Wolf, LL.M.
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
Benötigen Sie rechtliche Beratung zu einer einstweiligen Verfügung? Rechtsanwalt Plutte ist Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz. Nutzen Sie unsere kostenlose und unverbindliche Erstberatung.
Inhaltsübersicht
I. Was ist eine einstweilige Verfügung?
1. Wo beantragt man eine einstweilige Verfügung?
2. Wie schnell wird entschieden?
3. Was ist ein Verfügungsanspruch?
4. Was ist ein Verfügungsgrund?
5. Was bedeutet Glaubhaftmachung?
6. Rechtsschutzbedürfnis
7. Rechtsmissbrauch
8. Vollziehung einer einstweiligen Verfügung: Was muss zugestellt werden?
9. Vorläufiger Rechtsschutz: Prozessuale Tipps
II. Vor- und Nachteile von einstweiligen Verfügungen
III. Reaktionsmöglichkeiten auf eine einstweilige Verfügung
1. Abschlusserklärung
2. Widerspruch gegen einstweilige Verfügung
3. Kostenwiderspruch bzw. strafbewehrte Unterlassungserklärung
4. Erzwingung der Hauptsacheklage
5. Aufhebung wegen veränderter Umstände
IV. Hemmung der Verjährung durch Antrag auf einstweilige Verfügung
V. Was kann ein Rechtsanwalt für Sie tun?
I. Was ist eine einstweilige Verfügung?
Kommt es im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes zu rechtlichen Streitigkeiten, werden Ansprüche typischerweise zunächst außergerichtlich per Abmahnung geltend gemacht. Die Abmahnung enthält im Kern die Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung und Zahlung von Abmahnkosten (sowie ggf. Schadensersatz).
- Beispiel: Der Markeninhaber A stellt fest, dass das Unternehmen B eine sehr ähnliche Marke für die gleichen Waren verwendet. Die Marke „B“ wurde zeitlich nach der Marke „A“ registriert. Daraufhin lässt der Markeninhaber A eine markenrechtliche Abmahnung aussprechen.
- Beispiel: Ein Fotograf stellt fest, dass von ihm erstellte Fotos ohne Erlaubnis auf einer fremden Internetseite verwendet werden.
- Beispiel: Ein Unternehmen stellt fest, dass ein Konkurrent unlauteren Wettbewerb betreibt, indem er zu Unrecht damit wirbt, die Nr. 1 der Branche zu sein.
Gibt der Abgemahnte keine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, besteht aus juristischer Sicht Wiederholungsgefahr. Die vorgeworfene Rechtsverletzung nur zu beseitigen, reicht mit Ausnahme sehr seltener Fälle nicht aus.
In dringenden Fällen kann der Abmahner (Antragsteller) seinen Verfügungsanspruch statt einer Klage über ein gerichtliches Eilverfahren durchsetzen und so vorläufigen Rechtsschutz gegenüber dem Abgemahnten (Antragsgegner) erhalten. Hat der Verfügungsantrag Erfolg, erlässt das Gericht das beantragte Verbot in Form einer einstweiligen Verfügung. Darin droht es dem Abgemahnten für den Fall des Verstoßes gegen die Gerichtsentscheidung Ordnungsgeld und ersatzweise Ordnungshaft an (→ zu den Reaktionsmöglichkeiten).
Leistungsverfügungen sind dagegen selten und allenfalls möglich, wenn dem Antragsteller existentielle, irreparable Schäden drohen und die (wirtschaftliche) Notlage nicht anders abgewendet werden kann (vgl. LG Potsdam, Urteil vom 24.03.2022, Az. 2 O 481/21 für die im Fall abgelehnte Öffnung von eBay-Accounts).
Gerade in diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass eine einstweilige Verfügung ihrer Konzeption nach nur vorläufigen Charakter hat, es handelt sich nicht um eine endgültige Entscheidung. Soweit wie möglich gilt ein Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache.
1. Wo beantragt man eine einstweilige Verfügung?
Um eine einstweilige Verfügung zu erhalten, muss man beim zuständigen Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellen.
- Örtlich zuständig ist das Gericht, welches in der Hauptsache (also bei einer „normalen“ Klage) zuständig wäre (§ 937 ZPO). Bei Rechtsverstößen im Internet kann je nach Lage des Falls der fliegende Gerichtsstand eingreifen, was zur Folge hat, dass man nahezu frei wählen kann, bei welchem Gericht der Verfügungsantrag gestellt wird. Je nach Bundesland kann es auch spezielle Zuständigkeitskonzentrationen geben, nach denen ein oder mehrere Gerichte für bestimmte Streitsachen zuständig sind (vgl. § 105 UrhG, § 104 Abs. 2 MarkenG). Beinahe alle Bundesländer haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Eine Übersicht der Gerichtszuständigkeiten bietet die GRUR. Eine Beispiel aus dem Urheberrecht ist etwa die Entscheidung LG Köln, Urteil vom 03.02.2022, Az. 14 O 392/21.
- Ob Amtsgericht, Landgericht oder gar Oberlandesgericht sachlich zuständig sind, hängt in erster Linie vom Streitwert ab. Bei einem Streitwert von bis zu 5.000 Euro ist im Normalfall das Amtsgericht sachlich zuständig, bei einem höheren Streitwert das Landgericht. Es gibt aber auch streitwertunabhängige Zuständigkeiten. In Wettbewerbsstreitigkeiten ist erstinstanzlich z.B. unabhängig vom Streitwert das Landgericht zuständig (§ 14 UWG).
- Die funktionelle Zuständigkeit meint, welche Abteilung, Kammer oder Senat intern für die Entscheidung über den Verfügungsantrag zuständig ist (Beispiel: Kammer für Handelssachen in wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten).
