Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt Dringlichkeit bzw. Eilbedürftigkeit der Sache voraus (sog. Verfügungsgrund). Dieser Beitrag befasst sich mit den Voraussetzungen der Dringlichkeit und ihrer Widerlegung im gewerblichen Rechtsschutz.
Inhaltsübersicht
I. Dringlichkeit im einstweiligen Rechtsschutz
1. Wettbewerbsrecht
2. Markenrecht
3. Urheberrecht
4. Know-how-Schutz (GeschGehG)
5. Deliktsrecht
6. Persönlichkeitsrecht, Äußerungsrecht
II. Eigene Kenntnis und Zurechnung von Drittwissen
III. Kenntnis von Tatsachen je Streitgegenstand
IV. Widerlegung der Dringlichkeit durch Zeitablauf mit Rechtsprechungsübersicht
V. Widerlegung der Dringlichkeit durch Verzögerung mit Rechtsprechungsübersicht
VI. Widerlegung der Dringlichkeit durch fehlendes Vorgehen gegen Quelle
VII. Darlegungslast für Widerlegung der Dringlichkeit
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I. Dringlichkeit im einstweiligen Rechtsschutz
Eine einstweilige Verfügung setzt die objektiv begründete Gefahr voraus, dass durch eine Veränderung des Status quo die Rechtsverwirklichung des Antragstellers in einem möglichen Hauptsacheverfahren vereitelt oder erschwert werden könnte. Sie ist daher nur dann zu erlassen, wenn sie zur Abwendung einer Gefährdung des Gläubigerinteresses zur vorläufigen Sicherung im Eilverfahren dringlich geboten und notwendig ist.
Als besondere Form des Rechtschutzinteresses und damit als Prozessvoraussetzung ist das Vorliegen eines Verfügungsgrundes von Amts wegen zu prüfen, wobei es nach §§ 935, 940 ZPO am Antragsteller liegt, das Vorliegen des Verfügungsgrundes mit den Beweismitteln des § 294 ZPO hinreichend glaubhaft zu machen (vgl. exemplarisch: OLG Brandenburg, Beschluss vom 19.07.2021, Az. 1 W 23/21).
1. Wettbewerbsrecht
Für wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche besteht in § 12 Abs. 1 UWG (§ 12 Abs. 2 UWG aF) eine gesetzlich geregelte Ausnahme in Form einer widerleglichen tatsächlichen Vermutung der Dringlichkeit. Hintergrund dieser Privilegierung ist die Vorstellung, dass wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten im Normalfall immer eilbedürftig sind. Die Vermutung des § 12 Abs. 1 UWG greift für sämtliche Unterlassungsansprüche nach dem UWG ein und nicht bloß für solche, deren Entscheidung aus tatsächlichen und/oder rechtlichen Gründen einfach, klar und schnell erfolgen kann (OLG Celle, Urteil vom 31.07.2008, Az. 13 U 69/08).
Aufgrund der Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG muss der Antragsteller den Verfügungsgrund abweichend von §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO zunächst nicht glaubhaft machen, insbesondere bedarf es insoweit keiner Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung. Erst wenn der Antragsgegner Tatsachen vorträgt, die den Schluss auf eine Kenntniserlangung zu einem bestimmten Zeitpunkt zulassen, muss der Antragsteller darlegen und glaubhaft machen, wann er tatsächlich Kenntnis erlangt hat (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19.08.2021, Az. 4 U 57/21).
Auch sonst gilt die Vermutung der Eilbedürftigkeit im Wettbewerbsrecht nicht grenzenlos. Sie kann durch Tatsachen widerlegt werden, die glaubhaft gemacht werden müssen. Insbesondere widerlegt der Antragsteller die Dringlichkeitsvermutung, wenn er durch sein Verhalten zeigt, dass es ihm mit der Rechtsverfolgung “nicht so eilig” ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Beschluss vom 01.07.1999, Az. I ZB 7/99 – Späte Urteilsbegründung; OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.10.2022, Az. 3 U 2178/22 – Kontolöschung; OLG Hamm, Beschluss vom 20.04.2021, Az. 4 U 14/21; Köhler / Bornkamm / Feddersen / Köhler, 39. Aufl. 2021, § 12 UWG, Rn. 2.15 m.w.N.). Dies ist der Fall, wenn der Antragsteller längere Zeit zuwartet, obwohl er den Wettbewerbsverstoß und die Person des Verantwortlichen kennt oder grob fahrlässig nicht kennt, nämlich sich bewusst der Kenntnis verschlossen hat (vgl. LG München, Urteil vom 05.05.2021, Az. 37 O 2254/21). Dazu ist eine Gesamtbetrachtung des prozessualen und vorprozessualen Verhaltens des Antragstellers geboten (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 39. Aufl. 2021, § 12 UWG, Rn. 2.16 m.w.N.; OLG Hamm, Beschluss vom 20.04.2021, Az. 4 U 14/21; OLG Hamburg, Urteil vom 21.03.2019, Az. 3 U 105/18). Die Pflicht zur zügigen Rechtsverfolgung setzt sich auch in der Berufungsinstanz fort (OLG Hamburg, Urteil vom 12.01.2023, Az. 5 U 22/19).
Verhält sich der Antragsteller bzw. dessen Prozessbevollmächtigter dringlichkeitsschädlich, ist der Verfügungsgrund unabhängig davon zu verneinen, ob ein Verfügungsgrund glaubhaft zu machen ist oder vermutet wird (vgl. OLG München, Hinweisbeschluss vom 16.09.2021, Az. 29 U 3437/21 Kart).
2. Markenrecht
Zum 14.01.2019 wurde durch das Markenrechtsmodernisierungsgesetz ein neuer Absatz 3 in § 140 MarkenG eingefügt, der § 12 Abs. 1 UWG entspricht. Damit gilt nun auch im Markenrecht eine widerlegbare Dringlichkeitsvermutung. Der alte Streit, ob die wettbewerbsrechtliche Dringlichkeitsvermutung auf das Markenrecht übertragen werden kann, hat sich damit erledigt.
3. Urheberrecht
Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG findet im Urheberrecht keine Anwendung (OLG München, Urteil vom 07.02.2019, Az. 29 U 3889/18 – Wissenschaftsverlage; OLG München, Urteil vom 14.07.2016, Az. 29 U 953/16 – Kein Vollgas).
Bei Unterlassungsansprüchen im Bereich des Urheberrechts ergibt sich die Dringlichkeit als Voraussetzung des Verfügungsgrundes nicht schon aus der materiell-rechtlichen Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr.
Der Antragsteller hat darzulegen und ggf. glaubhaft zu machen, dass die Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO vorliegen und der Weg ins Hauptsacheverfahren unzumutbar ist. Bei einer fortbestehenden Rechtsverletzung wird sich die Dringlichkeit zwar auch ohne Vermutung des § 12 Abs. 1 UWG in der Regel aus der Lage des Falles selbst ergeben. Dauert die Rechtsverletzung jedoch nicht mehr an, ist es Sache des Antragstellers, näher vorzutragen, weshalb die Sache für ihn noch dringlich ist (vgl. LG Köln, Urteil vom 03.02.2022, Az. 14 O 392/21; OLG Köln, Beschluss vom 12.04.2021, Az. 6 W 98/20 – Trainer-Foto; OLG Nürnberg, Beschluss vom 12.10.2018, Az. 3 W 1932/18; OLG München, Beschluss vom 25.07.2008, Az. 6 W 1850/08).
