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Rechtsmissbrauch im Wettbewerbsrecht (Liste: 95 Indizien)

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Auf wettbewerbsrechtliche Abmahnungen folgt oft reflexartig der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs – meist zu Unrecht. In diesem Beitrag stellen wir die von der Rechtsprechung entwickelten Missbrauchs-Fallgruppen vor samt einer umfangreichen Indizienliste.

I. Grundsatz: Weite Abmahnberechtigung im Wettbewerbsrecht

Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) erlaubt es Mitbewerbern, gegen Wettbewerbsverstöße der Konkurrenz rechtlich vorzugehen.

Mitbewerber und damit abmahnberechtigt ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG jeder Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht.

Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen Unternehmen liegt vor, wenn diese in einem Substitutionswettbewerb stehen. Das ist gegeben, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen und daher das Wettbewerbsverhalten des einen den anderen beeinträchtigen, das heißt im Absatz behindern oder stören kann (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteil vom 06.06.2019, Az. I ZR 67/18Erfolgshonorar für Versicherungsberater). Aber auch wenn die Parteien keine gleichartigen Waren oder Dienstleistungen abzusetzen versuchen, besteht ein konkretes Wettbewerbsverhältnis, wenn zwischen den Vorteilen, die die eine Partei durch eine Maßnahme für ihr Unternehmen oder das Dritter zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die die andere Partei dadurch erleidet, eine Wechselwirkung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann und die von den Parteien angebotenen Waren oder Dienstleistungen einen wettbewerblichen Bezug zueinander aufweisen (sog. mittelbares Wettbewerbsverhältnis, vgl. OLG Köln, Urteil vom 23.09.2022, Az. 6 U 70/22).

II. Korrektive: Ernsthafter Vertrieb und Verbot des Rechtsmissbrauchs

Das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses wird von der Rechtsprechung traditionell weit ausgelegt. Begrenzt wird die weite Abmahnberechtigung von Mitbewerbern im Wesentlichen nur durch die folgenden Einschränkungen.

Zum einen muss das abmahnende Unternehmen gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreiben oder nachfragen. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass nur echte Konkurrenz abmahnberechtigt ist. Es reicht in diesem Zusammenhang nicht aus, die Mitbewerbereigenschaft bloß in der Abmahnung zu behaupten. Der Abmahner muss ein Wettbewerbsverhältnis darlegen und vortragen, dass vergleichbare Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichen Maße und nicht nur gelegentlich vertrieben werden. In diesem Zuge müssen zwar keine konkreten Umsatzzahlen oder gar Steuerbescheinigungen vorgelegt werden. Der Abmahner muss aber zumindest in aussagekräftiger Form Größenkategorien seiner Verkaufszahlen angeben (vgl. LG Traunstein, Urteil vom 23.09.2022, Az. 1 HK O 436/22).

Zum anderen greift das in § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG aF (jetzt: § 8c UWG) geregelte Verbot des Rechtsmissbrauchs. Danach ist die Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung unzulässig,

“wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist.”

Der Abmahnende handelt in aller Regel missbräuchlich, wenn sein Beweggrund nicht das Interesse an einem lauteren, funktionierenden Wettbewerb ist, sondern sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Ziele als eigentliche Triebfeder und das beherrschende – jedoch nicht notwendig alleinige – Motiv der wettbewerbsrechtlichen Abmahnung oder Verfahrenseinleitung erscheinen.

Seit Dezember 2020 bietet der nicht abschließende Katalog von Regelbeispielen in § 8c Abs. 2 UWG Indizien für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten. Zu beachten ist, dass auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 8c Abs. 2 UWG weiterhin eine Gesamtwürdigung aller Einzelfallumstände erforderlich ist (OLG Nürnberg, Urteil vom 18.07.2023, Az. 3 U 1092/23 mit Verweis auf: Feddersen, in Köhler/Bornkamm, UWG, 41. Aufl. 2023, § 8c Rn. 12).

Danach ist Rechtsmissbrauch im Zweifel anzunehmen, wenn

  1. die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder die Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen,
  2. ein Mitbewerber eine erhebliche Anzahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift durch Abmahnungen geltend macht, wenn die Anzahl der geltend gemachten Verstöße außer Verhältnis zum Umfang der eigenen Geschäftstätigkeit steht oder wenn anzunehmen ist, dass der Mitbewerber das wirtschaftliche Risiko seines außergerichtlichen oder gerichtlichen Vorgehens nicht selbst trägt,
  3. ein Mitbewerber den Gegenstandswert für eine Abmahnung unangemessen hoch ansetzt,
  4. offensichtlich überhöhte Vertragsstrafen vereinbart oder gefordert werden,
  5. eine vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtung offensichtlich über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgeht,
  6. mehrere Zuwiderhandlungen, die zusammen hätten abgemahnt werden können, einzeln abgemahnt werden oder
  7. wegen einer Zuwiderhandlung, für die mehrere Zuwiderhandelnde verantwortlich sind, die Ansprüche gegen die Zuwiderhandelnden ohne sachlichen Grund nicht zusammen geltend gemacht werden.

Ausdrücklich nennt § 8c Abs. 2 UWG als Missbrauchsindiz ein vorwiegendes Gebührenerzielungsinteresse. Geht es dem Gläubiger weniger um die Unterbindung von Wettbewerbsverstößen, sondern vor allem um die Erzielung von Gewinnen durch Abmahngebühren, ist schon die erste Abmahnung missbräuchlich. Davon ist auszugehen, wenn die äußeren Umstände in ihrer Gesamtheit aus Sicht eines wirtschaftlich denkenden Unternehmers deutlich machen, dass der Anspruchsberechtigte kein nennenswertes wirtschaftliches oder wettbewerbspolitisches Interesse an der Rechtsverfolgung haben kann und deshalb allein oder ganz überwiegend nur ein Gebühreninteresse verfolgt.

Ob die Anspruchsverfolgung vorwiegend von sachfremden Erwägungen bestimmt ist, muss im Einzelfall im Rahmen einer Gesamtwürdigung bestimmt werden. Zu den wesentlichen – in der Regel äußeren – Umstände gehört:

  • Art, Umfang und Schwere des Wettbewerbsverstoßes,
  • Verhalten des Gläubigers bei der Verfolgung dieses oder anderer Verstöße,
  • Verhalten des Schuldners nach dem Verstoß,
  • Bei der Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände ist vor allem auf das Verhalten des Gläubigers bei der Verfolgung dieses und anderer Verstöße abzustellen.

Die rechtsmissbräuchliche außergerichtliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs führt dazu, dass

  1. der Abgemahnte vom Abmahner Ersatz der für die Verteidigung erforderlichen Anwaltskosten verlangen darf,
  2. der Unterlassungsanspruch nicht mehr gerichtlich geltend gemacht werden kann. Ist eine vorgerichtliche Abmahnung rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 8c UWG, sind auch nachfolgende gerichtliche Anträge wegen fehlender Prozessführungsbefugnis unzulässig. Damit führt eine rechtsmissbräuchliche Abmahnung im Wettbewerbsrecht (anders als im Urheberrecht) zum Erlöschen des Unterlassungsanspruchs und zur Unzulässigkeit einer nachfolgenden Klage (vgl. LG Köln, Urteil vom 22.08.2022, Az. 14 O 327/21).

Zu beachten ist, dass zu Gunsten des Abmahners eine Vermutung der vorhandenen Prozessführungsbefugnis besteht. Im Prozess ist es daher grundsätzlich Sache des Abgemahnten, Indizien für das Vorliegen von Rechtsmissbrauch vorzutragen und dafür Beweis zu erbringen. Erschüttert der Beklagte durch Tatsachenvortrag (nicht Rechtsvortrag) die für die Prozessführungsbefugnis sprechende Vermutung, muss der Kläger substantiiert Gründe darlegen, die gegen einen Missbrauch sprechen.

Für urheberrechtliche Abmahnungen gilt § 8c UWG nicht analog, weil keine planwidrige Regelungslücke besteht. Allerdings greift auch für urheberrechtliche Ansprüche das allgemeine Verbot unzulässiger Rechtsausübung nach § 242 BGB. Die im Wettbewerbsrecht zur missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen entwickelten Rechtsgrundsätze beruhen ebenfalls auf dem Gedanken der unzulässigen Rechtsausübung. Sie können daher unter Berücksichtigung der zwischen den beiden Rechtsgebieten bestehenden Unterschiede grundsätzlich auch für das Urheberrecht fruchtbar gemacht werden (BGH, Urteil vom 28.05.2020, Az. I ZR 129/19 mit Verweis auf BGH, Urteil vom 31.05.2012, Az. I ZR 106/10Ferienluxuswohnung).

III. Indizien der Rechtsprechung für Rechtsmissbrauch

Die Rechtsprechung hat zahlreiche Indizien herausgearbeitet, die dabei helfen können, sich gegen rechtmissbräuchliche Abmahnungen zu verteidigen. Die entwickelten Fallgruppen missbräuchlicher Rechtsverfolgung stehen zueinander in einem alternativen und nicht in einem kumulativen Verhältnis. Sie gelten auch nach Einführung von § 8c UWG weiter, der § 8 Abs. 4 UWG aF ersetzt und konkretisiert.

1. Massenhafte Abmahnungen

Eine größere Zahl an Abmahnungen stellt für sich genommen (noch) kein Indiz für Missbrauch dar und führt entsprechend nicht zu einer Beweislastumkehr zu Lasten des Abmahnenden (vgl. OLG Celle, Hinweisbeschluss vom 27.03.2017, Az. 13 U 199/16). Vielmehr müssen grundsätzlich weitere Indizien hinzutreten.

Ein solches Indiz stellen zum Beispiel Massenabmahnungen kurze Zeit nach Gründung des Unternehmens dar (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 24.05.2016, Az. 6 U 101/14). Rechtsmissbrauch wird ebenfalls indiziert, wenn im gesamten Vorgehen des Abmahners ein systematisches Massengeschäft erkannt wird (vgl. LG München, Urteil vom 25.02.2016, Az. 2 HK O 3883/15). Rechtsmissbräuchlich ist auch ein Vorgehen, bei dem sich der massenhaft Abmahnende auf einen bestimmten Verstoß spezialisiert hat, die Art von abgemahnten Rechtsverstößen leicht auffindbar ist und den Abmahnungen einfach gelagerte sowie im Internet leicht zu ermittelnde Wettbewerbsverstöße zugrunde liegen (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 11.08.2016, Az. 3 U 56/15). Für Rechtsmissbrauch spricht auch, wenn die Abmahnungen verallgemeinernd und nicht auf Einzelfälle bezogen formuliert sind (vgl. LG Bückeburg, Urteil vom 22.04.2008, Az. 2 O 62/08) und die Höhe des Schadensersatzes pauschal, nicht begründet ist sowie das für einen Schadensersatzanspruch gemäß § 9 UWG erforderliche Verschulden nicht angesprochen wird (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 28.04.2009, Az.: 4 U 216/08). In dieses Bild passt auch das Auftreten von Verwechselungsfehlern im Abmahnschreiben bei der Abmahnung einzelner Mitbewerber, z.B. ist eine falsche Parteibezeichnung am Anfang des Abmahnschreibens symptomatisch für die Vorgehensweise bei einer Vielzahl von Abmahnungen (LG Braunschweig, Urteil vom 08.08.2007, Az. 9 O 482/07).