Achtung: Ist der Verfügungsantrag beim Landgericht einzureichen, besteht Anwaltszwang. Das heißt, der Verfügungsantrag muss durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden. Weist das Gericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück, gilt ebenfalls Anwaltszwang nach § 78 Abs. 1 ZPO, wenn gegen die ablehnende Entscheidung Beschwerde eingelegt werden soll (Kammergericht, Beschluss vom 11.07.2023, Az. 5 W 69/23).
2. Wie schnell wird entschieden?
Oft ergehen Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz auf Antrag innerhalb weniger Tage durch gerichtliche Anordnung. Das zuständige Gericht entscheidet entweder durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung oder durch Urteil mit mündlicher Verhandlung. Regelmäßig machen die Gerichte von der Möglichkeit Gebrauch, ohne mündliche Verhandlung und ohne vorherige Anhörung des Schuldners zu entscheiden.
Update: Einstweilige Verfügungen im Presse- und Äußerungsrechts sowie (grundsätzlich auch im) Wettbewerbsrecht dürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr ohne mündliche Verhandlung erlassen werden, wenn der Verfügungsantrag von den mit der Abmahnung geltend gemachten Ansprüchen abweicht; andernfalls läge eine Verletzung des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit vor.
Befürchtet man als Betroffener eine ungerechtfertigte einstweilige Anordnung, besteht die Möglichkeit, eine Schutzschrift einzureichen. Wenn das Gericht die Schutzschrift für (möglicherweise) begründet hält, wird es den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückweisen oder zumindest eine mündliche Verhandlung ansetzen. Leider prüfen nicht alle Gerichte standardmäßig das Schutzschriftenregister vor ihrer Entscheidung. Abgemahnte sollten daher in der Reaktion auf die Abmahnung darauf hinweisen, dass eine Schutzschrift eingereicht wurde, die Registernummer mitteilen und den Abmahnenden auffordern, das Reaktionsschreiben zusammen mit einem etwaigen Verfügungsantrag bei Gericht vorzulegen.
Voraussetzung für den Erfolg einer einstweiligen Verfügung ist, dass
- der Antragsteller einen Verfügungsanspruch gegen den Anspruchsgegner hat,
- ein Verfügungsgrund besteht
- und der Antragsteller die den Anspruch begründenden Tatsachen glaubhaft macht.
3. Was ist ein Verfügungsanspruch?
Mit dem Begriff „Verfügungsanspruch“ ist der Rechtsanspruch des Gläubigers im gerichtlichen Eilverfahren gemeint. Im Gegensatz zu einer Hauptsacheklage kann nicht jede Forderung per einstweiliger Verfügung durchgesetzt werden, sondern nur Ansprüche auf:
- Unterlassung
Beispiel: Händler Müller fordert von Konkurrent Meier, irreführende Werbung im Internet zu unterlassen. - Beseitigung, aber nur, wenn dadurch keine endgültigen, unumkehrbaren Verhältnisse geschaffen werden.
Beispiele: Vernichtung von Ware oder Werbemitteln, Löschung einer Marke oder Firma aus Register. - Auskunft und Besichtigung
Bei offensichtlichen Rechtsverletzungen möglich im Urheberrecht und gewerblichen Rechtsschutz (Beispiel: markenrechtliche Auskunftsansprüche, vgl. auch § 101 Abs. 3 UrhG, § 46 Abs. 3 Designgesetz etc.), außerdem zur Erlangung einer Urkunde oder zur Duldung der Besichtigung einer Sache.
Beispiel: Besichtigung von Konkurrenzsoftware bei „gewisser Wahrscheinlichkeit“, dass Quellcode geklaut wurde (vgl. LG Frankfurt, Beschlüsse vom 13.05.2005 und 01.09.2005, Az. 2-3 O 258/05 – Antragsgegner schuldete im einstweiligen Verfügungsverfahren die Herausgabe des gesamten Programmquellcodes an einen Sachverständigen). - Widerruf bei Persönlichkeitsrechtsverletzung
- Gegendarstellung im Presserecht, sogar nur möglich per einstweiliger Verfügung
Dagegen können die folgenden Ansprüche nicht im einstweiligen Verfügungsverfahren durchgesetzt werden. Hier muss ggf. Hauptsacheklage erhoben werden:
- Schadensersatz, z.B. bei Fotorechtsverletzungen
- Abgabe einer Willenserklärung
- Feststellungsanspruch
4. Was ist ein Verfügungsgrund?
Neben einem Verfügungsanspruch benötigt der Antragsteller auch einen „Verfügungsgrund“, um seine Forderung ausnahmsweise im einstweiligen Verfügungsverfahren durchsetzen zu dürfen. Ein Verfügungsgrund besteht, wenn der Fall eilbedürftig ist (Synonym: „dringlich“) und es dem Antragsteller nicht zugemutet werden kann, den Anspruch per Hauptsacheklage geltend zu machen.
Eilbedürftigkeit muss der Antragsteller grundsätzlich glaubhaft machen. Ausnahmen bilden zum Beispiel das Wettbewerbsrecht und Markenrecht, wo gesetzlich vermutet wird, dass die Anspruchsdurchsetzung eilbedürftig ist.
Tipp: Wir haben einen ausführlichen Beitrag zur Dringlichkeit bzw. Eilbedürftigkeit bei einstweiligen Verfügungen in den Bereichen Wettbewerbsrecht, Markenrecht, Urheberrecht, dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen sowie Deliktsrecht und Persönlichkeitsrecht verfasst. Im vorstehenden Artikel finden Sie eine umfangreiche Liste zu Entscheidungen deutscher Gerichte, wie lange der Antragsteller von der Rechtsverletzung Kenntnis haben darf, um noch im Eilverfahren vorgehen zu dürfen.