Im Rahmen des Verfügungsgrundes soll die rein tatsächliche Beendigung der Verletzungslage dazu führen können, dass der Verfügungsgrund entfällt und dem Verletzten nur das Hauptsacheverfahren bleibt (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 12.04.2021, Az. 6 W 98/20 mit Verweis auf Specht in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. § 97 Rn. 114; Köhler in: KBF, UWG, 39. Aufl. § 12 Rn. 2.18 für zeitbedingte Verstöße; ebenso: Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 4. Aufl. Kap. B III Rn. 139 m.w.N.). An dieser Sichtweise hat die 14. Kammer des Landgerichts Köln grundsätzliche, ausführlich begründete Bedenken angemeldet und hervorgehoben, dass im Urheberrecht an die Darlegung der Eilbedürftigkeit keine besonders strengen Anforderungen gestellt werden sollten (vgl. LG Köln, Urteil vom 03.02.2022, Az. 14 O 392/21 Rn. 92 f.).
4. Know-how-Schutz (GeschGehG)
Das GeschGehG selbst enthält keine mit § 12 Abs. 1 UWG vergleichbare Regelung. Entsprechend der Begründung zum RegE vom 04.10.2018 (BT-Drs. 19/4724, 34) zu Abschnitt 3 kommen die allgemeinen verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung, also diejenigen aus GVG und ZPO (McGuire in Büscher, UWG, § 15 GeschGehG Rn 7).
Ob angesichts des Umstands, dass durch das am 26.04.2019 in Kraft getretene GeschGehG die bis dahin geltenden §§ 17-19 UWG ersetzt wurden, für die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen nach § 6 GeschGehG im einstweiligen Rechtsschutz die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG analog anzuwenden ist, ist umstritten (verneinend: OLG München, Beschluss vom 08.08.2019, Az. 29 W 940/19; Löffel WRP 2019, 1378, 1379; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander, 38. Auflage 2020, GeschGehG § 15 Rn 16; bejahend: OLG Nürnberg, Entscheidung vom 06.07.2023, Az. 3 U 889/23; BeckOK GeschGehG/Spieker, 5. Ed. 15.3.2020, GeschGehG § 6 Rn 42-56).
Gegen eine analoge Anwendbarkeit der wettbewerbsrechtlichen Dringlichkeitsvermutung spricht u.a., dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegen müsste. Der Gesetzgeber hat beim GeschGehG aber bewusst von spezifischen Regelungen zum Verfügungsverfahren abgesehen (vgl. OLG München, Beschluss vom 08.08.2019, Az. 29 W 940/19). Um angesichts der streitigen Auffassungen sicher zu gehen, sollte der Verfügungsgrund nach allgemeinen Regeln glaubhaft gemacht werden (§ 936, § 920 Abs. 2 ZPO, so auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.11.2020, Az. 6 W 113/20).
Eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung der Nutzung eines Geschäftsgeheimnisses scheidet mangels Begehungs- oder Wiederholungsgefahr aus, wenn aufgrund der eidesstattlichen Versicherung des Verfügungsbeklagten feststeht, dass dieser gar nicht mehr im Besitz des Geschäftsgeheimnisses ist. Der Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bedarf es in diesen Fällen nicht (LArbG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.08.2021, Az. 4 SaGa 1/21).
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5. Deliktsrecht
Im Bereich des allgemeinen Deliktsrechts und damit außerhalb des Wettbewerbsrechts gilt keine Dringlichkeitsvermutung (§ 12 Abs. 1 UWG), vielmehr muss die Dringlichkeit der Sache dargelegt werden (OLG Frankfurt, Urteil vom 04.09.2020, Az. 10 U 18/20). Das bedeutet freilich nicht, dass Unterlassungsansprüche aus Deliktsrecht nicht eilbedürftig sind.
Beispiel: Bereits bei einer einmaligen Werbemail ohne Einwilligung wurde ein Verfügungsgrund im Sinne von §§ 935, 940 ZPO angenommen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 12.04.2021, Az. 15 W 18/21).
6. Persönlichkeitsrecht, Äußerungsrecht
Im Bereich des Persönlichkeitsrechts existiert keine Dringlichkeitsvermutung. Ebenso wie etwa im Deliktsrecht muss die Dringlichkeit vom Antragsteller dargelegt werden (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 19.07.2021, Az. 1 W 23/21; OLG Celle, Urteil vom 19.05.2022, Az. 5 U 152/21 – SOJARME-Personen gegen Facebook im Hinblick darauf, die Löschung eines Posts sowie eine erneute vorübergehende Sperre des Nutzerkontos zu unterlassen).
Viele Gerichte gehen im Presse- und Äußerungsrecht davon aus, dass bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch eine öffentliche Äußerung und einem daran anknüpfenden materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruch auch ein Verfügungsgrund im Regelfall ohne weiteres zu bejahen ist, soweit keine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit anzunehmen ist (so z.B. OLG Celle, Urteil vom 19.05.2022, Az. 5 U 152/21; Kammergericht, Beschluss vom 22.03.2019, Az. 10 W 172/18; OLG Stuttgart, Urteil vom 23.09.2015, Az. 4 U 101/15; anderer Ansicht z.B. OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.11.2018, Az. 3 W 2064/18).
Ob aus der Möglichkeit einer Wiederholung der beanstandeten Äußerung bereits eine den Erlass einer einstweiligen Verfügung rechtfertigende Dringlichkeit folgen soll, ist im Äußerungsrecht umstritten. Diese Frage ist zu trennen von der tatsächlichen Vermutung von Wiederholungsgefahr im Rahmen des materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruchs, die nach einem Eingriff indiziert ist.
- Pro Eilbedürftigkeit: Nach teilweiser Auffassung ist bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch eine öffentliche Äußerung und einem daran anknüpfenden materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruch auch ein Verfügungsgrund im Regelfall ohne weiteres zu bejahen, soweit keine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit anzunehmen ist, insbesondere durch Zuwarten (OLG Celle, Urteil vom 19.05.2022, Az. 5 U 152/21; Kammergericht, Beschluss vom 22.03.2019, Az. 10 W 172/18; OLG Stuttgart, Urteil vom 23.09.2015, Az. 4 U 101/15 mit Verweis auf Ausführungen bei Prinz/Peters, a.a.O., Rn. 325; Korte, Praxis des Presserechts, § 5 Rn. 108 m.w.N. in Fn. 142; als Bsp. OLG Hamburg NJW-RR 2008, 1435 f.).
- Kontra Eilbedürftigkeit: Nach strengerer Auffassung indiziert die Rechtswidrigkeit einer Äußerung für sich genommen keine Dringlichkeit, da über einen materiellen-rechtlichen Anspruch hinaus ein Verfügungsgrund unter Abwägung der schutzwürdigen Interessen beider Parteien festgestellt werden muss. Dass in Abweichung davon im Äußerungsrecht der materielle Unterlassungsanspruch ohne weiteres zum Bestehen auch eines Verfügungsgrundes führen soll, entbehre einer tragfähigen rechtlichen Grundlage (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 22.08.2018, Az. 1 W 34/18; OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.11.2018, Az. 3 W 2064/18). Demgemäß bestehe ein Verfügungsgrund nach § 940 ZPO nicht schon bei einem Vorliegen der für das Bestehen von Unterlassungsansprüchen erforderlichen Wiederholungsgefahr, sondern erst und allenfalls dann, wenn konkrete Anhaltspunkte auf eine bevorstehende Wiederholung einer zu unterlassenden Handlung hindeuten (OLG Brandenburg, Beschluss vom 01.06.2018, Az. 1 W 22/18; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.01.2015, Az. I-16 W 92/14; OLG Dresden, Urteil vom 07.04.2005, Az. 9 U 263/05), was auch und insbesondere im Bereich des Äußerungsrechts zu gelten hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 22.08.2018, Az. 1 W 34/18; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.01.2015, Az. I-16 W 92/14).
II. Eigene Kenntnis und Zurechnung von Drittwissen
Wer in Kenntnis der maßgeblichen Umstände und der ihm fortdauernd drohenden Nachteile ohne überzeugenden Grund längere Zeit untätig geblieben ist und dadurch die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs verzögert, hat damit zu erkennen gegeben, dass die Sache für ihn nicht so eilig ist (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 19.07.2021, Az. 1 W 23/21 m.w.N.).