Dasselbe gilt, wenn Abmahnungen ins Blaue hinein ausgesprochen wurden (vgl. LG München, Urteil vom 25.02.2016, Az. 2 HK O 3883/15). Ein Indiz für Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht (BGH, Urteil vom 26.04.2018, Az. I ZR, 248/16 – Abmahnaktion II) im Sinne der operativen Geschäftstätigkeit (OLG Hamm, Urteil vom 28.07.2011, Az. I-4 U 55/11) und das Prozessrisiko für den Abmahnenden existenzgefährdend ist (vgl. OLG Jena, Urteil vom 06.10. 2010, Az. 2 U 386/10). Rechtsmissbrauch bei einer Vielzahl von Abmahnungen setzt nicht kumulativ voraus, dass kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse an der Rechtsverfolgung besteht und die Abmahnungen im Verhältnis zum Jahresgewinn des Abmahnenden mit einem existenzbedrohenden Verfolgungsaufwand verbunden sind. Schon bei Vorliegen eines dieser beiden Kriterien kann Rechtsmissbrauch angenommen werden, wenn weitere Umstände hinzukommen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.09.2020, Az. 6 U 57/20).

2. Rechtsmissbrauch durch kollusives Zusammenwirken

Ein weiteres Indiz für Rechtsmissbrauch kann in den personellen oder wirtschaftlichen Verhältnissen zwischen Rechtsanwalt und Abmahnendem bestehen. Handelt es sich bei dem beauftragten Rechtsanwalt um einen Verwandten des Abmahners, wird dies als Indiz für Rechtsmissbrauch gewertet (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 24.03.2009, Az. 4 U 211/08). Dasselbe gilt für eine enge Zusammenarbeit mit Prozessfinanzierern: Kläger und Prozessfinanzierer dürfen weder personell noch finanziell verflochten sein (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.02.2017, Az. I-20 U 139/15).

Ein Indiz ist auch die Beauftragung eines örtlich weit entfernten Rechtsanwalts, der über keine entsprechende sachlich spezifischen Qualifikationen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes verfügt, wobei eine Vielzahl von den Fachanwälten ortsnah praktizieren (vgl. AG Schleiden, Urteil vom 01.12.2008, Az. 9 C 158/08).

Missbrauch ist ebenfalls indiziert, wenn der beauftragte Rechtsanwalt das Abmahngeschäft “in eigener Regie” betreibt, insbesondere selbst Wettbewerbsverstöße erst ermittelt und im Internet recherchiert (vgl. LG München, Urteil vom 22.12.2014, Az. 4 HKO 8107/14). Das ist nicht nur im Wettbewerbsrecht, sondern auch im Urheberrecht (vgl. BGH, Urteil vom 28.05.2020, Az. I ZR 129/19).

Ein weiteres Indiz ist, wenn dem Rechtsanwalt eine Pauschale für nicht fixierte Anzahl der abgemahnten Rechtsverstöße gezahlt wird (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 15.09.2015, Az. 4 U 105/15). Ähnlich verhält es sich, wenn der Abmahnende kein Kostenrisiko trägt, weil die Rechtsanwaltsrechnung nicht auf den Auftraggeber, sondern auf den Abgemahnten ausgestellt wird oder wenn der beauftragte Rechtsanwalt Herr der Abmahnung ist und den Abmahner ganz oder teilweise vom Kostenrisiko freistellt (vgl. BGH, Beschluss vom 08.02.2017, Az. 1 StR 483/16). Von kollusivem Zusammenwirken ist nicht nur auszugehen, wenn der Rechtsanwalt den Mandanten von dem eingegangenen Kostenrisiko freistellt. Der Abmahner trägt auch dann kein Kostenrisiko, wenn seine wirtschaftlichen Verhältnisse so gestaltet sind, dass seine Gläubiger weder aktuell noch in Zukunft Aussicht haben, ihre Forderungen zu realisieren (vgl. KG, Urteil vom 02.02.2018, Az.: 5 U 110/16).

Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung spricht für die Missbräuchlichkeit der Abmahnung, was anzunehmen ist, wenn nur eine Blankovollmacht unterschrieben wurde. Dann liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die ausgesprochene Abmahnung nicht auf einen einzelnen individuellen Auftrag des Abmahnenden zurückzuführen ist, sondern auf Eigeninitiative seines Prozessbevollmächtigten beruht (LG Bielefeld, Urteil vom 30.11.2011, Az. 3 O 357/11). Hinzu kann auch die Verwendung von Barzahlungen kommen, denn solche lassen keine Überprüfung durch Dritte zu, ob tatsächlich gezahlt worden ist (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 12.11.2009, Az.: 4 U 93/09).

Ein weiteres Indiz liegt vor, wenn zwei Gesellschaften über dieselbe Kanzlei Abmahnungen aussprechen lassen und ihr Vertreter jeweils dieselbe Person ist (vgl. LG Braunschweig, Urteil vom 08.08.2007, Az. 9 O 482/07).

Ein Hinweis auf Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn ein Wettbewerbsverband ohne sachlich gerechtfertigten Grund nur gegen verbandsfremde Wettbewerber vorgeht oder neue Mitglieder durch Nichtverfolgung von Wettbewerbsverstößen anwirbt. Die Vermutung eines rechtsmissbräuchlichen Vorgehens eines Wettbewerbsverbandes wird jedoch nicht allein aus dem Umstand hergeleitet, dass dieser gegen einen Dritten vorgeht, obwohl sein eigenes Mitglied sich in ähnlicher Weise wettbewerbswidrig verhält. Einem klagebefugten Verband ist es grundsätzlich nicht verwehrt, nur gegen bestimmte Verletzer gerichtlich vorzugehen; diese Entscheidung steht in seinem freien Ermessen. Eine unzumutbare Benachteiligung des angegriffenen Verletzers gegenüber anderen liegt schon deshalb nicht vor, weil es dem Verletzer grundsätzlich offen steht, seinerseits gegen gleichartige Verletzungshandlungen von Mitbewerbern vorzugehen, die nicht vom Verband angegriffen wurden. Es gibt grundsätzlich keine Obliegenheit eines Verbands, gegen eigene Mitglieder vorzugehen, auf die sich außenstehende Dritte berufen könnten. Anders verhält es sich erst, wenn ein Verband unlauteren Wettbewerb seiner eigenen Mitglieder durch gleichartige Verletzungshandlungen planmäßig duldet. So ist es insbesondere rechtsmissbräuchlich, wenn der Verband mit einem selektiven Vorgehen ausschließlich gegen Nichtmitglieder bezweckt, neue Mitglieder zu werben, denen er nach einem Beitritt Schutz vor Verfolgung verspricht (vgl. LG Berlin, Urteil vom 10.04.2018, Az. 102 O 140/17; OLG Hamm, Beschluss vom 02.03.2021, Az. 4 U 6/21 m.V.a. BGH, Urteil vom 23.01.1997, Az. I ZR 29/94Produktwerbung; BGH, Urteil vom 17.08.2011, Az. I ZR 148/10Glücksspielverband).

Rechtsmissbräuchlich ist es, wenn der Prozessfinanzierer den Abmahner vom Kostenrisiko beim Ausspruch einer Abmahnung freistellt (vgl. KG, Beschluss vom 03.08.2010, Az.  5 U 82/08), oder wenn im Zusammenwirken von Anwalt und Prozessfinanzierer dem Mandanten eine kostenfreie Verfolgung von Unterlassungsansprüchen angeboten wird, der Kläger jedenfalls aus späteren Vertragsstrafen Gewinn erzielen soll, der Prozessfinanzierer und der von ihm vermittelte Anwalt eng und fortlaufend zusammenarbeiten und der Kläger die maßgeblichen Umstände kennt. Darüber hinaus wird auch vertreten, dass die Missbräuchlichkeit allein aus der Zusage des Finanzierers gegenüber dem Kläger, den Anspruch kostenfrei zu verfolgen, geschlossen werden kann (LG Berlin, Urteil vom 20.9.2016, Az. 15 O 6/16). Das Gleiche gilt, wenn die Abmahntätigkeit des Verbands durch einen Prozessfinanzierer gesponsert wird (vgl. BGH, Urteil vom 13.09.2018, Az. I ZR 26/17Prozessfinanzierer).

3. Missbrauch bezogen auf die wettbewerbliche Umstände selbst

Neben dem im Gesetz ausdrücklich genannten Fall, dass die Rechtsverfolgung vorwiegend der Gebührenerzielung dient, ist die Rechtsverfolgung auch dann missbräuchlich, wenn sie maßgeblich von der Absicht getragen ist, den Verletzer im Wettbewerb zu behindern.

Missbrauch liegt etwa vor, wenn abgemahnt wird, obwohl kein Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Abmahnenden und Abgemahnten vorliegt, etwa weil die Teilnahme am Wettbewerb gering ist (vgl. KG, Urteil vom 09.12.2016, Az. 5 U 163/15 und 5 W 27/16vorgeschobene Marktbereinigung II) und der Abmahner als angeblicher Wettbewerber die relevanten Waren zu auffallend überhöhten Preisen (zum Schein) anbietet (vgl. LG Würzburg, Urteil vom 28.10.2008, Az. 14 O 1631/08). Genauso verhält es sich in dem Fall, dass nur minimale Wettbewerbsüberschneidungen bestehen, gelegentlich oder im Randsortiment (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 11.08.2016, Az. 3 U 56/15).

Indiz für die Missbräuchlichkeit einer Abmahnung kann auch die Unbeachtlichkeitkeit des kritisierten Rechtsverstoßes sein, etwa eine unvollständige AGB-Klausel mit geringer Bedeutung (vgl. AG Schleiden, Urteil vom 01.12.2008, Az. 9 C 158/08) oder eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.03.2015, Az. I-20 U 187/14, Anmerkung: Vorsicht, die meisten Gerichte sehen Fehler in der Widerrufsbelehrung nicht als unbeachtlich bzw. geringfügig an).