5. Was bedeutet Glaubhaftmachung?
Sinn und Zweck des gerichtlichen Eilverfahrens sind schnelle Ergebnisse. Im Gegensatz zum Hauptsacheverfahren sollen ganz bewusst keine langwierigen Beweisaufnahmen stattfinden. Daher muss der Antragsteller im Eilverfahren keine Beweise erbringen. Es reicht nach § 294 ZPO aus, wenn er die anspruchsbegründenden Tatsachen nur glaubhaft macht.
Im Unterschied zum Beweis reicht es im Rahmen der Glaubhaftmachung aus, wenn der Richter die jeweilige Tatsache für wahrscheinlich hält. Eine persönliche Überzeugung des Richters von der Richtigkeit der Tatsachenbehauptung ist nicht nötig.
Zur Glaubhaftmachung zugelassen sind beispielsweise
- Urkunden
- Unbeglaubigte Fotokopien
- Lichtbilder
- Zeugenaussagen mit der Einschränkung, dass eine Benennung von abwesenden Zeugen wegen § 294 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen ist.
- Schriftliche Zeugenaussagen
- Telefonische Auskünfte und Bestätigungen
- Parteivernehmung
- Augenschein
- Privat eingeholte Sachverständigengutachten. Wegen § 294 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen sind Sachverständigengutachten.
- Eidesstattliche Versicherung von Zeugen und – anders als bei einer Hauptsacheklage – des Antragstellers selbst!
Entscheidend ist wegen des zeitkritischen Moments im Eilverfahren, dass die Glaubhaftmachung sofort erfolgen kann.
6. Rechtsschutzbedürfnis
Ein Anspruch kann nicht per einstweiliger Verfügung durchgesetzt werden, wenn das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
Bei Leistungsklagen besteht grundsätzlich ein Rechtsschutzbedürfnis. Es entfällt nur dann, wenn dem Anspruchsinhaber ein einfacherer Weg zur Verfügung steht, zu einem mindestens gleichwertigen Ergebnis wie bei Durchführung eines Rechtsstreits zu gelangen, oder der Antrag bzw. die Klage unter keinen Umständen zu einem Vorteil führen kann (vgl. BGH, Urteil vom 23.04.2020, Az. I ZR 85/19 – Preisänderungsregelung; BGH, Urteil vom 21.09.2017, Az. I ZR 58/16 – Sicherung der Drittauskunft).
Gerichtsentscheidungen zum Rechtsschutzbedürfnis bei einstweiligen Verfügungen:
- Wer den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, muss – unaufgefordert und unverzüglich – wahrheitsgemäß, vollständig und eindeutig zur Reaktion des Abgemahnten auf die Abmahnung vortragen. Das gilt grundsätzlich nicht nur in Bezug auf eine inhaltliche Reaktion, sondern auch im Hinblick auf eine Bitte des Abgemahnten, die gesetzte Frist zur Stellungnahme und/oder Abgabe einer Unterlassungserklärung zu verlängern. Eine Verletzung dieser Pflicht lässt den Schluss zu, man habe versucht, eine einstweilige Verfügung zu erschleichen. Rechtsfolge ist regelmäßig die Unzulässigkeit der Geltendmachung des Anspruchs im Eilverfahren. Ob sich das unredliche Verhalten prozessual im Ergebnis ausgewirkt hat, ist unerheblich. Muss der Antragsteller infolge seines Verhaltens damit rechnen, dass das angegangene Gericht Anlass sieht, bei ihm und gegebenenfalls auch beim Antragsgegner insoweit nachzufragen, sowie damit, dass sich der Abschluss des Verfahrens deshalb verzögert, gibt er zu erkennen, dass es ihm nicht eilig ist. Er widerlegt dadurch zusätzlich zu der vorgenannten Rechtsfolge eine etwaige Dringlichkeitsvermutung. Es kommt nicht darauf an, ob sich das Verfahren in der Folge tatsächlich verzögert. Beruft sich der Antragsteller darauf, der Verstoß gegen vorstehende Obliegenheit sei versehentlich erfolgt, muss er entsprechende konkrete Umstände substantiiert darzulegen (vgl. Kammergericht, Beschluss vom 15.10.2021, Az. 5 W 133/21).
- Verfügt der Gläubiger bereits über einen vollstreckbaren Unterlassungstitel, der die konkrete Verletzungsform zweifelsfrei erfasst, kann das Rechtsschutzbedürfnis für ein erneutes gerichtliches Vorgehen fehlen, z.B. nach Abgabe einer Abschlusserklärung (BGH, Urteil vom 19.05.2010, Az. I ZR 177/07 – Folienrollos). Das gilt insbesondere dann, wenn der Schuldner den erneuten Verstoß eingesteht. Dagegen besteht ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Schuldner die Auffassung vertritt, die erneute Zuwiderhandlung verletze den Unterlassungstitel nicht (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 14.03.2013, Az. 6 U 227/12 – Werbekampagne).