Für den Beginn der Dringlichkeitsfrist wird auf den Zeitpunkt der Kenntnisnahme aller relevanten Umstände abgestellt, wobei die notwendige Recherche zur sorgfältigen Klärung grundsätzlich nicht dringlichkeitsschädlich ist (OLG Köln, Urteil vom 14.07.2017, Az. 6 U 197/16; LG Düsseldorf, Urteil vom 11.11.2020, Az. 12 O 207/20). Maßgeblich ist auf die Zeitspanne zwischen Erlangung der Kenntnis von der Person des Verletzers und den maßgeblichen Umständen der Verletzungshandlung bis zur Einreichung des Verfügungsantrags, wobei es auf die Kenntnis bezüglich des jeweils konkret geltend gemachten Streitgegenstands ankommt (vgl. Kammergericht, Urteil vom 02.06.2017, Az. 5 U 196/16 – Coolsculpting). Hinsichtlich des Zeitpunktes der Kenntniserlangung ist grundsätzlich nur das Wissen der Personen maßgeblich, die im Unternehmen bzw. im Konzern für die Vermittlung bzw. Geltendmachung von Wettbewerbsverstößen zuständig sind; das Wissen sonstiger Dritter ist demgegenüber nur dann relevant, wenn diese ausdrücklich zu Wissensvertretern bestellt worden sind (OLG Hamburg, Urteil vom 31.01.2019, Az. 3 U 204/17).
Zurechnen lassen muss sich der Antragsteller neben eigener Kenntnis das Wissen seines Rechtsanwalts (OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.06.2013, Az. 6 W 61/13) nach § 85 Abs. 2 ZPO generell ein zögerliches Betreiben des Verfahrens durch den eigenen Rechtsanwalt (OLG München, Hinweisbeschluss vom 16.09.2021, Az. 29 U 3437/21 Kart), in arbeitsteiligen Unternehmen auch die Kenntnis der für die Ermittlung oder Verfolgung von Wettbewerbsverstößen zuständigen Mitarbeiter und Wissensvertreter (OLG Hamburg, Urteil vom 31.01.2019, Az. 3 U 204/17; OLG Frankfurt, Beschluss vom 06.01.2000, Az. 6 W 149/99), wozu unter Umständen sogar Sachbearbeiter gehören können, von denen nach ihrer Funktion erwartet werden darf, dass sie die Wettbewerbsrelevanz des Verhaltens erkennen und ihre Kenntnis an diejenigen Personen weitergeben, die im Unternehmen zu Entscheidungen über das Einleiten entsprechender Maßnahmen befugt sind (z.B. Verantwortliche für Marketing und Vertrieb, vgl. OLG Köln, Urteil vom 13.12.2013, Az. 6 U 100/13, vgl. auch OLG Frankfurt, Urteil vom 10.08.2017, Az. 6 U 63/17), nicht aber die IHK (OLG Saarbrücken, Urteil vom 23.10.2013, Az. 1 U 225/12 im Hinblick auf Verjährung). Generell muss sich der Antragsteller die Kenntnis ausdrücklich bestellter Wissensvertreters analog § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen, wofür keine förmliche Bestellung erforderlich ist. Ausreichend reicht es aus, dass die betreffende Person tatsächlich mit einer Position betraut ist, bei der mit einer Informationsweiterleitung an die Organe der juristischen Person typischerweise zu rechnen ist, wenn sie jedenfalls faktisch den Geschäftsherrn wie ein Vertreter repräsentiert (OLG Rostock, Beschluss vom 08.11.2021, Az. 2 U 25/21). Ein Wettbewerbsverband im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. UWG muss sich die Kenntnis einzelner Mitglieder nicht zurechnen lassen (OLG Hamm, Urteil vom 21.03.2017, Az. 4 U 167/16 im Hinblick auf Verjährung).
Die maßgebliche Person muss positive Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vom Wettbewerbsverstoß und der Identität des Verletzers haben (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 28.04.2016, Az. 6 U 214/15). Grob fahrlässige Unkenntnis liegt nur dann vor, wenn sich der Anspruchsinhaber bewusst der Kenntnis verschließt (OLG Jena, Urteil vom 13.04.2016, Az. 2 U 33/16; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.02.2010, Az. 6 U 270/10; OLG Hamburg, Beschluss vom 12.02.2007, Az. 5 U 189/06; OLG Hamm, Urteil vom 08.03.2012, Az. I-4 U 174/11; speziell zur Indizierung einer Webseite in Suchmaschinen: LG Frankfurt, Beschluss vom 14.12.2018, Az. 2-03 O 464/18), wobei dies teilweise als “Kenntnis” (so OLG Rostock, Urteil vom 25.05.2011, Az. 2 U 2/11) teilweise als “grob fahrlässige Unkenntnis” angesehen wird (so OLG Frankfurt, Urteil vom 13.09.2018, Az. 6 U 74/18; OLG Hamm vom 08.03.2012 – 4 U 174/11; OLG Jena, Urteil vom 13.04.2016, Az. 2 U 33/16; OLG Köln, Urteil vom 13.12.2013, Az. 6 U 100/13; OLG Stuttgart, Urteil vom 04.07.2013, Az. 2 U 157/12; ebenso in anderem Zusammenhang: BGH, Urteil vom 10.05.2012, Az. I ZR 145/11 – Fluch der Karibik).
Dass letztere gleichfalls dringlichkeitsschädlich sein soll, wird unter den Obergerichten – auch mit Blick auf § 11 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 UWG – zunehmend so angenommen (vgl. OLG Bamberg WRP 2014, 609, 612; OLG Düsseldorf vom 25.11.2014, Az. 20 U 154/14; OLG Hamburg vom 26.05.2011, 3 U 165/10; OLG Hamm vom 10.09.2013, Az. 4 U 48/13; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2010, 450, 451; OLG Köln GRUR-RR 2014, 127; OLG Oldenburg vom 19.06.2015, Az. 6 U 66/15; OLG Stuttgart GRUR-RR 2014, 251, 252). Folgt man dem, ist die Dringlichkeitsvermutung etwa auch dann widerlegt, wenn sich dem Gläubiger die Kenntnis von einem Wettbewerbsverstoß seit längerer Zeit “hätte aufdrängen müssen” (vgl. OLG Jena vom 20.07.2011, Az. 2 U 211/11; OLG Jena vom 13.04.2016, Az. 2 U 33/16), bzw. ihm “nach Lage der Dinge der Wettbewerbsverstoß nicht verborgen geblieben sein kann” (OLG Celle vom 27.03.2017, Az. 13 U 199/16). (Leicht) fahrlässige Unkenntnis reicht nicht aus, da es entscheidend auf die innere Einstellung des Antragstellers zur vermuteten Eilbedürftigkeit ankommt (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, § 12 Rn. 3.15).
Es besteht keine allgemeine Marktbeobachtungspflicht (OLG Nürnberg, Urteil vom 18.07.2023, Az. 3 U 1092/23; OLG Nürnberg, Beschluss vom 14.09.2018, Az. 3 U 1138/18; OLG Frankfurt, Urteil vom 13.09.2018, Az. 6 U 74/18; OLG Köln, Urteil vom 13.12.2014, Az. 6 U 100/13; LG Dortmund, Urteil vom 17.04.2013, Az. 19 O 114/13; Kammergericht, Urteil vom 02.06.2017, Az. 5 U 196/16 – Coolsculpting; bzw. zumindest “grundsätzlich” nicht, vgl. OLG Köln, Beschluss vom 12.04.2019, Az. 6 W 22/19). Daher reicht es für die Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung beispielsweise nicht aus, dass das angegriffene Geschäftsmodell schon mehrere Monate am Markt war und auch in einer Presseveröffentlichung Erwähnung fand, sofern die Veröffentlichung nicht derart verbreitet war, dass die verantwortlichen Personen der Antragstellerin als Verband nahezu zwangsläufig davon Kenntnis erlangen mussten (OLG Frankfurt, Urteil vom 11.11.2021, Az. 6 U 121/21).