Als Indiz kann auch der Umstand gewertet werden, dass der Abmahnende ein vergleichsweise kleines, wirtschaftlich eher unbedeutendes Unternehmen abmahnt, wodurch das Risiko minimiert wird, dass der Gegner sich gegen die Abmahnung zur Wehr setzt, was bei einem wirtschaftlich potenten Gegner eher zu erwarten ist als bei Kleinunternehmern (LG Bückeburg, Urteil vom 22.04.2008, Az. 2 O 62/08).

Die rechtsmissbräuchliche Verfolgung eines Wettbewerbsverstoßes kann sich auch aus den Umständen des Testkaufs ergeben. Rechtsmissbräuchlich handelt beispielsweise, wer auf unlautere Weise einen fremden Wettbewerbsverstoß provoziert (vgl. OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 24.05.2016, Az. 6 U 101/14).

Ein weiteres Indiz für Rechtsmissbrauch besteht, wenn sich der Abmahnende selbst wettbewerbswidrig verhält oder in der Vergangenheit verhalten hat (vgl. LG Köln, Urteil vom 23.09.2014, Az. 81 O 14/14, Anmerkung: “unclean hands” werten die meisten Gerichte nicht als Missbrauchsindiz).

4. Mehrfache Abmahnungen

Die mehrfache Abmahnung von ein und desselbem Wettbewerbsverstoß ist rechtmissbräuchlich (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.04.2017, Az. I 15 U 34/16).

Auch das Aussprechen mehrerer Abmahnungen, bei denen im Moment des Aussprechens die Voraussetzungen für eine einheitliche Geltendmachung für den Abmahnenden bekanntlich vorlagen, ist rechtsmissbräuchlich (vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 11.03.2015, Az. 12 O 461/14). Hat der Gläubiger im Zeitpunkt der Abmahnung dagegen weitere Verstöße übersehen, die er später in einer zweiten Abmahnung rügt, indiziert dies keinen Rechtsmissbrauch, da Missbrauch trotz Abstellens auf objektive Umstände immer auch ein Wissens- und Willenselement beinhaltet (OLG Köln, Urteil vom 27.11.2020, Az. 6 U 65/20).

Gleichzeitiges Betreiben eines Verfügungsverfahrens und eines Klageverfahrens ist Indiz für Rechtsmissbrauch (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 23.03.2017, Az. 9 W 324/16). Das parallele Abmahnen durch Schwesterunternehmen oder durch die Unternehmen eines Konzerns ist ein Indiz fürs Generieren von Gebühren (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 01.12.2015, Az. 6 W 96/15). Ähnlich verhält es sich auch beim getrennten Vorgehen gegen die juristische Person und ihrer Repräsentanten wegen desselben Verstoßes ohne sachlich nachvollziehbaren Grund (vgl. LG Bochum, Urteil vom 21.04.2010, Az. 13 O 261/09).

5. Manipulative Unterlassungserklärungen

Auch eine der Abmahnung beigefügte Unterlassungserklärung kann rechtsmissbräuchlich sein, etwa durch Vorformulierung eines Verzichts auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs, wobei laut BGH dieser Umstand angesichts des grundsätzlich berechtigten Interesses des unmittelbar Verletzten, ihn beeinträchtigende Wettbewerbsverstöße zu verfolgen, nicht ausreicht, eine missbräuchliche Rechtsverfolgung anzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 06.10.2011, Az. I ZR 42/10falsche Suchrubrik); durch Forderung nicht erstattungsfähiger Anwaltsgebühren bei der Geltendmachung einer Vertragsstrafe (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 09.01.2014, Az. 6 U 27/13); dadurch, dass die Vertragsstrafe auch schon bei fehlendem Verschulden verwirkt sein soll (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10.08.2010, Az. 4 U 60/10), insbesondere wenn sie so in die Unterwerfungserklärung eingefügt wurde, dass sie ohne weiteres überlesen werden kann (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 29.06.2010, Az. I-4 U 24/10); durch Ausübung eines empfindlichen Drucks auf den Abgemahnten mithilfe des Hinweises auf die höheren Kosten im Falle der gerichtlichen Auseinandersetzung und unter knapper Fristsetzung (vgl. LG Bochum, Urteil vom 21.04.2010, Az. 13 O 261/09); durch eine unter Wiederholung des Gesetzestextes so weit formulierte Unterlassungserklärung, in der unter die Unterlassungsverpflichtung auch gänzlich andere Verstöße als die abgemahnten fallen können (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 29.06.2010, Az. I-4 U 24/10). Je weiter die mit der Unterlassungserklärung eingegangene Verpflichtung ist, um so größer ist die Gefahr von Verstößen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10.08.2010, Az. 4 U 60/10). Missbräuchlich ist es des Weiteren, durch Verquickung von Unterwerfung und Kostenerstattung bei der Frage der Fristverlängerung den unzutreffenden Eindruck zu erwecken, diese gehören zusammen und der Schuldner könne die Gefahr gerichtlicher Inanspruchnahme nur dadurch verhindern, dass er neben der Unterlassungserklärung auch die Abmahnkosten umgehend erstattet (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 29.06.2010, Az. I-4 U 24/10).

6. Überhöhte Streitwerte

Für Missbrauch spricht, wenn der Berechtigte einen deutlich überhöhten Streitwert ansetzt und dadurch hohe Abmahnkosten geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 03.03.2016, Az. I ZR 110/15). Die überhöhten Abmahngebühren und Vertragsstrafen alleine reichen jedoch für sich gesehen noch nicht aus, von Rechtsmissbrauch auszugehen, vielmehr müssen noch weitere besondere Umstände hinzutreten (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 28.07.2011, Az. 4 U 55/11).

7. Missbrauch des fliegenden Gerichtsstands

Wird ein örtlich entfernter Gerichtsstand gewählt, für dessen Wahl kein vernünftiger Grund ersichtlich ist, so wird vermutet, dass dadurch das Verschleiern des systematischen Vorgehens des Abmahnenden bezweckt wird (vgl. LG Braunschweig, Urteil vom 08.01.2007, Az. 21 O 2945/07) oder – mit Blick auf die drohenden Reisekosten zum Gerichtsort – auf Schädigungsabsicht geschlossen wird, was die Annahme des Missbrauchs nahe legt (vgl. Kammergericht, Beschluss vom 25.01.2008, Az. 5 W 371/07).

8. Gegenabmahnungen als Retourkutsche

Der Abgemahnte darf zwar seinerseits Rechtsverstöße seines Abmahners abmahnen, jedoch nicht unter dem Leitmotiv der finanziellen Belastung des Gegners, des Entstehens eines Gegenanspruchs zur Aufrechnung oder der Einschüchterung (vgl. LG Münster, Urteil vom 16.06.2015, Az. 025 O 133/13). Auch die vorhergehenden Äußerungen des Abmahnenden (z.B. im Internet) bezüglich der Konkurrenzausschaltung durch Abmahnungen indizieren einen Rechtsmissbrauch.

9. Verhalten im Prozess

Rechtsmissbrauch wird angenommen, wenn der Unterlassungsgläubiger einen Deal anbietet (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 11.08.2016, Az. 3 U 56/15). Auf Rechtsmissbrauch wird geschlossen, wenn der Unterlassungsgläubiger weiter abmahnt, obwohl er bereits über einen vollstreckbaren Titel verfügt (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 11.08.2016, Az. 3 U 56/15). Rechtsmissbrauch wird schließlich indiziert, wenn der abmahnende Unternehmer sich mittellos stellt, um keine Prozesskosten tragen zu müssen, dies auch durch kollusives Zusammenwirken mit seinem Prozessbevollmächtigten (vgl. Kammergericht, Urteil vom 02.02.2018, Az. 5 U 110/16).

Indizienliste (aktuell 95 Indizien, wird laufend aktualisiert)