- Kommt es im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes zu einem Wettbewerbsverstoß, entsteht durch die Verletzungshandlung ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen Unterlassungsgläubiger und Unterlassungsschuldner. Dieses Schuldverhältnis wird durch die Abmahnung konkretisiert. Der Inhalt der wettbewerbsrechtlichen Sonderbeziehung wird in besonderem Maße durch Treu und Glauben bestimmt und ist geeignet, Aufklärungs- und Antwortpflichten zu begründen (BGH, Urteil vom 08.11.2007, Az. I ZR 172/05 – EURO und Schwarzgeld; BGH, Urteil vom 01.12.1994, Az. I ZR 139/92 – Kosten bei unbegründeter Abmahnung). Die sich aus dieser wettbewerbsrechtlichen Sonderbeziehung ergebenden Pflichten bestehen grundsätzlich für beide Seiten (Unterlassungsgläubiger und Unterlassungsschuldner). Hierzu zählt eine Aufklärungspflicht als allgemeine Pflicht, die jeweils andere Seite auf entscheidungserhebliche Umstände hinzuweisen, die im Falle des Ausbleibens eines Hinweises zu überflüssigen und aussichtslosen Prozessen führen können. So kann der Abmahner bspw. dazu verpflichtet sein, auf etwaige Mängel der Unterlassungserklärung hinzuweisen, sollte es sich erkennbar um ein bloßes Versehen handeln (Götting/Nordemann, UWG Handkommentar, § 12). Weist der Abmahner auf derartige Mängel nicht hin, kann einem nachfolgenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung das Rechtsschutzbedürfnis fehlen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 31.03.2022, Az. 6 W 11/22).
- Stellt ein Antragsteller zunächst einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei einem Gericht und nimmt er anschließend diesen Antrag wieder zurück, weil dieses Gericht Bedenken anmeldet, nicht ohne mündliche Verhandlung entscheidet oder keine Antworten auf Fragen zur Erfolgsaussicht des Antrages gibt, fehlt es für einen sodann bei einem anderen Gericht eingegangenen Antrag im Allgemeinen an einem Rechtsschutzbedürfnis (OLG Düsseldorf, Urteil vom 31.01.2019, Az. I-20 U 87/18).
7. Rechtsmissbrauch
Im Wettbewerbsrecht ist die Geltendmachung von Ansprüchen auf Beseitigung und Unterlassung nach § 8c UWG unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere, wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Eine rechtsmissbräuchliche wettbewerbsrechtliche Abmahnung führt dazu, dass nachfolgend auch keine einstweilige Verfügung mehr erlassen werden darf.
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Eine missbräuchliche Abmahnung wegen einer Urheberrechtsverletzung führt dagegen grundsätzlich (anders als im Wettbewerbsrecht) nicht zum Erlöschen des Unterlassungsanspruchs und zur Unzulässigkeit einer nachfolgenden Klage (BGH, Urteil vom 31.05.2012, Az. I ZR 106/10 – Ferienluxuswohnung). Im Urheberrechtsgesetz gibt es keine § 8c UWG entsprechende Vorschrift. Eine analoge Anwendung von § 8c UWG im Urheberrecht scheidet aus, weil keine planwidrige Regelungslücke besteht. Allerdings gilt auch für urheberrechtliche Ansprüche das allgemeine Verbot unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB). Die im Wettbewerbsrecht zur missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen entwickelten Rechtsgrundsätze beruhen ebenfalls auf dem Gedanken der unzulässigen Rechtsausübung. Sie können daher unter Berücksichtigung der zwischen den beiden Rechtsgebieten bestehenden Unterschiede grundsätzlich auch für das Urheberrecht fruchtbar gemacht werden (LG Köln, Urteil vom 22.08.2022, Az. 14 O 327/21).
8. Vollziehung einer einstweiligen Verfügung: Was muss zugestellt werden?
Anders als beim einem Urteil im Hauptsacheverfahren, dass den Parteien automatisch vom Gericht zugestellt wird, muss eine einstweilige Verfügung durch Zustellung gegenüber dem Antragsgegner vollzogen werden.
Das gilt vor allem dann, wenn das Gericht per Beschluss ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners entschieden hat. In diesem Fall schickt das Gericht den Verfügungsbeschluss nur an den Antragsteller, den ihn wiederum dem Antragsgegner zustellen muss. Erst durch die Zustellung vom Antragsteller an den Antragsgegner (= „Vollziehung“) entfaltet die einstweilige Verfügung ihre rechtliche Wirkung.
Die Zustellung der einstweiligen Verfügung kann über einen Gerichtsvollzieher erfolgen. Wenn beide Parteien anwaltlich vertreten sind, ist alternativ auch eine Zustellung von Anwalt zu Anwalt möglich.
Fehler bei der Vollziehung führen häufig dazu, dass die einstweilige Verfügung zu Fall gebracht werden kann!
Was genau für eine wirksame Vollziehung zugestellt werden muss, ist im Einzelnen sehr umstritten. Der sicherste Weg besteht darin, eine sogenannte „Ausfertigung“ der einstweiligen Verfügung samt beglaubigter Antragsschrift und Anlagen in ebenfalls beglaubigter Form zuzustellen. Nach richtiger Auffassung reicht heute aber auch bereits die Zustellung einer beglaubigten Abschrift des Verfügungsbeschlusses (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.02.2019, Az. 20 U 101/18). Anders verhält es sich bei ohne Begründung versehenen Beschlussverfügungen, die auf Anlagen Bezug nehmen. Eine derartige einstweilige Verfügung wird nur dann wirksam vollzogen, wenn dem Schuldner neben dem Beschluss selbst auch die Anlagen zugestellt werden, die Aufschluss über Inhalt und Reichweite des Verbots geben (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 01.04.2020, Az. 6 W 34/20). Wird eine einstweilige Verfügung von Anwalt zu Anwalt über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) vollzogen, ist es ausreichend, wenn das Verfügungsurteil zusammen mit den verbundenen Signaturdateien zugestellt wird; eine weitere Beglaubigung ist nicht erforderlich (OLG Dresden, Endurteil vom 22.08.2023, Az. 4 U 779/23 – Parteizustellung).