Ebenso besteht keine Verpflichtung zur anlasslosen Überwachung eigener Mitarbeiter darauf, ob diese keine Geschäftsgeheimnisse unerlaubt weitergeben (OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.11.2020, Az. 6 W 113/20). Für die Frage der Dringlichkeit spielt es grundsätzlich auch keine Rolle, wie lange ein Verstoß schon andauert – es kommt darauf an, wann der Antragsteller konkret Kenntnis davon erlangt hat (OLG Köln, Beschluss vom 12.04.2019, Az. 6 W 22/19). Lediglich, wenn die fehlende Reaktion auf offensichtliche Rechtsverstöße ein völliges Desinteresse am Wettbewerbsgeschehen indiziert, kann von einem bewussten Sich-Verschließen im Sinn einer grob fahrlässigen Unkenntnis ausgegangen werden (Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 10. Aufl. 2011, § 54 Rn. 29). Wenn davon auszugehen ist, dass die wettbewerbswidrige Handlung bereits seit Jahren im Wesentlichen unverändert verwendet wird (z.B. die Werbeaussage eines unmittelbaren Konkurrenten), kann dieser Vortrag genügen, den Schluss auf eine möglicherweise dringlichkeitsschädliche Kenntnis zuzulassen und die Vermutung des § 12 Abs. 1 UWG zu erschüttern (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 12.04.2019, Az. 6 W 22/19).
Vortrag aus einem früheren Gerichtsverfahren zwischen den Parteien kann zum Wegfall der Dringlichkeit im neuen Verfügungsverfahren führen (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 18.07.2023, Az. 3 U 1092/23).
Erklären Mitarbeiter eines Wettbewerbers auf einer Messe, das dort gezeigte Produkt könne möglicherweise auch nach Deutschland geliefert werden, es fehlten aber noch notwendige Zertifizierungen, ist der Anspruchsteller unter Dringlichkeitsgesichtpunkten nicht schon gehalten, abstrakt den Zertifizierungsstand der Wettbewerbsprodukte zu prüfen, um sodann unter dem Gesichtspunkt der Erstbegehungsgefahr Unterlassungsansprüche im Verfügungsverfahren geltend machen zu können (OLG Hamburg, Urteil vom 31.01.2019, Az. 3 U 204/17).
Entscheidet sich ein Antragsteller, zunächst nur gegen eine Gesellschaft im Wege der einstweiligen Verfügung vorzugehen, nicht aber auch parallel gegen deren einzigen Geschäftsführer persönlich, fehlt einem späteren Eilverfahren gegen den Geschäftsführer die Eilbedürftigkeit (OLG Köln, Urteil vom 29.05.2020, Az. 6 U 288/19). Ob dies auch bei mehreren Geschäftsführern gelten würde, ließ das Oberlandesgericht offen.
III. Kenntnis von Tatsachen je Streitgegenstand
Abzustellen ist auf die Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen, die den Wettbewerbsverstoß begründen (OLG Hamburg, Urteil vom 25.07.2007, Az. 3 U 66/07), etwa eine Werbeanzeige. Ausreichend kann es auch sein, wenn der Wettbewerbsverstoß von einem ähnlichen Produkt schon länger bekannt ist (OLG Hamm, Urteil vom 21.04.2016, Az. 4 U 44/16). Unerheblich ist, ob aus der bekannten Tatsachen bereits die richtigen rechtlichen Schlüsse gezogen wurden in der Form, dass die Tatsachen einen bestimmten Wettbewerbsverstoß darstellen.
Die Widerlegung der Dringlichkeit beurteilt sich nicht pauschal, sondern je Streitgegenstand (vgl. § 935 ZPO). Der Streitgegenstand eines Unterlassungsverfahrens wird durch das im Antrag umschriebene Klageziel und den zur Begründung vorgetragenen Lebenssachverhalt bestimmt. Bei Unterlassungsbegehren, die auf den Gesichtspunkt der Irreführung gestützt sind, wird der Streitgegenstand zudem wesentlich durch die konkret vom Antragsteller vorzutragende Fehlvorstellung des Verkehrs begrenzt (OLG Hamburg, Urteil vom 25.07.2007, Az. 3 U 66/07).
Die Dringlichkeitsvermutung ist auch dann widerlegt, wenn das Verbot der beanstandeten konkreten Verletzungsform erst im Laufe des Eilverfahrens auf einen Gesichtspunkt gestützt wird, der dem Antragsteller bereits zu Beginn des Verfahrens bekannt war und entsprechend bereits in der Antragsschrift hätte geltend gemacht werden können (OLG Frankfurt, Urteil vom 08.11.2018, Az. 6 U 77/18).
IV. Widerlegung der Dringlichkeit durch Zeitablauf (mit Rechtsprechungsübersicht)
Sehr umstritten ist die Frage, wie lange die Dauer des Zuwartens zwischen Kenntnis des Rechtsverstoßes und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung betragen darf.
Frist von 1 Monat, keinen Tag länger
- LG München, Urteil vom 05.05.2021, Az. 37 O 2254/21 (Ergänzung von Antrag wurde aber ausnahmsweise als zulässig angesehen)
- OLG München, Urteil vom 07.02.2019, Az. 29 U 3889/18 – Wissenschaftsverlage; OLG München, Urteil vom 14.07.2016, Az. 29 U 953/16 – Kein Vollgas; OLG München, Urteil vom 21.04.2011, Az. 6 U 4127/10
- OLG Hamm, Beschluss vom 20.04.2021, Az. 4 U 14/21; OLG Hamm, Beschluss vom 09.09.2010, Az. 4 W 97/10
- Kammergericht, Beschluss vom 02.11.2015, Az. 10 W 35/15 (“Wartet der Betroffene, ohne dass hinreichende Gründe dafür vorliegen, länger als einen Monat ab, bis er den Verfügungsantrag stellt, ist nach der Rechtsprechung des Senats von einer Selbstwiderlegung auszugehen (10 W 4/10 – Beschluss vom 15. Februar 2010; 10 W 52/10 – Beschluss vom 10. Mai 2010; 10 W 138/10 – Beschluss vom 2. November 2010”; aber: jüngere Entscheidungen weniger streng, siehe unten).
Frist von 1 Monat als Regel- bzw. Richtwert
- OLG Nürnberg, Urteil vom 18.07.2023, Az. 3 U 1092/23; OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.11.2018, Az. 3 W 2064/18
- OLG Celle, Urteil vom 21.06.2024, Az. 5 W 62/24; OLG Celle, Urteil vom 06.02.2018, Az. 13 U 134/17; OLG Celle, Beschluss vom 20.01.2014, Az. 13 W 100/13
- OLG Koblenz, Urteil vom 23.02.2011, Az. 9 W 698/10
- OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.04.2007, Az. 6 U 43/07
- OLG Köln, Urteil vom 29.06.2018, Az. 6 U 60/18 (Beispielsweise kann es bei notwendigen Recherchen dringlichkeitsunschädlich sein, die Monatsfrist zu überschreiten); OLG Köln, Urteil vom 25.07.2014, Az. 6 U 197/13; OLG Köln, Beschluss vom 22.01.2010, Az. 6 W 149/09
- OLG Oldenburg, Beschluss vom 19.06.2015, Az. 6 U 66/15
- OLG Saarbrücken, Urteil vom 31.08.2016, Az. 1 U 150/15 (je nach Lage des Falls kann auch längere Frist unschädlich sein, etwa bei Vergleichsverhandlungen oder wenn wegen schwieriger Rechtsmaterie weitere Ermittlungen erforderlich sind; hier: Zuwarten von knapp 6 Wochen nicht dringlichkeitsschädlich).