  1. Massenabmahnungen an sich reichen nicht für die Annahme von Rechtsmissbrauch aus. Anders verhält es sich, wenn weitere Indizien hinzukommen. Ausreichend ist, dass die sachfremden Ziele überwiegen (OLG Celle, Hinweisbeschluss vom 27.03.2017, Az. 13 U 199/16).
  2. Eine umfangreiche Abmahntätigkeit rechtfertigt die Annahme von Rechtsmissbrauch noch nicht, kann aber eines von mehreren ausschlaggebenden Indizien sein, die dafür sprechen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.03.2015, Az. I-20 U 187/14).
  3. 50 Abmahnungen innerhalb eines Jahres sowie 14 Eilverfahren vor dem Landgericht Hamburg bei Eigenkapital der Klägerin in Höhe von 34,77 Euro, einem Bonitätsindex von 600 (nach den Basel-Il-Kriterien gilt dies als Ausfall) und hohen Verbindlichkeiten, die den bilanziellen Aktiva entsprachen. Zur Zeit der Geltendmachung der Ansprüche hatte sich die wirtschaftliche Situation der Klägerin weiter verschlechtert mit einem Umsatzrückgang von 50%. Überdies hatte die Webseite der Klägerin schlechte Sichtbarkeit (LG Hamburg, Urteil vom 07.02.2017, Az. 312 O 144/16).
  4. 240 Abmahnungen innerhalb eines Jahres können ein Indiz für rechtsmissbräuchliches Vorgehen sein, insbesondere dann, wenn der Abmahnende nur vorbereitend und in einem sehr speziellen Segment im Wettbewerb zu den Abgemahnten steht (OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.09.2020, Az. 6 U 57/20).
  5. Bei massiver Abmahntätigkeit erzielte die Verfügungsklägerin einen Jahresüberschuss von circa 5.500 Euro (OLG Hamm, Urteil vom 15.09.2015, Az. 4 U 105/15).
  6. Ein finanzschwacher Mitbewerber spricht Abmahnungen in großer Zahl aus, so dass sich seine Abmahntätigkeit verselbständigt und in keinem vernünftigen Verhältnis zu seiner gewerblichen Tätigkeit steht (OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.04.2017, Az. I 15 U 34/16). Geringer Umsatz bei vermehrter Abmahntätigkeit gegenüber Mitbewerbern stellen ein wesentliches Indiz für Rechtsmissbrauch dar (LG Düsseldorf, Urteil vom 23.01.2020, Az. 14c O 21/19).
  7. Eine mit einem Stammkapital von ca. 1.000 Euro ausgestattete Unternehmergesellschaft mit prekären wirtschaftlichen Verhältnissen zum Zeitpunkt der Abmahnung und vermögenslosen Geschäftsführern setzte mehrere Abmahnverfahren wegen vermeintlicher Wettbewerbsverstöße in Gang (OLG Karlsruhe, Urteil vom 27.09.2017, Az. 6 U 10/16).
  8. Abmahnungen stehen in keinem Verhältnis zu der gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden (LG München I, Urteil vom 22.12.2014, Az. 4 HKO 8107/14).
  9. Der wirtschaftlich schwache Kläger bestreitet die Zahlen, die die Beklagte in der Klageerwiderung zu der Anzahl der Abmahnungen durch den Kläger vorgetragen hat (mindestens 192 Abmahnungen in einem Jahr) nicht substantiiert und trägt insbesondere auch nicht vor, in welchem Umfang er tatsächlich Abmahntätigkeit betrieben hat (LG München I, Urteil vom 22.12.2014, Az. 4 HKO 8107/14).
  10. Die Abmahntätigkeit hat sich in einem kurzen Zeitraum von drei Monaten verselbständigt, so dass kein vernünftiges Verhältnis zwischen der eigentlich wirtschaftlichen Tätigkeit des Abmahnenden und dem Aufwand der Abmahntätigkeit besteht (LG München II, Urteil vom 25.02.2016, Az. 2 HK O 3883/15).
  11. Deutschlandweit Abmahnungen von hunderten von Abnehmern, wobei sich allein schon zeitlich gar keine Möglichkeit ergab, in allen Fällen festzustellen, ob die Abgemahnten die inkriminierte Ware überhaupt im Sortiment hatten, so dass die Abmahnungen weitgehend „ins Blaue hinein“ erfolgten (LG München II, Urteil vom 25.02.2016, Az. 2 HK O 3883/15).
  12. Klägerin mahnt neben der Herstellerin des Produkts zunächst 50 Internethändler, sodann 203 Gesellschafter der H.-Zentrale und danach in massenhaftem Umfang Baumärkte ab. Dadurch entstanden der Klägerin Anwaltskosten in sechsstelliger Höhe, die sie wirtschaftlich überfordern könnten. Die Klägerin selbst hatte nur einen Jahresgewinn von rund 5.000 Euro erzielt. Dem mit der Vielzahl der Abmahnungen verbundenen großen Verfolgungsaufwand der Klägerin stand kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse an der Rechtsverfolgung gegenüber. Die Klägerin hat gegenüber den Beklagten ausschließlich das Angebot der beanstandeten Produkte in den Verkaufsräumen der Baumärkte beanstandet. Sie hat nicht geltend gemacht, dass die Baumärkte für diese Produkte in Print- oder Online-Medien geworben haben. Die beanstandeten Produkte der Klägerin wurden bereits seit mehr als zehn Jahren vor ihrer Abmahnaktion nicht mehr in den Baumärkten der H. -Gruppe vertrieben (BGH, Urteil vom 26.04.2018, Az. I ZR 249/16).
  13. Ein Unternehmer verschickt Abmahnungen so massiv, dass für ihn Anwaltskosten in sechsstelliger Höhe entstehen und das Prozessrisiko seine wirtschaftliche Existenz bedroht (BGH, Urteil vom 26.04.2018, Az. I ZR, 248/16 – Abmahnaktion II).
  14. Massenabmahnungen sind ein Indiz für rechtsmissbräuchliche Absichten, wenn ein Unternehmen bereits ein Jahr nach seiner Gründung mindestens 160 Abmahnungen verschickt (OLG Frankfurt, Urteil vom 24.05.2016, Az. 6 U 101/14).
  15. Ein Unternehmen, das noch keine nennenswerte Geschäftstätigkeit entfaltet hat, führt mehrere gegen verschiedene Produkte gerichtete Abmahnserien durch (OLG Frankfurt, Urteil vom 24.05.2016, Az. 6 U 101/14).
  16. Klägerin spricht kurz nach Erwerb einer Apotheke zahlreiche Abmahnungen wegen Verstößen gegen die Preisangabenverordnung aus (80 Abmahnungen innerhalb von zehn Monaten und danach 89 weitere Abmahnungen) und strengt nachfolgend 90 Gerichtsverfahren an. Bei den monierten Verstößen handelte es sich um einfach zu ermittelnde Wettbewerbsverstöße, die zudem durch entsprechende Ausdrucke des jeweiligen Internetangebots leicht zu belegen waren. Die abgemahnten Verstöße betrafen Waren aus dem Randsortiment der Apotheke der Klägerin (OLG Hamburg, Urteil vom 11.08.2016, Az. 3 U 56/15).
  17. Missbrauch ist anzunehmen, wenn bei objektiver Betrachtung an der Verfolgung bestimmter Wettbewerbsverstöße kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse außer dem Gebührenerzielungsinteresse bestehen kann (OLG München, Urteil vom 27.10.2016, Az. 29 U 1152/16).
  18. Gläubiger geht in dutzenden Fällen gegen Mitbewerber vor, obwohl er aufgrund des geringen Umfangs seiner eigenen gewerblichen Tätigkeit dafür nicht die erforderlichen finanziellen Mittel aufbringen kann, bereits mehrere Zahlungstitel gegen ihn vorliegen, aus denen erfolglos vollstreckt wird und der Kläger seine Prozessführung lediglich mit einem Fremdgeldkonto finanziert, das durch Vergleichszahlungen und Vertragsstrafen aufgefüllt sein muss, bevor neue Verfahren eingeleitet werden (OLG München, Urteil vom 03.09.2015, Az. 29 U 721/15).
  19. Dem Rechtsanwalt wird vom Mandanten eine Gebühreneinnahmequelle verschafft, indem im Namen des Mandanten in einer Vielzahl von Fällen wettbewerbsrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden; die Vermögensverhältnisse sind dabei so gestaltet, dass der Mandant tatsächlich kein Kostenrisiko trägt. Der Mandant hat sein Grundstück zugunsten seines Anwalts mit 100.000 Euro belastet, um seinen Gläubigern im Falle der Insolvenz seine Vermögenswerte zu entziehen und dem Unterlassungsschuldner selbst im Falle seines Obsiegens die Prozesskosten aufzubürden (Kammergericht, Urteil vom 02.02.2018, Az. 5 U 110/16).
  20. Kläger muss im Fall, dass er einen möglichen UWG-Gerichtsprozess nicht gewinnt, weder die Gerichtskosten noch den Anwalt bezahlen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.03.2016, Az. 6 W 21/16).
  21. Der mit der Abmahnung beauftragte Rechtsanwalt betreibt die Abmahnungen selbstständig (LG München I, Urteil vom 22.12.2014, Az. 4 HKO 8107/14).
  22. Rechtsanwalt und Onlinehändler kommen überein, dass der Rechtsanwalt eBay-Verkäufer wegen angeblicher Verschleierung ihrer Unternehmereigenschaft abmahnen soll. Es wurde von vornherein vereinbart, dass die anfallenden Rechtsanwaltsgebühren nicht verlangt werden; eventuell eingehende Gelder der Abgemahnten würden hälftig aufgeteilt. Eine über die Gebührenforderung hinausgehende Durchsetzung behaupteter wettbewerbsrechtlicher Ansprüche gegen die Abgemahnten war nicht beabsichtigt. Dann wurden an einem Tag insgesamt 377 Abmahnungen per Serienbrief ausgesprochen (BGH, Beschluss vom 08.02.2017, Az. 1 StR 483/16).
  23. Der Einwand, der Umfang der gerichtlichen Verfolgung von Wettbewerbsverstößen durch ein Unternehmen stehe außer Verhältnis zum Umfang der Geschäftstätigkeit dieses Unternehmens, begründet den Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Verhaltens grundsätzlich nur dann, wenn das Unternehmen mit seinem Anwalt in der Weise kollusiv zusammenwirkt, dass der Anwalt seinen Mandanten von den mit der Führung dieser Prozesse verbundenen Kostenrisiken freistellt. Als Indiz für eine solche Freistellung kann es angesehen werden, wenn zwischen diesen Kostenrisiken einerseits und den Umsätzen und Gewinnen des Unternehmens andererseits ein besonders krasses Missverhältnis besteht und das Unternehmen auch nicht nachvollziehbar erläutern kann, warum es diese Risiken gleichwohl eingeht (OLG Frankfurt, Urteil vom 12.03.2015, Az. 6 U 218/14).
  24. Ein objektives Missverhältnis zwischen dem Umfang der wettbewerbsrechtlichen Abmahn- und Verfolgungstätigkeit und dem Umfang der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens ist zwar ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne von § 8 IV UWG. Der Vorwurf, dass das Unternehmen in Wahrheit seinem Anwalt Gebührenerstattungsansprüche verschaffen will, setzt aber die weitere Feststellung voraus, dass der Anwalt seinen Mandanten im Innenverhältnis von den mit der Abmahn- und Verfolgungstätigkeit übernommenen Kostenrisiken freigestellt hat (OLG Frankfurt, Urteil vom 24.09.2015, Az. 6 U 60/15 – Drohkulisse).
  25. 16 Abmahnungen an einem Tag, wobei sich die in den Abmahnungen angegebenen Gegenstandswerte für die anwaltliche Tätigkeit zwischen 20.000 – 30.000. Euro bewegten In den nächsten 6 Tagen erhöhte sich die Zahl der ausgesprochenen Abmahnungen auf 43, ohne dass zu diesem Zeitpunkt bereits strafbewehrte Unterlassungserklärungen von Abgemahnten vorlagen. Innerhalb von ca. zwei Monaten ließ die Abmahnerin insgesamt deutlich mehr als 200 Abmahnungen (OLG Hamm, Urteil vom 15.09.2015, Az. 4 U 105/15).
  26. Die Durchführung der Besprechung an einem Feiertag, der E-Mail-Schriftwechsel zwischen der Verfügungsklägerin und ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten am Wochenende, die nicht nach einzelnen Anspruchsgegnern aufgeschlüsselte Vorschussrechnung und der Versand von insgesamt 43 Abmahnungen in einem Zeitraum von lediglich sieben Tagen, in dem vernünftigerweise nicht mit dem Eingang einer auch nur ansatzweise nennenswerten Anzahl strafbewehrter Unterlassungserklärungen gerechnet werden kann (OLG Hamm, Urteil vom 15.09.2015, Az. 4 U 105/15).
  27. Der Kläger tritt den Rechtsanwälten Zahlungsansprüche zur Sicherung ihrer Gebührenforderungen ab und lässt ihnen eine Grundschuld über 100.000 Euro an seinem Miteigentumsanteil an dem Grundstück eintragen, um die Vermögenswerte des Klägers dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen. Die Kostenerstattungsansprüche der zahlreich abgemahnten Mitbewerber könnten im Falle ihres Obsiegend mangels Masse nicht erfüllt werden (Kammergericht, Urteil vom 09.12.2016, Az. 5 U 163/15 und 5 W 27/16vorgeschobene Marktbereinigung II).