Vollziehungsfrist: Der Antragsteller muss die einstweilige Verfügung binnen eines Monats an den Antragsgegner zustellen (§§ 922 Abs. 2, 929 Abs. 2 ZPO). Beim Lauf der Vollziehungsfrist wird unterschieden zwischen Beschluss- und Urteilsverfügung, also danach, ob die einstweilige Verfügung per Beschluss oder Urteil erlassen wurde. Bei einem Urteil ist der Tag der Urteilsverkündigung maßgeblich (OLG Köln, Urteil vom 13.10.2017, Az. 6 U 83/17). Bei einer Beschlussverfügung läuft die Vollziehungsfrist ab dem Tag, an dem die Beschlussverfügung dem Antragsteller bzw. seinem Rechtsanwalt vom Gericht zugestellt wurde. Umstritten ist, die Vollziehungsfrist auch ohne ordnungsgemäße Zustellung durch das Gericht zu laufen beginnt.
Beispiel: Gericht schickt dem Antragsteller versehentlich den Verfügungsbeschluss ohne Anlagen zu, die mit der Verfügung an den Antragsgegner zuzustellen waren (OLG Koblenz, Urteil vom 21.03.2013, Az. 9 U 1156/12).
Der Tag des Fristablaufs wird über §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2, Abs. 3 BGB berechnet (OLG Hamburg, Beschluss vom 15.11.2017, Az. 3 W 38/17). Fällt das Fristende auf einen Sonntag, allgemeinen Feiertag oder Samstag, so endet die Frist erst mit dem nächsten Werktag (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31.10.2000, Az. 20 U 126/00).
Die Vollziehungsfrist ist zwingend. Wird eine einstweilige Verfügung nicht innerhalb der Vollziehungsfrist auf wirksame Weise zugestellt, verfällt sie. Der Antragsgegner kann dann einen Antrag auf Aufhebung stellen, wobei der Antragsteller die Kosten des Prozesses tragen muss. Eine nachträgliche Zustellung heilt das Fristversäumnis nicht. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht möglich (Harte/Henning, UWG, § 12, Rdn. 509; Büscher in Fezer, UWG, § 12, Rdn. 134).
Ausnahme: Erfolgt die Zustellung durch einen Gerichtsvollzieher an den Antragsgegner erst nach Ablauf der Monatsfrist, reicht es nach § 167 ZPO für die Einhaltung der Vollziehungsfrist aus, wenn der Antragsteller zuvor alle nötigen und zumutbaren Handlungen vorgenommen hatte, damit die einstweilige Verfügung „demnächst“ an den Antragsgegner zugestellt wird. Es reicht daher in der Praxis aus, wenn der Antragsteller die Zustellung innerhalb der Monatsfrist bei der zuständigen Stelle mit allen nötigen Unterlagen korrekt beantragt (vgl. BGH, Beschluss vom 15.12.2005, Az. I ZB 63/05, typischerweise ist das die Gerichtsvollzieherverteilerstelle beim zuständigen Vollstreckungsgericht).
Für nach dem 10.01.2015 in einem EU-Mitgliedsstaat ergangene Titel ist in Deutschland gemäß Art. 39 EuGVVO n.F. keine Vollstreckbarerklärung erforderlich. Für EU-Titel dürfte in Deutschland damit ebenfalls eine Vollziehungsfrist von einem Monat gelten (vgl. BGH, Beschluss vom 13.12.2018, Az. V ZB 175/15). Mit der Vollstreckung von vor dem 10.01.2015 ergangenen EU-Titeln in Deutschland befasst sich der ZPO Blog.
9. Vorläufiger Rechtsschutz: Prozessuale Tipps
Im gewerblichen Rechtsschutz richtet sich der vorläufige Rechtsschutz prozessual nach der Zivilprozessordnung (ZPO), ergänzt um einzelne Sondervorschriften in den Spezialgesetzen, z.B. dem UWG oder Markengesetz. Zu beachten ist allerdings, dass die Gerichte für Eilverfahren im sog. „grünen Bereich“ über die Jahre ein nahezu eigenständiges Prozessrecht abgeleitet haben. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die entwickelten Regeln teilweise je nach Gerichtsbezirk unterscheiden, wie die Rechtsprechung zur Dringlichkeit und zum fliegenden Gerichtsstand zeigt.
Weitere Beispiele:
- Sind die vorgerichtliche Abmahnung und die Antragsschrift im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht deckungsgleich, kann eine schriftliche Anhörung des Antragsgegners erforderlich sein. Erkennt der Antragsgegner im Rahmen der schriftlichen Anhörung den Antrag an, kann den Antragsteller aufgrund der fehlenden Deckungsgleichheit die Kostenfolge des § 93 ZPO treffen (LG Frankfurt, Urteil vom 03.04.2019, Az. 2-03 O 508/18). Update: In der vorstehenden Konstellation muss der Antragsgegner laut Bundesverfassungsgericht angehört werden.
- Wenn ein Richter dem Antragsteller einen Hinweis erteilt, wie ein unschlüssiger Verfügungsantrag umformuliert werden kann und er den Antragsgegner, der eine Schutzschrift hinterlegt hat, nicht über diesen Hinweis informiert, um nach Anpassung des Antrags ohne mündliche Verhandlung die einstweilige Verfügung per Beschluss zu erlassen, ist die Besorgnis der Befangenheit begründet (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.03.2019, Az. 11 W 70/18).
II. Vor- und Nachteile von einstweiligen Verfügungen
Die folgende Darstellung soll Ihnen einen Überblick über die wichtigsten Voraussetzungen und Besonderheiten der einstweiligen Verfügung geben.