Längere Fristen
Keine starre Frist, nur “grober Zeitrahmen” von 6 Wochen:
- OLG Frankfurt, Urteil vom 06.12.2018, Az. 6 U 125/18, OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.06.2013, Az. 6 W 61/13, OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.09.2012, Az. 6 W 94/12
- LG Frankfurt, Urteil vom 20.12.2018, Az. 2-03 O 299/18
(bis zu) 2 Monate:
- Kammergericht, Beschluss vom 12.05.2021, Az. 5 W 58/21; Kammergericht, Urteil vom 02.06.2017, Az. 5 U 196/16 – Coolsculpting (Ausnahmen hiervon nur in Extremfällen mit Verweis auf: Kammergericht Berlin, Urteil vom 07.01.2011, Az. 5 U 103/09); Kammergericht, Beschluss vom 01.08.2014, Az. 5 W 240/14 (2 Monate + 1 Tag); Kammergericht, Beschluss vom 14.12.2010, Az. 5 W 295/10
- OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.05.2019, Az. 20 U 116/18; OLG Düsseldorf, Urteil vom 04.12.2014, Az. I-2 U 30/14; OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.07.2014, Az. I-20 U 231/13; OLG Düsseldorf, Urteil vom 31.01.2008, Az. I-20 U 151/07; Zwei Monate in Fällen durchschnittlicher Bedeutung und Schwierigkeiten sowie mittleren Umfangs (ständige Rechtsprechung, vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.05.2019, Az. 20 U 116/18)
- LG Düsseldorf, Urteil vom 11.11.2020, Az. 12 O 207/20
- OLG Stuttgart, Beschluss vom 22.02.2018, Az. 2 W 37/17 (Frist von unter einem Monat abgesehen von Messe- oder Marktsachen regelmäßig unschädlich. Bei einem Zuwarten von mehr als acht Wochen ist die Dringlichkeitsvermutung regelmäßig widerlegt. Bei einem Zeitablauf zwischen einem Monat und acht Wochen hängt die Frage, ob die Dringlichkeitsvermutung widerlegt ist, von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere davon, ob etwa wegen der Art des Verstoßes, der Erforderlichkeit umfangreicher Ermittlungen, der Reaktion des Gegners auf die Abmahnung oder sonstiger Gründe das Zuwarten als sachlich geboten und nicht nur als Ausdruck fehlender Eilbedürftigkeit erscheint); OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.08.2010, Az. 4 U 106/10; OLG Stuttgart, Beschluss vom 25.02.2009, Az. 4 U 204/08
Mehr als 8 Wochen jedenfalls dringlichkeitsschädlich:
- OLG Stuttgart, Urteil vom 23.09.2015, Az. 4 U 101/15 (Presserechtlicher Streit); OLG Stuttgart, Urteil vom 25.02.2009, Az. 4 U 204/08
- OLG Brandenburg, Urteil vom 21.07.2022, Az. 10 U 65/22 (Antragstellung elf Wochen nach Kenntnis von Sperrung eines Kundenaccounts auf der Plattform eBay); OLG Brandenburg, Beschluss vom 19.07.2021, Az. 1 W 23/21 ließ für eine persönlichkeitsrechtliche Streitigkeit offen, ob die Monatsfrist einzuhalten ist oder im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände noch Fristen von 6 bis 8 Wochen dringlichkeitsunschädlich sein können, da jedenfalls neun Monate ab Kenntnis zu lang waren.
- LG Berlin, Urteil vom 01.12.2015, Az. 16 S 431/15
- OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.11.2018, Az. 3 W 2064/18 (Negative Bewertung)
Differenzierung im Einzelfall, Umstände des Einzelfalls
- OLG Hamburg, Urteil vom 28.03.2024, Az. 3 U 52/22 bewegt sich grundsätzlich im Bereich von ca. 6 bis 8 Wochen, wobei es im Bereich der Heilmittelwerbung sachgerecht sein soll, im Interesse der ordentlichen Vorbereitung des Verfügungsverfahrens tendenziell einen großzügigeren Maßstab anzulegen; OLG Hamburg, Beschluss vom 13.01.2022, Az. 7 W 156/21 (m.w.N.): Nach “ständiger Rechtsprechung” der mit Pressesachen befassten Hamburgischen Gerichte besteht bei Angriffen gegen massenmedial verbreitete Äußerungen grundsätzlich dann Dringlichkeit, wenn zwischen der Kenntnisnahme des jeweiligen Beitrags durch den Antragsteller und der Antragstellung nicht mehr als fünf Wochen liegen; OLG Hamburg, Urteil vom 16.04.2020, Az. 15 U 124/19: Fünf Wochen zwischen Abmahnung und Einreichung des Verfügungsantrags im Einzelfall noch nicht dringlichkeitsschädlich wegen grundsätzlich zügig geführtem Verfahren, dreiwöchigen Urlaub und zwei weiteren Wochen bis Antragseinreichung. Eine nur geringfügige Überschreitung der Monatsfrist führe nicht zu einer automatischen Bejahung der Dringlichkeit. Vielmehr seien nach ständiger Rechtsprechung der Hamburger Gerichte, die keine starren Regelfristen anwenden, jeweils die Umstände des Einzelfalles zu würdigen, wobei eine längere Untätigkeit des Unterlassungsgläubigers dringlichkeitsschädlich ist. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Partei das Verfahren mit dem nötigen Nachdruck verfolgt und damit ihr Interesse an einer dringlichen Rechtsdurchsetzung in einem Eilverfahren dokumentiert hat, sei eine Gesamtbetrachtung ihres prozessualen und vorprozessualen Verhaltens geboten. Zu berücksichtigen sei unter anderem die Art des Verstoßes und die Schwierigkeit der Materie, die Erforderlichkeit von Ermittlungen, die Reaktion des Gegners auf eine Abmahnung, Einigungsverhandlungen, Feiertage u.ä.; OLG Hamburg, Urteil vom 21.03.2019, Az. 3 U 105/18: “Die Entscheidungen des OLG Hamburg zu den zeitlichen Anforderungen an ein hinreichend zügiges Vorgehen des Anspruchstellers bewegen sich in einem Bereich von ca. 6 bis 8 Wochen zwischen der Kenntnis vom Rechtsverstoß und der Stellung des Verfügungsantrags, wobei dem Anspruchsteller ein umso zügigeres Handeln nach der Zurückweisung der Abmahnung abzuverlangen ist, wenn zwischen der Kenntnis vom Wettbewerbsverstoß und dem Ausspruch der Abmahnung bereits viel Zeit vergangen ist. (…) Ein Zeitraum von ca. 1 Monat von der Kenntnis bis zur Abmahnung zuzüglich weiterer 2 Wochen bis zum Verfügungsantrag ist als „noch“ nicht dringlichkeitsschädlich angesehen worden (…). Ein Zeitraum von 5 ½ Wochen absoluter Untätigkeit zwischen Kenntnis und Abmahnung und – bei fehlender Abmahnung – ein Zeitraum von 6 Wochen bis zur Einreichung des Verfügungsantrags sind aber bereits als dringlichkeitsschädlich angesehen worden (…).”; OLG Hamburg, Beschluss vom 10.11.2014, Az. 5 U 159/13; OLG Hamburg, Urteil vom 15.08.2007, Az. 5 U 173/06 (fast zwei Monate zu lang)
- OLG Celle, Beschluss vom 10.12.2007, Az. 13 U 176/07
- OLG Brandenburg, Urteil vom 14.04.2011, Az. 6 U 79/10
- OLG Jena, Urteil vom 11.03.2015, Az. 2 W 465/14; OLG Jena, Urteil vom 26.11.2010, Az. 2 U 190/10; OLG Jena, Beschluss vom 20.07.2011, Az. 2 W 320/11
- OLG Rostock, Urteil vom 21.12.2016, Az. 2 U 15/16
Bei Überschreitung der Regelfrist spricht gegen das Fortbestehen von Dringlichkeit, wenn der Antragsteller den Gegner nach Kenntniserlangung vom Wettbewerbsverstoß anwaltlich unter kurzer Fristsetzung abmahnen ließ, den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung aber erst Wochen später stellt, obwohl der Abgemahnte nichts Erhebliches zu seiner Verteidigung vorgetragen hat (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 20.01.2014, Az. 13 W 100/13 mit Verweis auf: Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl., Kap. 45 Rdnr. 39 m. w. N.).
