Bei markenrechtlichen Streitigkeiten kann es dazu kommen, dass Zweifel an der Berechtigung der geltend gemachten Ansprüche entstehen. In dieser Lage kann eine Abgrenzungsvereinbarung (auch Koexistenzvereinbarung, englisch Co-Existence-Agreement genannt) zielführender sein als eine gerichtlichen Klärung der Auseinandersetzung.
Beispiel: Zwei Marken sind für ähnliche Waren und Dienstleistungen registriert und ähneln sich in gewisser Weise, ohne dass eine Markenverletzung aus rechtlicher Sicht eindeutig bejaht oder ausgeschlossen werden kann.
Abgrenzungsvereinbarung als Alternative zu einer Klage
Die markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarung ist ein zivilrechtlicher Vertrag, mit dem eine Streitigkeit über eine Marke im Rahmen eines Nichtangriffspakts zwischen den Rechteinhabern beigelegt wird mit dem Ziel, ein Nebeneinander beider Kennzeichen zu erreichen. Dieses Ziel kann auch auf anderem Wege erreicht werden, etwa durch eine Markenlizenz oder einen Markenkaufvertrag. Je nach Fall können die Grenzen fließend sein. Maßgeblich ist der Inhalt des Vertrags, der ggf. durch Auslegung zu ermitteln ist, nicht die Bezeichnung des Vertragswerks (zur Abgrenzung zwischen Markenlizenzvertrag und Koexistenz- und Abgrenzungsvereinbarung siehe LG München, Urteil vom 11.10.2022, Az. 33 O 10784/21 Rdnr. 72 ff.).
Typischerweise enthalten Abgrenzungsvereinbarungen Absprachen zur Art und Weise der Markenbenutzung, z.B. zu einem teilweisen Verzicht der Markennutzung für einzelne Waren und Dienstleistungen oder Regelungen, wie eine Marke zu benutzen ist (Schriftart, Farbe, Größe etc.). Daneben enthält eine Abgrenzungsvereinbarung üblicherweise Regelungen zu den Folgen von Verstößen.
Häufig werden Abgrenzungsvereinbarungen außergerichtlich geschlossen, möglich ist ihr Abschluss aber auch im Rahmen eines laufenden Gerichtsverfahrens. Abgrenzungsvereinbarungen kommen insbesondere dann zum Einsatz, wenn zwischen zwei Marken möglicherweise Verwechslungsgefahr besteht und die Inhaber das Risiko eines teuren Prozesses scheuen. Eine Abgrenzungsvereinbarung ist dann kein Zeichen von Schwäche, sondern die rechtlich und wirtschaftlich vernünftigste Lösung.
Abgrenzungsvereinbarung ermöglicht flexible Lösungen
Eine Abgrenzungsvereinbarung schafft für die Beteiligten eine verbindliche Lösung, bei der es vor allem auf Praktikabilität ankommt. Regelmäßig (aber nicht zwingend) verzichtet die jüngere Marke dabei darauf, im Schutzbereich der älteren Marke geschäftlich tätig zu sein.
Da eine Abgrenzungsvereinbarung nur zwischen den vertragsschließenden Parteien Wirkung entfaltet, sollte ein Zusatz zur Fortgeltung gegenüber Rechtsnachfolgern in den Vertrag aufgenommen werden. Unabhängig davon ist der Inhalt einer Abgrenzungsvereinbarung frei verhandelbar. Mustertexte können als Grundlage der Abgrenzungsvereinbarung verwendet werden, sollten aber den Besonderheiten des jeweiligen Falls angepasst werden.
Achtung: Sofern vertraglich kein Kündigungsrecht eingeräumt wurde, ist eine markenrechtliche Koexistenz- und Abgrenzungsvereinbarung im Gegensatz zu einem Lizenzvertrag nicht ordentlich kündbar, da die Schutzdauer eingetragener Markenrechte durch einfache Gebührenzahlung unbegrenzt verlängert werden kann. Das berechtigte Bedürfnis nach einer Abgrenzung der Benutzungsbefugnisse für (tatsächlich oder vermeintlich) verwechslungsfähige Zeichen besteht deshalb ebenfalls regelmäßig zeitlich unbegrenzt, zumal wenn mit dem Abschluss der Koexistenz- bzw. Abgrenzungsvereinbarung eine endgültige Beilegung bestehender Meinungsverschiedenheiten beabsichtigt war, und die Parteien im Anschluss an diese Vereinbarung im Vertrauen auf deren Bestand vorhersehbar erhebliche Investitionen in ihren jeweiligen Markenaufbau getätigt haben (vgl. LG München, Urteil vom 11.10.2022, Az. 33 O 10784/21 m.w.N. zu Koexistenz- bzw. Abgrenzungsvereinbarungen).
Nachträgliche außerordentliche Kündigungen sind normalerweise ebenfalls ausgeschlossen, soweit nicht ausnahmsweise ein wichtiger Grund vorliegt (vgl. LG Braunschweig, Urteil vom 28.08.2013, Az. 9 O 2637/12). Hat sich die gekündigte Vertragspartei an ihre Pflichten gehalten, wird eine außerordentliche Kündigung regelmäßig ausscheiden (vgl. LG München, Urteil vom 11.10.2022, Az. 33 O 10784/21 Rdnr. 90 ff.).
Unsere Tipps zu Abgrenzungsvereinbarungen im Markenrecht
- Abgeschlossen werden kann eine Abgrenzungsvereinbarung in jedem Stadium einer Auseinandersetzung, sogar als „friedliche“ Alternative zum Versand einer Markenabmahnung, beispielsweise in Verbindung mit einer Berechtigungsanfrage.
- Abgrenzungsvereinbarungen können extreme wirtschaftliche Folgen mit sich bringen, z.B. ein faktisches Verkaufsverbot und damit eine Entwertung des Markenrechts. Ihr Inhalt sollte sehr sorgsam geprüft werden. Sofern kein ordentliches Kündigungsrecht in die Abgrenzungsvereinbarung aufgenommen wurde, gelten derartige Verträge grundsätzlich zeitlich unbegrenzt.
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