Schnelle Anspruchsdurchsetzung
Meist keine Anhörung des Gegners vor eV (aber: BVerfG)
Chance auf schnelle und dauerhafte Streitbeendigung
Kein Strengbeweis, Glaubhaftmachung reicht aus
Antragsteller muss Gerichtskosten nicht vorstrecken
Optimalfall: Gericht erlässt Verfügung trotz Schutzschrift
Vollziehung kann gesteuert werden z.B. durch Schubladenverfügung
Vgl. Sicherung von Geldforderungen per „Arrest“ (§ 917 ZPO)
Nur vorläufiger Rechtsschutz
Gegner kann Widerspruch einlegen → mündliche Verhandlung
Schadenersatzrisiko, falls sich eV als unberechtigt erweist
Nur zulässig bei besonderer Dringlichkeit (aber § 12 II UWG)
Bei Zurückweisung zahlt Antragsteller Prozesskosten
Schutzschrift kann zu (teilweiser) Zurückweisung der eV führen
Keine Zustellung der Verfügung von Amts wegen
Keine einstweilige Verfügung wegen Geldansprüchen
III. Reaktionsmöglichkeiten auf eine einstweilige Verfügung
Für Empfänger einer einstweiligen Verfügung ist es wichtig zu wissen, dass auf die einstweilige Verfügung immer reagiert werden sollte. Das gilt auch und gerade, wenn man die Gerichtsentscheidung akzeptieren will, das heißt keinen Widerspruch erheben möchte. Denn ohne Reaktion entstehen zusätzliche Kosten, die leicht vermeidbar gewesen wären. Die verschiedenen Rechtsmittel und Reaktionsmöglichkeiten nach Erhalt einer einstweiligen Verfügung stellen wir nachfolgend samt ihrer jeweiligen Vor- und Nachteile dar.
1. Abschlusserklärung
Bei einer prozessual und inhaltlich berechtigten einstweiligen Verfügung wird dem Schuldner daran gelegen sein, die Auseinandersetzung schnell und dauerhaft zu beenden, ohne dass weitere Kosten entstehen.
Wegen des vorläufigen Charakters einer einstweiligen Anordnung reicht es nicht aus, passiv zu bleiben und die Verfügung „still“ zu akzeptieren, da einstweilige Verfügungen im Gegensatz zu Hauptsacheklagen nicht von sich aus durch Zeitablauf rechtskräftig werden, sondern nach einer gewissen Zeit aufgehoben werden können, wenn sie nicht als endgültige Regelung anerkannt oder durch ein Hauptsacheurteil bestätigt wurden.
Wer eine einstweilige Verfügung erhalten hat und den Rechtsstreit beenden will, muss daher von sich aus tätig werden und kurzfristig eine Abschlusserklärung abgeben. Wartet er nach der Zustellung der einstweiligen Verfügung mit der Abgabe der Abschlusserklärung zu lange ab, riskiert er ein Abschlussschreiben der Gegenseite, dass unter Umständen erstattungspflichtige Kosten auslöst.
Vorteile und Nachteile der Abschlusserklärung
Vorteil: Endgültige Erledigung des Streits, Einsparung zusätzlicher Kosten(-risiken).
Nachteil: Keine Möglichkeit, Gericht eigene Sichtweise vorzutragen.
Typischerweise sinnvoll bei: Vollständig berechtigten einstweiligen Verfügungen.
2. Widerspruch gegen einstweilige Verfügung
Ist der Empfänger aus prozessualen oder inhaltlichen Gründen mit der einstweiligen Verfügung nicht einverstanden, kann er Widerspruch einlegen.
- Wo legt man Widerspruch ein? Örtlich und sachlich ausschließlich zuständig ist das Gericht, das die einstweilige Verfügung erlassen hat. Ausnahme: Die einstweilige Verfügung wurde erst vom Beschwerdegericht erlassen. In diesem Fall ist das Gericht 1. Instanz für den Widerspruch zuständig.
- Kann ich selbst Widerspruch einlegen? Vor dem Amtsgericht kann man ohne Anwalt Widerspruch einlegen (ob dies eine gute Idee ist, steht auf einem anderen Blatt). Vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten gilt hingegen Anwaltszwang. Das bedeutet, dass Widerspruch dort durch einen Rechtsanwalt bei Gericht eingereicht werden muss. Wir unterstützen Sie gerne.
- Kann man einen teilweisen Widerspruch einlegen? Ja. Es ist nicht erforderlich (wenngleich der typische Fall), dass gegen die gesamte Verfügung Widerspruch eingelegt wird.
- Muss man einen Widerspruch begründen? Nein, das ist kein Muss, jedoch dringend zu empfehlen. Insbesondere sollte man die Antragsschrift des Gegners vor Erhebung des Widerspruchs kennen und nicht „blind“ Widerspruch einlegen.
- Muss man sich an die einstweilige Verfügung halten, nachdem man Widerspruch eingelegt ja? Ja. Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung wird durch den Widerspruch nicht gehemmt (§ 924 Abs. 3 S. 1 ZPO). Auch im Falle eines Widerspruchs muss sich der Betroffene bis zu einer etwaigen gerichtlichen Aufhebung an die Verfügung halten, selbst wenn diese zu Unrecht ergangen ist. Andernfalls riskiert er die Verhängung von Ordnungsmitteln. Die Wirkung einer zunächst erlassenen einstweiligen Verfügung entfällt allerdings bereits mit Verkündung des die einstweilige Verfügung aufhebenden Urteils und nicht erst mit dessen Rechtskraft (OLG Celle, Beschluss vom 17.09.2015, Az. 13 U 72/15).
- Gibt es eine Frist für die Einlegung des Widerspruchs? Nein. Wird der Widerspruch erst nach vielen Monaten eingelegt, riskiert der Antragsgegner aber unter Umständen eine Zurückweisung wegen Verwirkung.