Legt der Antragsteller umgekehrt nachvollziehbare Gründe dar, warum die Antragsstellung ausnahmsweise erst nach Ablauf der geforderten Fristdauer möglich war, kann die einstweilige Verfügung im Einzelfall auch deutlich nach Ablauf der üblichen Frist möglich sein, z.B. wenn umfangreiche Ermittlungen nötig waren.
Vorsichtshalber sollte die Monatsfrist aber strikt eingehalten werden, da einzelne Gerichte bereits die Überschreitung um einen Tag als dringlichkeitsschädlich betrachten.
V. Widerlegung der Dringlichkeit durch Verzögerung (mit Rechtsprechungsübersicht)
Da die Dringlichkeit nicht nur zum Zeitpunkt des Antrags auf Erlass der einstweiligen Verfügung, sondern bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen muss, kann sie auch noch während des laufenden Verfügungsverfahrens entfallen. Dies ist z.B. der Fall, wenn nachträglich Umstände hinzutreten, die die Wiederholung des Wettbewerbsverstoßes unwahrscheinlich machen, vor allem aber, wenn der Antragsteller das Verfahren durch sein Verhalten verzögert (“Selbstwiderlegung der Dringlichkeit”).
Die Dringlichkeitsvermutung ist widerlegt, wenn
- der Antragsteller vor Erlass der einstweiligen Verfügung ein Versäumnisurteil gegen sich ergehen lässt oder in die Säumnis flüchtet (OLG Hamm, Urteil vom 31.08.2006, Az. 4 U 124/06; ebenso: OLG Celle, Urteil vom 29.01.2009, Az. 13 U 205/08).
- der Antragsteller im Termin zur Verhandlung über den Widerspruch der Antragsgegnerseite säumig ist (OLG Frankfurt, Urteil vom 04.09.2020, Az. 10 U 18/20; OLG Frankfurt, Urteil vom 20.03.1995, Az. 6 U 310/93).
- der Antragsteller trotz Verstößen gegen erlassene einstweilige Verfügung binnen angemessener Zeit keinen Vollstreckungsantrag stellt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 29.03.2018, I-20 U 114/17; OLG Frankfurt, Urteil vom 25.03.2010, Az. 6 U 219/09) bzw. ohne besonderen Grund bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens auf jegliche Vollstreckung aus einer einstweiligen Verfügung verzichtet (Kammergericht, Urteil vom 11.05.2010, Az. 5 U 64/09). Die Dringlichkeitsvermutung ist jedoch nur für das betreffende Verfahren widerlegt (OLG Frankfurt, Urteil vom 16.07.2020, Az. 6 U 38/20; Fortführung von OLG Frankfurt, Urteil vom 25.03.2010, Az. 6 U 219/09 – Whiskey-Cola; Abgrenzung zu Kammergericht, Urteil vom 09.11.2018, Az. 5 U 58/18).
- der Antragsteller im Verfahren einen Antrag auf Terminsverlegung stellt, bevor das angestrebte Verbot durch eine einstweilige Verfügung gesichert ist (OLG Hamm, Urteil vom 30.06.2009, Az. 4 U 74/09; OLG Hamm, Urteil vom 15.03.2011, Az. I-4 U 200/10), insbesondere, wenn zusätzlich ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gestellt wird (OLG Hamm, Urteil vom 29.10.2009, Az. 4 U 112/09). Gleiches gilt für Fristverlängerungsanträge, wenn sie vom noch ungesicherten Antragsteller gestellt werden. Denn mit gerichtlichen Entscheidungen, die derartigen Anträgen stattgeben, geht in aller Regel zwangsläufig eine Verfahrensverlängerung einher, mit der sich der den Fristverlängerungs- / Terminsverlegungsantrag anbringende Antragsteller zumindest konkludent einverstanden erklärt und damit zum Ausdruck bringt, dass ihm die Sache nicht derart eilig ist, dass sie eine Eilentscheidung rechtfertigen würde. Weil sich ein solches dringlichkeitsschädliches Verhalten mithin aus dem Antrag selbst ergibt, ist ein Verfügungsgrund selbst dann zu verneinen, wenn einem derartigen Antrag seitens des Gerichts nicht entsprochen wird oder sich eine etwaige Stattgabe des Antrags im Ergebnis ausnahmsweise nicht auf die Verfahrensdauer auswirkt. Es kommt auch nicht darauf an, ob ein Antragsteller die ihm verlängerte Frist voll ausschöpft (OLG München, Hinweisbeschluss vom 16.09.2021, Az. 29 U 3437/21 Kart). Ebenso kommt es nicht darauf an, ob durch den Verlegungsantrag tatsächlich eine Verzögerung eingetreten ist. Entscheidend ist das Zeichen, das der Verfügungskläger durch seine Anträge gesetzt hat (OLG Stuttgart, Urteil vom 27.01.2022, Az. 2 U 288/21; OLG München, Urteil vom 25.07.2024, Az. 29 U 3362/23 e, eine anderslautende Zusicherung des Landgerichts in erster Instanz ändert hieran nichts).
- der noch ungesicherte Antragsteller im Berufungsverfahren seinen Anspruch nicht zügig weiterverfolgt. Ihm ist es jedenfalls zuzumuten, eine eingelegte Berufung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist zu begründen und nicht durch eigene Fristverlängerungsanträge das Verfahren zu verzögern (OLG München, Hinweisbeschluss vom 16.09.2021, Az. 29 U 3437/21 Kart; OLG München, Urteil vom 30.06.2016, Az. 6 U 531/16; OLG Dresden, Beschluss vom 25.07.2019, Az. 4 U 1087/19).
- gegen einen früheren Verstoß nicht vorgegangen ist (OLG Hamm, Beschluss vom 07.02.2019, Az. I-4 12/19), jedenfalls in Bezug auf (kerngleiche) neuerliche Verstöße (OLG Hamburg, Urteil vom 11.08.2005, Az. 5 U 19/05).
- den Verfügungsanspruch (nur) im Rahmen der Anschlussberufung weiterverfolgt (OLG Frankfurt, Urteil vom 17.01.2012, Az. 6 U 159/11).
- für die Recherchierung der Inhaberschaft einer Domain – bei bekannter Domain – mehr als fünf Wochen benötigt (OLG Hamburg, Beschluss vom 10.11.2014, Az. 5 U 159/13).
- auf eine Berühmung des Verletzers hin, sich in der beanstandeten Weise zu verhalten, längere Zeit untätig geblieben ist. Verhält sich der Verletzer später tatsächlich in dieser Weise, lebt die Dringlichkeit nur dann wieder auf, wenn damit ein “Qualitätssprung” im Vergleich mit der Situation nach der Berühmung verbunden ist (im Streitfall verneint). Ist die Dringlichkeitsvermutung widerlegt (hier nach § 140 Abs. 3 MarkenG), weil der Antragsteller gegen eine bestimmte Verletzungshandlung nicht vorgegangen ist, gilt dies grundsätzlich auch dann, wenn später die gleiche Verletzungshandlung durch einen anderen Verletzer begangen wird (OLG Frankfurt, Urteil vom 05.12.2019, Az. 6 U 151/19).