  28. Der Vorwurf, vorwiegend Aufwendungsersatzansprüche entstehen lassen zu wollen, setzt – da dem Antragsteller solche Ansprüche selbst nicht zustehen – den Vorwurf eines kollusiven Zusammenwirkens mit dem beauftragten Anwalt in der Weise voraus, dass der Anwalt zum Zwecke der Erzeugung eigener Gebührenansprüche seinen Mandanten vollständig oder zum größten Teil von den mit der Führung der Prozesse verbundenen Kostenrisiken freistellt, d.h. die Partei nur als “Strohmann” ihres Anwalts fungiert (OLG Frankfurt, Beschluss vom 04.02.2016, Az. 6 W 10/16).
  29. Der Anwalt stellt seinen Mandanten von Kostenrisiken frei. Im Zusammenwirken von Anwalt und Prozessfinanzierer wird dem Mandanten eine kostenfreie Verfolgung von Unterlassungsansprüchen angeboten, der Abmahner soll jedenfalls aus späteren Vertragsstrafen Gewinn erzielen, der Prozessfinanzierer und der von ihm vermittelte Anwalt arbeiten eng und fortlaufend zusammen und der Abmahner kennt die maßgeblichen Umstände. Es wird sogar vertreten, dass die Missbräuchlichkeit allein aus der Zusage des Finanzierers gegenüber dem Abmahner, den Anspruch kostenfrei zu verfolgen, geschlossen werden kann (LG Berlin, Urteil vom 20.09.2016, Az. 15 O 6/16).
  30. Einer Kostenfreistellung der Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigten steht eine Freistellung des Dienstes durch die Anwälte gleich, da dies letztlich wiederum der Klägerin zu Gute kommt. Solche Freistellung wird angenommen, denn eine Prozessfinanzierung bei Unterlassungsansprüchen ergibt keinen Sinn, weil es an einer Forderung, von deren Durchsetzung der Finanzierer profitieren könnte, mangelt. Daher muss die Einschaltung des Dienstes einen anderen Sinn haben. Es ist nicht ersichtlich, dass dies etwas anderes als die Verschleierung der Kostenfreistellung der Klägerin durch deren Anwälte sein könnte (LG Berlin, Urteil vom 20.09.2016, Az. 15 O 6/16).
  31. Die Klage eines Verbandes gegen einen Unternehmer wegen unlauteren Wettbewerbs wird von einem gewerblichen Prozessfinanzierer finanziert, so dass er kein Prozessrisiko trägt. Das gilt auch, wenn das Bundesamt für Justiz dem Prozessfinanzierungsvertrag zugestimmt hat, weil dem Gericht durch diese Zustimmung die Überprüfungskompetenz auf Rechtsmissbrauch nicht genommen wird (BGH, Urteil vom 13.09.2018, Az. I ZR 26/17).
  32. Der Anspruchsberechtigte verfolgt mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele, indem ihm die Gewinnerzielungsabsicht des Prozessfinanziers aufgrund personeller oder wirtschaftlicher Verflechtung mit dem Prozessfinanzierer zuzurechnen wäre (entgegen BGH v. 13.09.2018, Az. I ZR 26/17) (OLG Schleswig, Urteil vom 14.02.2019, Az.: 2 U 4/18).
  33. Es wird ein Prozessfinanzierer eingeschaltet, dem eine Vergütung in Form eines Anteils am abgeschöpften Gewinn zugesagt wird. Die Klagebefugnis des Berechtigten wird vom gewerblichen Prozessfinanzierer instrumentalisiert, um den Gewinnabschöpfungsprozess zur Einnahmenerzielung zu führen (in Anlehnung an BGH, Urteil vom 09.05.2019, Az. I ZR 205/17Prozessfinanzierer II) (OLG Düsseldorf, Urteil vom 04.07.2019, Az. 2 U 46/18).
  34. Kleinunternehmer spricht in 4,5 Monaten 14 wettbewerbsrechtliche Abmahnungen aus. Die Kleinunternehmerregelung des § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG betrifft nur Unternehmer, deren Umsatz im vorausgegangenen Kalenderjahr 17.500 Euro nicht überstieg und im laufenden Kalenderjahr 50.000 Euro voraussichtlich nicht übersteigen wird (OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.03.2015, Az. I-20 U 187/14).
  35. Anhand der eBay-Bewertungen des wirtschaftlich schwachen Abmahners ergibt sich, dass seine Verkäufe nur selten über 50 € erzielt haben. Es bestehe daher kein Anlass, hochpreisige Kopfhörer – die der Abgemahnte in seinem Online-Shop und bundesweit in den Filialgeschäften verkauft – in größerem Umfang zu berücksichtigen, da kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse des Abmahners an der Verfolgung der beanstandeten Wettbewerbsverstöße erkennbar war (Kammergericht, Urteil vom 09.12.2016, Az. 5 U 163/15 und 5 W 27/16vorgeschobene Marktbereinigung II).
  36. Den Unterlassungskläger kann auf Grund vorangegangener Beteiligung an rechtsmissbräuchlichen Abmahnungen eine sekundäre Darlegungslast im Rahmen des grundsätzlich durch den Beklagten nachzuweisenden Rechtsmissbrauchseinwands treffen, so dass er detailliert zum Umfang seiner Abmahntätigkeit vorzutragen hat (LG Köln, Urteil vom 23.09.2014, Az. 81 O 14/14).
  37. Der Unterlassungsgläubiger nimmt eine Dachorganisation auf Unterlassung der Verbreitung bestimmter Produkte in Anspruch und mahnt anschließend in gleicher Weise sämtliche Zwischenhändler der Dachorganisation ab (OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.04.2017, Az. I 15 U 34/16).
  38. Die Abmahnung von mehr als 200 Gesellschafterinnen der Dachgesellschaft ist als reine Formelei rechtsmissbräuchlich, wenn die gegenüber der Dachgesellschaft ausgesprochene Abmahnung fruchtlos geblieben ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.04.2017, Az. I 15 U 34/16).
  39. Innerhalb von weniger als zwei Jahren nach Gründung ließ die wirtschaftlich schwache Klägerin mindestens 160 Abmahnungen aussprechen. Sie ging sowohl gegen die Hersteller der Produkte vor als auch gegen die diese Produkte vertreibenden Apotheker (OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.01.2016, Az. I-20 U 25/15; OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.01.2016, Az. I-20 U 22/15).
  40. Ein Indiz für die Absicht, sich die Kostenerstattungs- oder Vertragsstrafeansprüche zu verschaffen oder sich in einem Vergleich mit dem jeweiligen Herstellerunternehmen Ansprüche „abkaufen“ zu lassen, kann sich insbesondere daraus ergeben, dass Abmahnungen auch gegen Händler ausgesprochen werden, die das beanstandete Produkt weder beworben noch vorrätig hatten, sondern erst durch einen Testkauf zur Lieferung veranlasst worden sind (OLG Frankfurt, Urteil vom 24.05.2016, Az. 6 U 101/14).
  41. Bei der getrennten Verfolgung kerngleicher Verletzungshandlungen legt die Klägerin nicht hinreichend dar, dass dafür ein hinreichendes schützenswertes Interesse besteht; dabei ist dem Abmahnenden ein für den Unterlassungsschuldner schonenderes Verhalten zumutbar (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.10.2015, Az. 20 U 200/14).
  42. Ein Verfügungsverfahren und ein Hauptsacheverfahren werden vom Unterlassungsgläubiger parallel betrieben ohne abzuwarten, ob der Unterlassungsschuldner die einstweilige Verfügung akzeptiert (OLG Koblenz, Beschluss vom 23.03.2017, Az. 9 W 324/16).
  43. Werden gleichlautende UWG-Unterlassungsansprüche durch mehrere Gläubiger parallel durch denselben Rechtsanwalt geltend gemacht, kann dies den Missbrauchsvorwurf grundsätzlich nur dann begründen, wenn diese Unternehmen konzernmäßig oder in anderer Weise derart miteinander verbunden sind, dass sie die Verfolgung der Ansprüche durch nur eines dieser Unternehmen zuverlässig untereinander abstimmen können. Etwas anderes kann gelten, wenn der Anwalt “sämtliche Fäden in der Hand hat”, d.h. die Mehrfachabmahnung aus eigener Initiative und in alleiniger Verantwortung losgelöst vom Willen der einzelnen Gläubiger koordiniert (OLG Frankfurt, Beschluss vom 01.12.2015, Az. 6 W 96/15).
  44. Eine gesonderte Abmahnung für sieben gleich gelagerten Rechtsverletzungen war aus prozessualen Gründen nicht erforderlich, denn im Zeitpunkt des Aussprechens der ersten Abmahnung waren die erforderlichen Beweissicherungsmaßnahmen für alle Verletzungshandlungen abgeschlossen. Bei der – unnötigerweise – gesonderten Geltendmachung von den sieben gleich gelagerten Rechtsverletzungen des Abgemahnten waren der Aufbau und die Struktur sowie – entscheidend – die vorgetragenen Gründen des rechtsverletzenden Verhaltens in allen sieben Abmahnungen nahezu gleich (LG Düsseldorf, Urteil vom 11.03.2015, Az. 12 O 461/14).
  45. Der Unterlassungsschuldner verschickt massenweise Abmahnungen, in denen systematisch deutlich überhöhte Abmahngebühren und überhöhte Vertragsstrafen verlangt werden (BGH, Urteil vom 03.03.2016, Az. I ZR 110/15).
  46. Rechtsmissbräuchlich ist eine Abmahnung, wenn erstens eine unangemessen hohe Vertragsstrafe für den Fall der Zuwiderhandlung droht, zweitens der Abmahnende als Anwalt Abmahnkosten seines Anwalts geltend macht, drittens wenn ein Erwiderungsschriftsatz auf die Abmahnung nicht dem Gericht vorgelegt wird, um sich eine Entscheidung zu Lasten des Abgemahnten zu erschleichen. Dies gilt erst Recht, wenn der Antragsteller beantragt hat, die einstweilige Verfügung ohne mündliche Verhandlung durchzuführen, obwohl diese gerade dazu dient, beide Positionen zu hören (LG München I, Urteil vom 14.03.2017, Az. 33 O 2806/17).
  47. Der Abmahnende versucht den Unterlassungsschuldner zu einer „Lösegeldzahlung“ zu veranlassen und als Gegenleistung die Fortsetzung des als unlauter erkannten Verhaltens zu dulden (OLG Frankfurt, Urteil vom 11.01.2018, Az. 6 U 150/17).
  48. Der Unterlassungsgläubiger vollstreckt aus einem Unterlassungsurteil nicht und nimmt die Rückrufverpflichtung nicht in Anspruch, stattdessen mahnt er weitere Anbieter der beanstandeten Produkte ab (OLG Köln, Urteil vom 10.02.2017, Az. 6 U 22/16).
  49. Die Klägerin forderte zunächst die Zentrale/Konzernmutter auf, binnen weniger als vier Tagen Unterlassungserklärungen sämtlicher Baumärkte beizubringen, was nicht realistisch war (LG München II, Urteil vom 25.02.2016, Az. 2 HK O 3883/15).
  50. Der Klägerin geht es darum, der Beklagten entscheidende Schläge zu versetzen, um ihre berufliche Existenz zu vernichten und ihrer persönlichen Existenz jedenfalls Schaden zuzufügen. Triebfeder der Klägerin sind nicht die Suche nach Schutz vor Wettbewerbsverletzungen oder der Schutz des Wettbewerbs im Allgemeinen, sondern persönliche Motive, die aus dem zerrütteten Verhältnis zu der Beklagten als Folge des intensiven Konkurrenzverhältnisses resultieren. Sinn und Zweck des Wettbewerbsrechtes ist nicht, einem Wettbewerber dabei zu helfen, einen anderen Wettbewerber auszuschalten (LG Münster, Urteil vom 16.06.2015, Az. 025 O 133/13).
  51. Im Impressum der Internetseite werden die Mitbewerber darauf hingewiesen, dass bei einer kostenpflichtigen wettbewerbsrechtlichen Abmahnung auch der Internetauftritt des Abmahnenden auf Rechtsfehler überprüft wird (LG Düsseldorf, Urteil vom 18.05.2017, Az. 37 O 82/16, Anmerkung RA Plutte: Diese Entscheidung ist zweifelhaft, da Gegenabmahnungen nach Erhalt einer Abmahnung grundsätzlich zulässig sind).
  52. Im Rahmen von Testkäufen bei einem Lotterieveranstalter wirkten die minderjährigen Testkäuferinnen aktiv darauf hin, das Annahmestellenpersonal über ihr Alter zu täuschen (OLG Stuttgart, Urteil vom 04.12.2014, Az. 2 U 158/12).
  53. Ein Unternehmen nimmt an einer „Kampagne“ zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen teil, deren Abwehr für den betroffenen Mitbewerber von „Aufwand und Nutzen völlig außer Verhältnis“ stehen soll, um diesen erklärtermaßen in einer anderweitigen gerichtlichen Auseinandersetzung zum Einlenken zu bewegen (OLG Köln, Urteil vom 21.08.2015, Az. 6 U 41/15).
  54. Der Verfügungsklägerin ging es bei Einleitung des Verfahrens in erster Linie darum, dieses als Druckmittel einzusetzen, um die Verfügungsbeklagte zu einem Einlenken in dem Verfahren vor dem BGH zu bewegen und die eigene Position für eine entsprechende Einigung zu stärken. Da die bisherigen Verständigungsversuche gescheitert waren, sah sich die Verfügungsklägerin dazu gezwungen, zu wettbewerbsrechtlichen Gegenschlägen anzusetzen. Ziel war, eine Entscheidung des BGH zu verhindern, indem zuvor eine Einigung mit der Verfügungsbeklagten erreicht wird (LG Bonn, Urteil vom 18.03.2015, Az. 1 O 46/15).