Über den Widerspruch wird in einer mündlichen Verhandlung entschieden. Der Empfänger der einstweiligen Verfügung hat auf diese Weise die Möglichkeit, dem Gericht seine Argumente und Sichtweise schriftlich sowie in der mündlichen Verhandlung zu schildern. Bei Erfolg kann er eine vollständige oder zumindest teilweise Aufhebung der einstweiligen Verfügung erreichen. Auf den Widerspruch hin wird das Gericht kurzfristig einen Termin für die mündliche Verhandlung anberaumen und über die einstweilige Verfügung per Urteil entscheiden, sofern sich die Parteien nicht einigen. Gegen ein solches Urteil kann ggf. Berufung eingelegt werden.
Vorteile und Nachteile eines Widerspruchs
Vorteil: Möglichkeit, Gericht eigene Sichtweise vorzutragen und eine (teilweise) Aufhebung der einstweiligen Verfügung zu erreichen.
Nachteil: Zusätzliches Kostenrisiko.
Typischerweise sinnvoll bei: Vollständig oder teilweise unberechtigte einstweilige Verfügung.
3. Kostenwiderspruch bzw. strafbewehrte Unterlassungserklärung
Neben den Möglichkeiten, eine einstweilige Verfügung zu akzeptieren oder gegen ihren Bestand vorgehen, gibt es weitere abgestufte Reaktionsmöglichkeiten.
Wenn sich der Empfänger der einstweiligen Verfügung z.B. nur gegen die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens wehren will, gleichzeitig aber bereit ist, den Anspruch inhaltlich anzuerkennen, empfiehlt sich eine gemischte Verteidigungsstrategie in Form einer der folgenden Varianten:
- Der Empfänger der einstweiligen Verfügung erhebt lediglich einen Kostenwiderspruch. Dadurch erkennt er den materiell-rechtlichen Verfügungsanspruch des Gläubigers an und verzichtet gleichzeitig auf die Einlegung eines Vollwiderspruchs. Das Gericht entscheidet in diesem Fall nur über die Kosten des Verfügungsverfahrens per Endurteil. Für den anwaltlichen Kostenwiderspruch entsteht eine 1,3 Verfahrensgebühr nach dem Wert der Kosten, dagegen keine weitere 0,8-Verfahrensgebühr aus dem Gegenstandswert des Verfügungsverfahrens (BGH, Beschluss vom 15.08.2013, Az. I ZB 68/12). Ein nach Kostenwiderspruch erlassenes Urteil ist der Sache nach ein Anerkenntnisurteil mit einer Kostenentscheidung, so dass das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach § 99 Abs. 2 ZPO gegeben ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.12.2014, Az. 11 U 73/14).
- Umstritten ist, ob ein Widerspruch – auch ein Kostenwiderspruch – stets bei dem Gericht eingelegt werden muss, das die einstweilige Verfügung erlassen hat. Die wohl herrschende Meinung lehnt das ab. Erlasse das Beschwerdegericht erstmals die begehrte Verfügung, müsse der Kostenwiderspruch trotzdem beim Gericht der ersten Instanz eingelegt werden. Andernfalls würde der widersprechenden Partei eine Instanz genommen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.11.2010, Az. 2 W 39/10; OLG Frankfurt, Urteil vom 02.09.2016, Az. 2 U 71/16; Kammergericht, Beschluss vom 27.11.2007, Az. 5 W 278/07). Das Oberlandesgericht Dresden vertritt in einer neueren Entscheidung die gegenteilige Auffassung. Für die Entscheidung über einen Kostenwiderspruch gegen eine erstmals vom Beschwerdegericht erlassene einstweilige Verfügung sei aus Gründen der Prozessökonomie nicht das Ausgangsgericht zuständig, sondern das Beschwerdegericht. Im Fall hatte das Landgericht den Verfügungsantrag abgelehnt, worauf der Antragsteller Beschwerde zum Oberlandesgericht eingelegt hatte, das wiederum die gewünschte einstweilige Verfügung erließ. Der Antragsgegner legte Kostenwiderspruch ein. Nach der (früher) herrschenden Meinung wäre Landgericht für die Entscheidung über den Kostenwiderspruch zuständig, nach Meinung des OLG Dresden das Oberlandesgericht (OLG Dresden, Beschluss vom 02.01.2024, Az. 4 W 94/22 – Behandlung des Kostenwiderspruchs).
- Der Empfänger der einstweiligen Verfügung gibt vor oder mit dem Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. In diesem Fall ist die Hauptsache für erledigt zu erklären mit der Folge, dass das Gericht über die Kosten des Verfahrens per Beschluss entscheiden wird. Hat der Schuldner durch sein Verhalten keinen Anlass für die einstweilige Verfügung gegeben, wird das Gericht dem Gläubiger die Kosten des Verfahrens auferlegen.
Vorteile und Nachteile von Kostenwiderspruch bzw. strafbewehrter Unterlassungserklärung
Vorteil: Gericht prüft Berechtigung des gegnerischen Hauptanspruchs. Möglichkeit, Verfahrenskosten auf Antragsteller abzuwälzen. Geringeres Kostenrisiko als Vollwiderspruch.
Nachteil: Zusätzliches, wenngleich reduziertes Kostenrisiko im Vergleich zur Abgabe einer Abschlusserklärung. Bei Verstoß gegen Unterlassungspflicht droht Vertragsstrafe bzw. Ordnungsmittel.
Typischerweise sinnvoll bei: Fehlendem Anspruchsgrund für einstweilige Verfügung mangels Eilbedürftigkeit, keine vorherige Abmahnung.