- wenn der Antragsteller einer Aufforderung des Gerichts zur Ergänzung des Vortrags ohne hinreichend nachvollziehbare Gründe erst 5 ½ Wochen nach Einreichung des Verfügungsantrages nachkommt und es bereits bis zur Einreichung des Verfügungsantrages zu erheblichen Verzögerungen gekommen war, wenngleich diese der Annahme der Dringlichkeit für sich genommen noch nicht entgegenstanden hatten (OLG Hamburg, Urteil vom 21.03.2019, Az. 3 U 105/18).
- aufgrund der Nutzungsbedingungen eines Social Media Netzwerks eines von mehreren Konten gekündigt wurde, liegt für das Vorgehen gegen die Deaktivierung eines weiteren Kontos keine Eilbedürftigkeit vor, wenn diese nach den Nutzungsbedingungen zwingende Folge aus der Kündigung des Erstkontos ist und der Nutzer diese Kündigung unbeanstandet gelassen hatte (OLG Dresden, Beschluss vom 30.11.2021, Az. 4 U 2056/21).
- eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass die angreifende Marke bösgläubig angemeldet wurde. Zumindest laut OLG Frankfurt kann der Einwand, dass bei einer löschungsreifen Marke kein Verfügungsgrund bestehe, im Verfügungsverfahren eingewandt werden, ohne dass das Ergebnis eines Löschungsverfahrens abgewartet werden muss (OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.05.2021, Az. 6 W 31/21 ).
Die Dringlichkeitsvermutung kann widerlegt sein
- bei ohne hinreichenden Grund unterbliebener Erhebung der Hauptsachenklage (OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2018, Az. U (Kart) 7/18)
- bei Rücknahme eines anhängigen Verfügungsantrags und fristwahrender Stellung des gleichen Antrags bei einem anderen Gericht (“forum shopping”) (Für Widerlegung: OLG Hamburg, Urteil vom 06.12.2006, Az. 5 U 67/06; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.07.2005, Az. 16 U 23/05; dagegen: OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.04.2006, Az. VI-U (Kart) 23/05, wenn Rücknahme in sehr frühem Verfahrensstadium vor Anhörung der Beklagten und vor einer gerichtlichen Entscheidung erfolgt). Update: Das OLG Hamburg hält Forum Shopping (im Presserecht) grundsätzlich jedenfalls dann nicht für dringlichkeitsschädlich oder rechtsmissbräuchlich, wenn der Antragsgegner vom Antragsteller über die Rücknahme des ersten Verfügungsantrags informiert wird (OLG Hamburg, Beschluss vom 13.01.2022, Az. 7 W 156/21 m.w.N. und stichhaltiger Begründung, offengelassen für das Wettbewerbsrecht). Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur prozessualen Waffengleichheit im Verfügungsverfahren könne es gebieten, dass es dem Antragsgegner nicht verborgen bleiben darf, dass der Antragsteller bereits einen (erfolglosen) Anlauf unternommen hat, eine einstweilige Verfügung zu erlangen. Ein Antragsteller gebe aus Sicht des OLG Hamburg durch ein solches Vorgehen nicht zu erkennen, dass ihm die Sache nicht dringlich ist. Dies gilt auch dann, wenn es sich hierbei um die Reaktion auf einen Hinweis des zunächst angerufenen Gerichts handelt, wegen rechtlicher und/oder tatsächlicher Bedenken die begehrte einstweilige Verfügung nicht oder jedenfalls nicht ohne mündliche Verhandlung erlassen zu wollen.
- bei (nahezu) vollständiger Ausnutzung der Berufungsbegründungsfrist (OLG Köln, Beschluss vom 19.01.2012, Az. 15 U 195/11; KG Berlin, Beschluss vom 16.04.2009, Az. 8 U 249/08; OLG Frankfurt, Urteil vom 13.09.2001, Az. 6 U 79/01; OLG Frankfurt, Urteil vom 15.05.2012, Az. 6 U 2/12), was jedoch nicht für die Ausschöpfung der Beschwerdefrist gelten soll (OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.09.2012, Az. 6 W 94/12).
- bei Nichtbegründung einer Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist (OLG Nürnberg, Beschluss vom 28.02.2023, Az. 3 W 290/23). Zwar ist die Beschwerde – wenn sie nicht begründet wird – gleichwohl zulässig. Sie soll jedoch nach § 571 Abs. 1 ZPO begründet werden. Es entspricht daher einer sachgerechten Prozessführung, dem Rechtsmittelgericht gegenüber zeitnah zum Ausdruck zu bringen, aus welchen Gründen die Entscheidung angefochten wird (OLG Frankfurt, Urteil vom 28.05.2013, Az. 11 W 13/13). Auch das erstinstanzliche Gericht ist gemäß § 572 Abs. 1 ZPO verpflichtet zu prüfen, ob es die Beschwerde für begründet erachtet und ob es ihr dementsprechend abhilft. Dies setzt in aller Regel – angesichts der vorangegangenen ablehnenden Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts – eine Beschwerdebegründung voraus (Kammergericht, Beschluss vom 20.09.2016, Az. 5 W 147/16). Insbesondere bei einem Rechtsmittelführer, der den Weg des einstweiligen Verfügungsverfahrens eingeschlagen hat, legt eine sachgerechte Prozessführung es nahe, die Beschwerdebegründung innerhalb der Beschwerdefrist oder jedenfalls im engen zeitlichen Zusammenhang mit ihr einzureichen (OLG Frankfurt, Urteil vom 28.05.2013, Az. 11 W 13/13).
- wenn sich der erstinstanzlich unterlegene Antragsteller die Frist zur Berufungsbegründung nicht unerheblich verlängern lässt und diese verlängerte Frist nicht unerheblich ausnutzt. In diesem Fall gibt der Antragsteller “im Allgemeinen” zu erkennen, dass es ihm mit der Verfolgung seines Anspruchs im einstweiligen Rechtsschutz nicht (mehr) dringlich ist (OLG Celle, Beschluss vom 17.09.2015 – 13 U 72/15 mit weiteren Nachweisen).
- wenn bei Verhinderung des Verfahrensbevollmächtigten kein Terminsvertreter zur Verhandlung entsandt wird (OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.11.2012, Az. 20 U 4/12).
Die Dringlichkeitsvermutung ist (grundsätzlich) nicht widerlegt, wenn der Antragsteller
- nicht gegen gleichartige Verstöße Dritter vorgegangen ist (OLG Hamburg, Urteil vom 04.07.2013, Az. 3 U 161/11).
- den Verfügungsantrag in einem sehr frühen Verfahrensstadium vor Anhörung der Gegenseite und vor einer gerichtlichen Entscheidung zurücknimmt und kurze Zeit später denselben Antrag bei einem anderen Landgericht stellt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.04.2006, Az. VI-U (Kart) 23/05).
- es unterlässt, sich bei Gericht nach dem Stand seines Verfahrens zu erkundigen. Eine „Nachfrageobliegenheit“, die zum Verlust des Verfügungsgrundes führt, besteht erst dann, wenn die festzustellende Dauer der Untätigkeit des Gerichts nach den Gesamtumständen nicht mehr mit Überlastung oder sonstigen nachvollziehbaren Gründen, sondern offensichtlich nur damit zu erklären ist, dass dem Gericht die Sache versehentlich „aus dem Blick geraten“ ist; ein solcher Ausnahmefall liegt noch nicht vor, wenn zwei Monate nach Einreichung des Eilantrages noch keine Entscheidung hierüber getroffen worden ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.11.2019, Az. 6 W 82/19).
- den Verfügungsantrag bei Gericht binnen einem Monat nach Kenntnis der geschäftlichen Handlung stellt, die Anlagen zum Antrag aber erst einen Tag nach Ablauf der Monatsfrist eingereicht werden (OLG Stuttgart, Urteil vom 02.05.2019, Az. 2 U 263/18).