  55. Durch das Vorgehen des Abmahners sollte in erster Linie ein Druckmittel im Hinblick auf Vergleichsverhandlungen geschaffen werden. Es wird im Schreiben an die Abgemahnte ausdrücklich ausgeführt, die geplanten “Wellen” von Angriffen würden für die Antragsgegnerin von “Aufwand und Nutzen” her “völlig außer Verhältnis stehen, so dass ein Einlenken nicht unwahrscheinlich” sei. Die Motivation lag daran, durch eine Vielzahl wettbewerblicher Verfahren personelle und finanzielle Ressourcen der Antragsgegnerin zu belasten, um so wirtschaftlichen Druck auf sie auszuüben, um sie zum Verzicht auf wettbewerbsrechtliche Angriffe auf die Antragstellerin zu bewegen. “Das Ganze soll solange betrieben werden, bis [die Antragsgegnerin] einlenkt” (OLG Köln, Urteil vom 21.08.2015, Az. 6 U 41/15).
  56. Der Testkäufer bestätigte bei einem Kauf im Internet im Einklang mit einem objektiv verfolgten gewerblichen Geschäftszweck zunächst, die Bestellung als Unternehmer vorzunehmen, um anschließend zu versuchen, sich durch Eintragung im Online-Bestellformular als Verbraucher darzustellen. Der Testkauf war darauf angelegt, Vorsorgemaßnahmen zur Verhinderung eines Wettbewerbsverstoßes zu umgehen und dadurch einen Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung zu provozieren (BGH, Urteil vom 11.05.2017, Az. I ZR 60/16).
  57. Auf Bestellung des Geschäftsführers der Betreiberin eines Onlineshops für Nahrungsergänzungsmittel (Klägerin) beschaffte der beklagte Apothekenbetreiber eine Packung Arznei über den pharmazeutischen Großhandel und händigte aus. Die Klägerin machte demnächst geltend, die Beschriftung der Arznei sei irreführend und daher wettbewerbswidrig, und mahnte den Apothekenbetreiber ab (OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.01.2016, Az. I-20 U 25/15; OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.01.2016, Az. I-20 U 22/15).
  58. Systematisch überhöhte Abmahnkosten: Gegenstandswert von 30.000 Euro bei einem minimalen Angriffsfaktor, da der beklagte Apothekerbetreiber das Produkt nicht als Teil seines ständigen Sortiments aktiv beworben hatte, sondern lediglich auf Kundenwunsch der Klägerin bestellte (OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.01.2016, Az. I-20 U 25/15; OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.01.2016, Az. I-20 U 22/15).
  59. Ein überschuldeter Unterlassungsgläubiger tätigt bei seinem Unterlassungsschuldner nach der Abgabe der strafbewehrten Unterlassungsvereinbarung aufgrund fehlerhafter CE-Kennzeichnung noch im gleichen Monat sieben weitere Testkäufe und macht die Vertragsstrafe geltend (BGH, Urteil vom 14.02.2019, Az. I ZR 6/17).
  60. Es wird bei der Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände berücksichtigt, dass der Gläubiger in der Vergangenheit bei der Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen bereits massiv rechtsmissbräuchlich vorgegangen ist und die äußeren Umstände mit der jetzigen Rechtsverfolgung im Wesentlichen übereinstimmen (OLG Hamburg, Urteil vom 11.08.2016, Az. 3 U 56/15).
  61. Der Gläubiger macht die Kosten einer Abmahnung umgehend gerichtlich geltend, unternimmt hingegen nichts, um eine Vollstreckbarkeit einer notariellen Unterwerfungserklärung herbeizuführen (OLG Hamburg, Urteil vom 11.08.2016, Az. 3 U 56/15).
  62. Der Gläubiger bietet an, bestehende Unterlassungsansprüche gegen Zahlung eines entsprechenden Betrages aufzugeben (OLG Hamburg, Urteil vom 11.08.2016, Az. 3 U 56/15).
  63. Die Klägerin hat nichts unternommen, um eine Vollstreckbarkeit von drei verschiedenen notariellen “Unterlassungserklärung mit Zwangsvollstreckungsunterwerfung” der Beklagten herbeizuführen und erwirkte keinen Androhungsbeschluss nach §§ 890, 891 ZPO (OLG Hamburg, Urteil vom 11.08.2016, Az. 3 U 56/15).
  64. Den Grundsätzen von Treu und Glauben kann es widersprechen, wenn der Inhaber eines Kennzeichenrechts (zB. Marke, eingetragenes Design oder Geschmacksmuster) sich bei der Geltendmachung von Vertragsstrafenansprüchen auf eine nur formale Rechtsstellung beruft. Von einer missbräuchlichen Ausnutzung einer formalen Rechtsstellung ist auszugehen, wenn ein Markeninhaber (1) eine Vielzahl von Marken für unterschiedliche Waren oder Dienstleistungen anmeldet, (2) hinsichtlich der in Rede stehenden Marken keinen ernsthaften Benutzungswillen hat – vor allem zur Benutzung in einem eigenen Geschäftsbetrieb oder für dritte Unternehmen aufgrund eines bestehenden oder potentiellen konkreten Beratungskonzepts – und (3) die Marken im Wesentlichen zu dem Zweck gehortet werden, Dritte, die identische oder ähnliche Bezeichnungen verwenden, mit Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen zu überziehen (BGH, Urteil vom 23.10.2019, Az. I R ZR 46/19 – Da Vinci).
  65. Die Kanzlei des Abmahners lässt sich Forderungen des eigenen Mandanten aus Urheberrecht abtreten und betreibt das Abmahngeschäft “in eigener Regie”, um durch die Verfolgung von Rechtsverstößen Gebühreneinnahmen zu erzielen (vgl. BGH, Urteil vom 28.05.2020, Az. ZR 129/19).
  66. Ein wesentliches Indiz für Rechtsmissbrauch ist die Nichtvorlage einer Antwort auf eine Abmahnung und einer mit der Abmahnung vorgegebenen Unterlassungserklärung bei Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (OLG Brandenburg, Urteil vom 26.06.2020, Az. 6 U 119/19).
  67. Verschweigt Antragsteller im Rahmen des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung die Reaktion des Antragsgegners auf eine vorgerichtliche Abmahnung, begründet dies den Einwand des Rechtsmissbrauchs (BVerfG, Beschluss vom 03.12.2020, Az. 1 BvR 2575/20).
  68. Wird mit einem Eilantrag die Antwort des Antragsgegners auf die Abmahnung vorgelegt, ein weiterer telefonischer Kontakt zwischen den Parteien jedoch nicht mitgeteilt, reicht dies allein nicht für die Annahme von Rechtsmissbrauch aus (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.02.2019, Az. 6 W 9/19).
  69. Die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen ist missbräuchlich im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG aF, § 242 BGB, wenn der Antragsteller versucht, den Erlass einer einstweiligen Verfügung durch eine grobe Verletzung seiner prozessualen Wahrheitspflicht zu erschleichen. Das kann der Fall sein, wenn der Antragsteller seine Verpflichtung aus § 138 Abs. 1 ZPO, sich vollständig und wahrheitsgemäß zu erklären, dadurch verletzt, dass er lediglich vorträgt, der Antragsgegner habe auf Abmahnung keine Unterlassungserklärung abgegeben, und verschweigt, dass sich der Antragsgegner umfangreich dazu geäußert hat, weshalb die Abmahnung unberechtigt sei (OLG München, Urteil vom 08.06.2017, Az. 29 U 1210/17; gestützt durch BVerfG, Beschluss vom 30.09.2018, Az. 1 BvR 1783/17).
  70. Die Grenze zum Rechtsmissbrauch wird überschritten, wenn sich ein Rechtsanwalt Blankovollmachten ausstellen lässt und die eigenen Mandanten von jedem Kostenrisiko freistellt (LG Frankfurt, Urteil vom 13.02.2018, Az. 3-06 O 118/17).
  71. Der Kläger ging gegen den Beklagten wegen verschiedener Wettbewerbsverstöße zuerst in zwei getrennten einstweiligen Verfügungsverfahren und anschließend in zwei getrennten Hauptsacheklagen vor. Sowohl den Verfügungsverfahren (Kammergericht, Hinweis vom 28.08.2018, Az. 5 U 80/18) als auch den Hauptsacheklagen (Kammergericht, Urteil vom 22.12.2020, Az. 5 U 69/19 und Kammergericht, Urteil vom 22.12.2020, Az. 5 U 71/19, nicht rechtskräftig, Nichtzulassungsbeschwerde anhängig) stand Rechtsmissbrauch entgegen, weil der Kläger die Verfahren jeweils hätte zusammenfassen können. Mehr Informationen zu den Verfahren finden Sie bei den Kollegen von LHR Rechtsanwälte.
  72. Wer dem Schuldner anbietet, gegen Zahlung einer niedrigeren Summe auf einen gerichtlichen Ordnungsmittelantrag zu verzichten, verhält sich missbräuchlich (Kammergericht, Beschluss vom 17.12.2020, Az. 5 W 1038/20).
  73. Nach § 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG ist eine missbräuchliche Geltendmachung im Zweifel schon dann anzunehmen, wenn ein Mitbewerber den Gegenstandswert für eine Abmahnung unangemessen hoch ansetzt. Das gilt umso mehr, wenn wegen der Verletzung von Informationspflichten nach § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG Abmahnkosten geltend gemacht werden, obwohl diese schon dem Grunde nach nicht geschuldet werden (LG Dortmund, Beschluss vom 16.02.2021, Az. 10 O 10/21).
  74. Eine berechtigte Gegenabmahnung ist nicht deshalb rechtsmissbräuchlich, weil sie eine Reaktion auf die Abmahnung eines vergleichbaren Verstoßes ist (BGH, Urteil vom 21.01.2021, Az. I ZR 17/18Berechtigte Gegenabmahnung).
  75. Beauftragt ein fachfremder Rechtsanwalt (hier tätig im Bereich Schuldnerberatung) für die vorprozessuale Abmahnung einen im Wettbewerbsrecht erfahrenen Rechtsanwalt, indiziert dies wegen der diversen im Wettbewerbsrecht geltenden Besonderheiten nicht schon Rechtsmissbrauch. Gleiches gilt auch im Hinblick auf eine Verteidigung gegen eine wettbewerbsrechtliche Inanspruchnahme (OLG Hamburg, Hinweisbeschluss vom 03.02.2021, Az. 3 U 168/19Schuldnerberatung Köln).
  76. Ein überhöhter Streitwert im Rahmen einer Abmahnung führt nicht automatisch dazu, dass Rechtsmissbrauch im im Sinne von § 8c UWG vorliegt (OLG Celle, Beschluss vom 31.05.2021, 13 U 23/21).
  77. Wird beim Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung die Reaktion des Abgemahnten auf eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung unter Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO verschwiegen, handelt es sich um eine (versuchte) Titelerschleichung, die unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Indiz für Rechtsmissbrauch darstellt (LG Arnsberg, Urteil vom 24.06.2021, Az. I 8 O 17/21).
  78. 51 Abmahnungen innerhalb eines kurzen Zeitraums gegen diverse Konkurrenten wegen fehlender Öko-Zertifizierung mit hohen, aber nicht überhöhten Gegenstandswerten (anfangs 100.000 Euro, später 75.000 Euro, dann 50.000 Euro) und Vertragsstrafeforderungen (6.500 – 7.500 Euro) wurden nicht im Fall nicht als Missbrauchsindiz eingestuft. Ein Unternehmer müsse gegen alle Mitbewerber vorgehen können, die sich durch einen Rechtsverstoß einen spürbaren Wettbewerbsvorteil verschaffen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.05.2021, Az. 6 W 23/21; ebenso OLG Bamberg, Az. 3 W 41/21). Update: Entgegengesetzt entschied das Landgericht Osnabrück, welches Rechtsmissbrauch im Sinne von § 8c Abs. 2 Nr. 2 UWG bejahte. Verschicke ein Antragsteller mehrere gleichartige Abmahnungen und kläre er das Gericht hierüber nicht proaktiv in seinem Verfügungsantrag auf, verhalte er sich missbräuchlich (LG Osnabrück, Urteil vom 23.07.2021, Az. 14 O 366/20).
  79. Ist es dem Anspruchsberechtigten möglich und zumutbar, mehrere Wettbewerbsverstöße mit einem Klageantrag (oder einem Verfügungsantrag oder einer Abmahnung) geltend zu machen, so kann es zwar einen Missbrauch darstellen, wenn er ohne sachlichen Grund eine Aufspaltung vornimmt und mehrere Abmahnungen ausspricht oder Klagen neben- oder nacheinander erhebt (OLG Frankfurt, Beschluss vom 13.07.2021, Az. 6 W 43/21 mit Verweis auf BGH, Urteil vom 22.04.2009, Az. I ZR 14/070,00 Grundgebühr; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Feddersen UWG, 39. Aufl. 2021, § 8c Rn 28).