4. Erzwingung der Hauptsacheklage
Nach § 926 ZPO besteht außerdem die Möglichkeit, ein Hauptsacheverfahren zu erzwingen, also eine reguläre Hauptsacheklage des Gläubigers. Das Gericht wird dem Gläubiger in diesem Fall auf Antrag des Schuldner eine Frist zur Klageerhebung setzen. Versäumt der Gläubiger diese Frist, kann die einstweilige Anordnung auf weiteren Antrag des Schuldners per Urteil aufgehoben werden. Ansonsten wird der Streit im Hauptsacheverfahren fortgeführt.
Vorteile und Nachteile der Erzwingung einer Hauptsacheklage
Vorteil: Chance auf Aufhebung der Verfügung, verbunden mit endgültiger streitiger Klärung im Hauptsacheprozess, ggf. Kostentragung durch Schuldner für Verfügungs- und Hauptsacheverfahren. Keine Glaubhaftungmachung, sondern Strengbeweisverfahren.
Nachteil: Doppeltes Kostenrisiko (Verfügungs- und Hauptsacheverfahren).
Typischerweise sinnvoll bei: Keine Wiederholungsgefahr bei Schuldner, fehlende Nachweisbarkeit mithilfe von eidesstattlichen Versicherungen.
5. Aufhebung wegen veränderter Umstände
Wenn sich nach Erlass der einstweiligen Anordnung Umstände verändern, die für den Erlass maßgeblich waren, kann die einstweilige Verfügung auf Antrag des Schuldners aufgehoben werden. Zu den relevanten Gründen zählt beispielsweise der Wegfall der Eilbedürftigkeit oder das Anbieten einer Sicherheitsleistung. Der Aufhebungsanspruch unterliegt keiner Frist, aber dem Einwand der Verwirkung.
Die Kosten des Aufhebungsverfahrens trägt nach allgemeinen Regeln der Unterliegende. Der Schuldner muss dem Gläubiger vor der Stellung des Aufhebungsantrags allerdings die Möglichkeit geben, freiwillig auf die einstweilige Anordnung zu verzichten. Ansonsten riskiert er ein sofortiges Anerkenntnis des Gläubigers mit der Folge, dass er trotz berechtigtem Aufhebungsantrag die Kosten des Aufhebungsverfahrens tragen muss.
Vorteile und Nachteile der Aufhebung wegen veränderter Umstände
Vorteil: Wegfall der einstweiligen Verfügung für die Zukunft.
Nachteil: Kostentragung bei Abweisung des Aufhebungsantrags.
Typischerweise sinnvoll bei: rechtskräftiger Abweisung des Unterlassungsanspruchs im Hauptsacheverfahren, mangelnde Vollziehung der einstweiligen Verfügung, neue Rechtslage (Gesetz, Rechtsprechung), neue tatsächliche Umstände, Verjährung des Unterlassungsanspruchs.
Hinweis: Stellt sich heraus, dass die einstweilige Verfügung von Anfang an unberechtigt war, schuldet der Gläubiger dem Schuldner gemäß § 945 ZPO Schadenersatz, und zwar verschuldensunabhängig.
IV. Hemmung der Verjährung durch Antrag auf einstweilige Verfügung
Durch Einreichung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei Gericht wird die Verjährung eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 9 BGB gehemmt (BGH, Beschluss vom 28.01.2016, Az. I ZR 231/14 – MeinPaket.de). Für die Reichweite der Hemmung der Verjährung kommt es auf den Streitgegenstand des Verfügungsverfahrens an.
„Bei der wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage bildet die konkrete Verletzungsform den Streitgegenstand, wenn mit der Klage ein entsprechendes Unterlassungsbegehren verfolgt wird. Der Streitgegenstand umfasst in diesem Fall – unabhängig davon, ob der Kläger sich auf diese Rechtsverletzung gestützt und den zu dieser Rechtsverletzung gehörenden Tatsachenvortrag gehalten hat – alle Rechtsverletzungen, die in der konkreten Verletzungsform verwirklicht sind, auch wenn die verschiedenen Verletzungen jeweils einen unterschiedlichen Tatsachenvortrag erfordern (BGH, Urteil vom 13.09.2012, Az. I ZR 230/11 – Biomineralwasser).“
V. Was kann ein Rechtsanwalt für Sie tun?
Es gibt Bereiche im Leben, in denen juristische Laien selbst bei intensiver Einarbeitung nicht in der Lage sind, mit der nötigen Gewissheit zu beurteilen, welche Strategie ihre Rechte am besten wahrt. Zu diesen Bereichen gehört das gerichtliche Eilverfahren, gilt unabhängig davon, ob im jeweiligen Fall Anwaltszwang besteht oder nicht.
- Die Erwirkung einer einstweiligen Verfügung im gewerblichen Rechtsschutz erfordert, dass sich der Antragsteller nicht nur im materiellen Recht gut auskennt, sondern auch und gerade im Prozessrecht, dort insbesondere in der Zivilprozessordnung (ZPO). Vom Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beim zuständigen Gericht über die korrekte Zustellung der gerichtlichen Verfügung binnen Monatsfrist lauern zahlreiche rechtliche Tücken, die es zu umschiffen gilt. Wer Fehler begeht (z.B. durch fehlerhafte Zustellung an den Antragsgegner), wird erleben, wie schnell eine einstweilige Verfügung in sich zusammenfallen kann mit der Folge, dass man sämtliche Prozesskosten zu tragen hat.
- Spiegelbildlich erfordert die Verteidigung gegen eine einstweilige Verfügung eine sehr gute Kenntnis des materiellen und prozessualen Rechts. Vor allem bei inhaltlich berechtigten Vorwürfen geben Empfänger von einstweiligen Verfügungen mitunter vorschnell klein bei, weil sie Formfehler und Zustellungsmängel nicht erkennen. Ein in Eilverfahren erfahrener Rechtsanwalt wird solche Fehler hingegen aufdecken und zu nutzen wissen.
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