- in der Vergangenheit gegen den Antragsgegner Eilanträge eingeleitet hatte, ohne sein Unterlassungsbegehren dabei nicht in zulässig-abstrahierender Weise auch auf solche Verletzungshandlungen zu erstrecken, die nun Gegenstand des aktuellen Verfügungsantrags sind. Der Antragsteller ist in seiner Entscheidung, ob er den Antragsgegner wegen eines konkreten Verletzungsverhaltens in Anspruch nimmt oder ob er das aus Anlass einer konkreten Verletzungshandlung geltend gemachte Unterlassungsgebot möglichst weit gefasst sehen will, grundsätzlich frei. Fehlt dem Antragsteller nicht schon das Rechtsschutzbedürfnis für die Durchsetzung eines weiteren Unterlassungsanspruchs, ist er auch nicht gehindert, in verschiedenen Eilverfahren jeweils verschiedene konkrete Verletzungsformen zu beanstanden (Kammergericht, Beschluss vom 12.05.2021, Az. 5 W 58/21 mit Verweis auf OLG Frankfurt, Urteil vom 14.03.2013, Az. 6 U 227/12). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Antragsteller mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eine bestimmte Verletzungsform als unlauter beanstandet, ohne die in dieser enthaltenen Einzelaussagen gesondert zum Gegenstand des Verbots zu machen, um sodann im Nachgang zu dem Erstverfahren mit einem weiteren einstweiligen Verfügungsverfahren hervorzutreten, das einzelne Aspekte der konkreten Verletzungsform zum Gegenstand hat (Kammergericht, Beschluss vom 12.05.2021, Az. 5 W 58/21 mit Verweis auf OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.08.2005, Az. 6 W 107/05; OLG Frankfurt, Urteil vom 06.12.2012, Az. 6 U 144/12).
- das einstweilige Verfügungsverfahren binnen Monatsfrist nach Kenntniserlangung vom Verstoß und vom Verletzer einleitet, das angerufene Gericht aber Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt und der Antragsteller zu vom Gericht zugleich geäußerten Bedenken gegen die Schlüssigkeit des Antrags erst drei Tage vor dem anberaumten Termin ergänzend Stellung nimmt. Es besteht insofern insbesondere keine prozessuale Obliegenheit des Antragstellers, eine Vorverlegung des anberaumen Termins zu beantragen (OLG Hamm, Urteil vom 19.08.2021, Az. 4 U 57/21).
- eine Beschlussverfügung mit unvollständigem Tenor im Parteibetrieb zugestellt bekommt, aber keine Berichtigung beantragt, weil er den Fehler im Beschluss nicht erkannt hat (vgl. LG Köln, Urteil vom 12.10.2021, Az. 31 O 63/20).
- im Verfügungsantrag – innerhalb desselben Streitgegenstandes – gegenüber dem Abmahnschreiben weitergehenden Vortrag hält und dies die gerichtliche Anhörung des Gegners zum Verfügungsantrag veranlasst hat (OLG Köln, Urteil vom 23.06.2023, Az. 6 U 178/22).
Die Dringlichkeitsvermutung kann wieder aufleben bzw. neu entstehen,
- wenn sich die Umstände wesentlich ändern, z.B. die Art und Intensität der angegriffenen Werbung (OLG Hamburg, Urteil vom 11.08.2005, Az. 5 U 19/05) oder der Verletzer sein Verhalten intensiviert (OLG München, Urteil vom 23.03.2006, Az. 29 U 5108/05). Stützt der Antragsteller den Verfügungsantrag indes auf Verletzungshandlungen, von denen er innerhalb der (beim jeweiligen Gericht als maßgeblich angesehenen) Dringlichkeitsfrist vor Antragstellung erfahren hat, stellt sich die Frage nach dem Wiederaufleben der Dringlichkeit nicht (Kammergericht, Beschluss vom 12.05.2021, Az. 5 W 58/21). Die Dringlichkeit kann auch nicht dadurch wieder „aufleben“, dass der Antragsgegner die ihm vom Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin übersandte Unterlassungserklärung auf der streitgegenständlichen Internetseite veröffentlicht und die Äußerungen damit wiederholt hat. Durch diese Veröffentlichung realisierte sich nämlich die bereits seit (…) bestehende konkrete Gefahr der jederzeitigen Wiederholung, deren Beseitigung die Antragstellerin während des Ablaufs von mehr als neun Monaten nicht für dringlich erachtet hatte (OLG Brandenburg, Beschluss vom 19.07.2021, Az. 1 W 23/21).
VI. Widerlegung der Dringlichkeit durch fehlendes Vorgehen gegen Quelle
Geht der Rechteinhaber gerichtlich nicht gegen die Quelle der Rechtsverletzung vor (hier: Franchisegeber), sondern nur gegen dessen Abnehmer (hier: Franchisenehmer), kann der Verfügungsgrund für eine einstweilige Verfügung fehlen (OLG Köln, Hinweisbeschluss vom 08.06.2022, Az. 6 U 220/21).
VII. Darlegungslast für Widerlegung der Dringlichkeit
Aus der Dringlichkeitsvermutung folgt, dass die Glaubhaftmachungslast für den Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch den Antragsteller grundsätzlich beim Antragsgegner liegt (vgl. Hess in: Ullmann, jurisPK-UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 120). Grundsätzlich ist es also Sache des Antragsgegners, eine frühere als die vom Antragsteller zugestandene Kenntnis glaubhaft zu machen (Hess a.a.O. – Online-Ausgabe 2017 – Rn. 125.1 m.w.N.). Das schließt zur gegenteiligen Beurteilung führende Sonderfälle nicht aus, in denen eine Werbung der Konkurrenz so offenkundig ist, dass die Wahrscheinlichkeit für die Kenntnis des Verletzten spricht (vgl. Kammergericht, Urteil vom 23.12.2005, Az. 5 W 70/04).
Da der Verfügungsbeklagte regelmäßig von dem Zeitpunkt, in dem der Verfügungskläger vom Wettbewerbsverstoß Kenntnis erlangt hat (oder ohne grobes Verschulden hätte erlangen müssen), keine nähere Kenntnis hat, dieser Zeitpunkt aber, wenn er lange genug zurückliegt, die Dringlichkeitsvermutung widerlegen kann, genügt es, wenn der Verfügungsbeklagte Tatsachen vorträgt, die den Schluss auf eine Kenntniserlangung zu einem dringlichkeitsschädlichen Zeitpunkt zulassen. Ist solcher Vortrag erfolgt, obliegt es dem Verfügungskläger, einen späteren – unter Dringlichkeitsgesichtspunkten unschädlichen – Zeitpunkt der Kenntniserlangung erstens vorzutragen und zweitens glaubhaft zu machen (OLG Rostock, Beschluss vom 08.11.2021, Az. 2 U 25/21 mit Verweis auf OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.02.2014, Az. I-6 U 84/13; OLG Köln, Urteil vom 13.12.2013, Az. 6 U 100/13; OLG Stuttgart, Urteil vom 27.11.2008, Az. 2 U 60/08; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 12 Rn. 2.13 e.E., 2.15 a.E.).
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Guten Tag, mein Mieter hat durch Schwarzbauen 2014 Errichtung eines Büro ca 150 qm den zwei Brandabschnitt zu einem Brandsbschnitt gemacht. Ende 2018 bis Marz 2019 die der komplette Betrieb für mehrere Mio umgebaut worden. Automatisch Fertighausanlage. Es wurde keine Nutzungsänderung beantragt. Die VHV Gebäudeversicherung hat letzte Woche wegen der Mängeln den Vertrag gekündigt. Kann ich eine einstweilige Verfügung Betriebsstilllegung beantragen?