  80. Hat ein Kläger wegen eines Wettbewerbsverstoßes in einer ersten Klage Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche geltend gemacht, fehlt einer weiteren Klage vor einem anderen Gericht, mit der wegen desselben Verstoßes die Erstattung der Abmahnkosten verlangt wird, nicht das Rechtsschutzbedürfnis. In diesem Fall kann auch nicht von einer rechtsmissbräuchlichen Verfahrensspaltung ausgegangen werden, wenn nach den Gesamtumständen die nachträgliche Geltendmachung des Anspruchs auf Erstattung der Abmahnkosten vor einem anderen Gericht auf einem Versehen beruhte (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 27.03.2018, Az. 6 U 170/17).
  81. Die Grundsätze der “Novembermann”-Rechtsprechung des BGH sind auf das Lauterkeitsrecht übertragbar, so dass mehrere Abmahnungen, die im Wesentlichen gleiche Verletzungshandlungen betreffen, eine Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG darstellen können. Eine getrennte Forderung der Gebühren für jede der beiden unmittelbar nacheinander versandten Abmahnungen hat jedoch nicht zwingend einen Rechtsmissbrauch nach § 8c Abs. 2 Nr. 1 UWG zur Folge; vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen, die auch berücksichtigen kann, dass gerichtlich keine Aufspaltung der Rechtsverfolgung erfolgte (OLG Frankfurt, Beschluss vom 13.07.2021, Az. 6 W 43/21).
  82. Bei Amazon kann unter der Artikelbezeichnung eine “Marke” angezeigt werden. Diese Marke darf nicht dazu missbraucht werden, andere Händler vom Vertrieb des Artikels via Amazon abzuhalten. Ein solcher Missbrauch ist anzunehmen, wenn Mitbewerber wegen Markenverletzung abgemahnt werden, das Produkt aber gar nicht mit der “Marke” gekennzeichnet ist (vgl. OLG Köln, Urteil vom 26.03.2021, Az. 6 U 11/21 – American Food and Drinks). Hintergrund ist, dass Amazon für jeden Artikel eine ASIN vergibt. Andere Verkäufer desselben Produkts können und müssen sich an diese ASIN anhängen. Es ist nicht zulässig, für denselben Artikel mehrere ASINs zu vergeben. Durch die Kennzeichnung eines Artikels mit einer Pseudo-“Marke” blockiert man daher Mitbewerber in unlauterer Weise. Anders verhält es sich freilich, wenn tatsächlich eine registrierte Marke existiert, die auch auf dem Artikel angebracht ist.
  83. Verhält sich ein abmahnender Mitbewerber selbst wettbewerbswidrig, stellt der Einwand der “unclean hands” in Deutschland (anders als beispielsweise im US-Recht) kein Indiz für Rechtsmissbrauch dar, wenn der Verstoß – wie meist – zugleich die Interessen Dritter oder der Allgemeinheit berührt (vgl. LG Rostock, Urteil vom 24.11.2020, Az. 6 HK O 89/20). Etwas anderes gilt nur, wenn der Abmahner den Verstoß beim Abgemahnten verursacht hat (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 22.11.2018, Az. 4 U 73/18).
  84. In einstweiligen Verfügungsverfahren führt nicht nur das Vorenthalten der gegnerischen Reaktion auf eine außergerichtliche Abmahnung zum Vorwurf des Rechtsmissbrauchs, sondern auch das Vorenthalten von Schreiben des Antragsgegners, die während eines laufenden einseitigen Verfügungsverfahren, aber vor der Entscheidung des Gerichts eingehen und nicht dem Gericht vorgelegt werden. Derartige Schriftsätze der bislang nicht am Verfahren beteiligten Gegenseite müssen vom Antragsteller unaufgefordert und unverzüglich vorgelegt werden. Verstöße können nicht geheilt werden (vgl. OLG München, Urteil vom 05.08.2021, Az. 29 U 6406/20).
  85. Erlangt der Antragsteller nach Rechtshängigkeit des Verfügungsantrages wichtige Informationen vom Antragsgegner, ist das Unterlassen der Information des Gerichts hierüber aber jedenfalls dann nicht unter dem Gesichtspunkt der gezielten Gehörsvereitelung rechtsmissbräuchlich, wenn dem Antragsteller bekannt ist, dass das Verfahren zweiseitig geführt wird (OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.07.2023, Az. 6 W 50/23Urgo-Tül).
  86. Der getrennten Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen gegen Konzernschwestergesellschaften wegen einer Produktausstattung steht der Einwand des Rechtsmissbrauchs nicht entgegen, wenn durch die Vollziehung der einstweiligen Verfügung gegen eine Gesellschaft im Ausland ein sachlicher Grund für ein getrenntes Vorgehen vorliegt (OLG Frankfurt, Urteil vom 08.10.2021, Az. 6 W 83/21).
  87. Bei über 50 im wesentlichen gleichlautenden Abmahnungen in einem Zeitraum von ca. fünf Wochen wegen fehlender Bio-Zertifizierung wurde aus mehreren Gründen Rechtsmissbrauch angenommen (LG Osnabrück, Urteil vom 23.07.2021, Az. 14 O 366/20). Die Antragstellerin sei verpflichtet gewesen, im Verfügungsantrag darzulegen, dass sie mehrere gleichlautende/dem Sinn nach vergleichbare Abmahnungen in engem zeitlichen Zusammenhang getätigt hatte (erhebliche Anzahl von Abmahnungen im Sinne von § 8 c Abs. 2 Nr. 2 UWG). Das Fehlen dieser Information verletzte das Gebot des vollständigen und wahrheitsgemäßen Vortrages aus § 138 ZPO. Außerdem waren § 8 c Abs. 2 Nr. 4 und 5 UWG erfüllt (Vorgeschlagenes Vertragsstrafeversprechen: 10.000 Euro, Gegenstandswert der Unterlassung: 100.000 Euro).
  88. Die Verfolgung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche wegen verschiedener Werbemaßnahmen vor verschiedenen Gerichten ist nicht rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG aF bzw. § 8c UWG nF, wenn aufgrund sukzessiver, auf wettbewerbsrechtliche Beanstandungen zurückzuführender Veränderungen der Werbemaßnahmen durch den Mitbewerber die Zusammenfassung des Angriffs auf sämtliche Verletzungsformen in einem Verfahren der einstweiligen Verfügung wegen seiner Eilbedürftigkeit nicht möglich ist (BGH, Urteil vom 24.02.2019, Az. I ZR 200/17Das beste Netz).
  89. Die Forderung einer überhöhten Vertragsstrafe in Höhe von 10.000 Euro für einen Erstverstoß (§ 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG) unter Ausschluss der Einrede des Fortsetzungszusammenhangs in Kombination mit einem unangemessen hoch angesetzten Gegenstandswert von 100.000 Euro statt rund 10.000 Euro (§ 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG) und der unberechtigten Forderung von Verzugszinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz wurde in der Gesamtschau als Rechtsmissbrauch eingestuft (LG Traunstein, Urteil vom 23.09.2022, Az. 1 HK O 436/22). Erfüllt war im Fall zusätzlich das Regelbeispiel des § 8c Abs. 2 Nr. 5 UWG, da die vorgeschlagene Unterlassungserklärung offensichtlich über die Rechtsverletzung hinausging, indem eine Unterlassungsverpflichtung für sämtliche Produkte vorgeschlagen wurde statt nur für die betroffene Produktart. Die Widerklagte der Abgemahnten hatte dagegen Erfolg. Sie durfte Ersatz ihrer Verteidigungskosten vom Abmahner verlangen, u.a. auch, weil die Abmahnung zusätzlich zu den o.g. Aspekten Formfehler enthielt. So hatte der Abmahner nicht klar und verständlich über die Anspruchsvoraussetzungen des § 8 Abs. 3 UWG informiert. Danach muss der Abmahner ein Wettbewerbsverhältnis darlegen und vortragen, dass vergleichbare Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichen Maße und nicht nur gelegentlich vertrieben werden. In diesem Zuge müssen zwar keine konkreten Umsatzzahlen oder gar Steuerbescheinigungen vorgelegt werden. Der Abmahner muss aber zumindest in aussagekräftiger Form Größenkategorien seiner Verkaufszahlen angeben. Es reicht also nicht aus, die Mitbewerbereigenschaft bloß zu behaupten.
  90. Auch für die Verfolgung datenschutzrechtlicher Ansprüche kann auf die Wertungen von § 8c UWG zurückgegriffen werden. Danach ist der Versand von mindestens 217.540 Anschreiben über einen Zeitraum von fünf Wochen mit Zahlungsaufforderungen zu je 170 Euro rechtsmissbräuchlich, weil das Interesse an einer Einnahmeerzielung im Vordergrund steht. Wer sich den Unterlassungsanspruch durch Zahlung der obigen Summe abkaufen lässt, handelt ebenfalls rechtsmissbräuchlich (AG Ludwigsburg, Urteil vom 28.02.2023, Az. 8 C 1361/22).
  91. Beauftragt der spätere Abmahner seinen Rechtsanwalt damit, auf der Internetseite des Gegners eigenständig Wettbewerbsverstöße zu ermitteln, liegt darin kein maßgebliches Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten (OLG Nürnberg, Urteil vom 18.07.2023, Az. 3 U 1092/23), solange keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der Rechtsanwalt das Abmahngeschäft dahingehend in eigener Regie betreibt, dass die Rechtsverfolgung seinem Interesse an der Erzielung von Einnahmen aus der Abmahntätigkeit dient (vgl. OLG Nürnberg: Inbox-Werbung) oder dass der beauftragte Anwalt seinen Mandanten vom Kostenrisiko ganz oder teilweise freistellt (OLG Frankfurt, Urteil vom 12.03.2015, Az. 6 U 218/14Kopfhörer ohne CE-Kennzeichnung).
  92. Eine lediglich einmal geforderte, offensichtlich überhöhte Vertragsstrafe indiziert keine missbräuchliche Geltendmachung von Ansprüchen i.S.v. § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG. Bei der Annahme von Rechtsmissbrauch wegen überhöhter klägerischer Vorschläge für die gerichtliche Streitwertfestsetzung ist besondere Zurückhaltung geboten (OLG Nürnberg, Urteil vom 18.07.2023, Az. 3 U 1092/23).
  93. Für sich genommen reicht für die Annahme von Rechtsmissbrauch nicht, dass die in der Abmahnung geforderte Vertragsstrafe in mehrfacher Hinsicht übersetzt ist, da sich die Verfügungsbeklagte zur Zahlung einer Vertragsstrafe für jeden Fall der Zuwiderhandlung unter Ausschluss der Einrede der natürlichen Handlungseinheit verpflichten und im Fall von Dauerhandlungen, etwa durch eine Zuwiderhandlung im Internet, jede angefangene Woche der Zuwiderhandlung als einzelner Verstoß gelten sollte. Dieses Vorgehen kann nicht unter das Regelbeispiel des § 8c Abs. 2 Nr. 5 UWG subsumiert werden. Unter diese Nummer fällt der Vorschlag von Unterlassungsverpflichtungen, die deutlich über die geschuldete Verpflichtung zur Unterlassung hinausgehen und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Abgemahnte hiergegen verstößt. Der vom Regelbeispiel des § 8c Abs. 2 Nr. 5 UWG erfasste Missbrauchstatbestand betrifft daher solche Unterwerfungsverlangen, die im Vergleich zur abgemahnten Rechtsverletzung inhaltlich dahingehend zu weit gefasst sind, dass sie über die durch die begangene konkrete Verletzungshandlung begründete tatsächliche Vermutung der Wiederholungsgefahr in unvertretbarer Weise hinausgehen. Im vorliegenden Fall bezieht sich die geforderte Unterlassungserklärung auf die jeweils beanstandete konkrete Rechtsverletzung, was sich bereits daraus ergibt, dass dieser jeweils der Zusatz angefügt war „wenn dies geschieht wie in Anlage […]“. Dass die Verfügungsbeklagte auf die Einrede der natürlichen Handlungseinheit verzichten und bei Dauerhandlungen jede angefangene Woche der Zuwiderhandlung als einzelner Verstoß gelten sollte, betrifft nicht den Umfang der geschuldeten Unterlassung, sondern die aus einem Verstoß resultierende Rechtsfolge der Höhe der verwirkten Vertragsstrafe. Dies ergibt sich auch daraus, dass diese Folgen in einer nur die Strafbewehrung regelnden Ziffer 2. enthalten sind (OLG Nürnberg, Urteil vom 18.07.2023, Az. 3 U 1092/23).
  94. Wer eine einstweilige Verfügung beantragt, ohne die Antwort des Abgemahnten offenzulegen, vereitelt den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und handelt rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 8c Abs. 1 UWG, sodass der Verfügungsanspruch wegen Unzulässigkeit zu verwerfen ist (LG Karlsruhe, Beschluss vom 23.05.2023, Az. 15 O 29/23 KfH).
  95. Für die Rechtsmissbräuchlichkeit einer Unterlassungsklage spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob eine frühere Abmahnung missbräuchlich war (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.12.2023, Az. 3 U 2007/23).

Hinweis: Der ursprüngliche Beitrag wurde unter Mitwirkung unserer Referendarin Marina Shkolnikova erstellt. Er wird seither laufend überarbeitet und erweitert.

Autor: Niklas Plutte

Niklas Plutte ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz mit Sitz in Mainz. Folgen Sie ihm bei Twitter, Facebook und LinkedIn!

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Ich bin der Meinung, dass nicht nur rechtsmissbräuchliche Abmahnungen ein Problem darstellen. Meiner Meinung hängt die Abmahnschwelle in vielen Fällen viel zu tief, sodass viel zu oft und viel zu leichtfertig abgemahnt wird. Vielleicht verdeutlicht folgender bildhafter Vergleich, was ich meine:

    Man stelle sich vor, eine Person steht einer anderen Person versehentlich im Weg.
    Nach einem höflichen Hinweis tritt die vordere Person zur Seite, macht Platz und sagt Pardon.
    Damit ist die Sache zivilisiert aus der Welt geschaffen.

    Im deutschen Abmahnwesen scheint die gleiche Situation – bildlich gesprochen – eher so auszusehen:

    Wieder steht eine Person einer anderen Person versehentlich im Weg.
    Die hintere Person ärgert sich darüber sehr und spricht der vorderen Person eine Abmahnung aus.
    Hierfür benötigt die hintere Person einen Anwalt und stellt der vorderen Person die Abmahnkosten in Rechnung.
    Außerdem fordert die hintere Person Schmerzensgeld, da sie sich sehr beeinträchtigt fühlt.
    Zu guter Letzt fordert die hintere Person von der vorderen eine strafbewährte Unterlassungserklärung.
    Nie wieder darf die vordere Person ihr im Weg stehen, ansonsten wird eine hohe Strafe fällig.
    Die vordere Person sieht das ganze nicht ein und erhebt bei Gericht negative Feststellungsklage.
    Sie argumentiert, dass der Weg eigentlich breit genug für beide ist und dass sie gar nicht so sehr im Weg stand.
    Ihrer Meinung nach hat die hintere Person also gar kein Recht sie abzumahnen.
    Der Rechtsstreit beginnt erst jetzt so richtig Fahrt aufzunehmen.
    Damit ist die Sache noch lange nicht aus der Welt.

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