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Haftung eines Portals für beleidigende Nutzerkommentare

internet plattform recht

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Verurteilung eines estländischen Newsportals zur Zahlung von Schadenersatz wegen beleidigender Nutzerkommentare bestätigt, obwohl die Kommentare vom Portal nach Löschungsaufforderung umgehend entfernt worden waren.

Newsportal haftet für Beleidigungen trotz sofortiger Löschung

Dem Fall lag die Klage des Hauptanteilseigners eines estländischen Fährunternehmens gegen das Online-Newsportal Delfi.ee zugrunde, bei dem es sich um eine der populärsten Websites Estlands handelt. Delfi hatte zuvor über den Einsatz von Eisbrechern und deren negative Auswirkungen auf sog. “Eisstraßen” (gefrorene Wasserstraßen für Autos) zu einigen Inseln vor der estländischen Küste berichtet.

Die Berichterstattung führte zu knapp 200 Leserkommentaren gegen das Fährunternehmen und den Eigner, von denen etwa 20 beleidigenden Inhalt hatten. Obwohl Delfi die beleidigenden Kommentare nach Aufforderung durch die Fährgesellschaft umgehend löschte, die Kommentarregeln des Portals Beleidigung verboten und ein Textfilter zur Verhinderung obszöner Kommentare aktiv war, wurde das Newsportal von einem estländischen Gericht zur Zahlung von Schadenersatz in Höhe von umgerechnet 320,00 EUR verurteilt.

EGMR: Kein Verstoß gegen Meinungsfreiheit (Art. 10 EMRK)

Der EGMR bestätigte die Schadenersatzverurteilung mit Urteil vom 10.10.2013 (Az. 64569/09). Es habe sich bei den beleidigenden Kommentaren um schwerwiegende Rechtsverletzungen gehandelt, die direkte Inanspruchnahme der anonymen Nutzer sei gleichzeitig erheblich erschwert gewesen. Da dem Newsportal durch die Kommentare seiner Nutzer – auch der anonymen – wirtschaftliche Vorteile entstünden, sei es durch die geringe Schadenersatzzahlung von 320,00 EUR nicht übermäßig belastet.

Verstößt Haftung gegen EU-Recht?

Das Urteil ist mit Vorsicht zu genießen. Eine Vereinbarkeit der estländischen Entscheidung mit EU-Recht wurde vom EGMR nicht geprüft. Die Prüfung des EGMR erfolgte ausschließlich unter dem Aspekt, ob die estländische Verurteilung gegen die in Art. 10 EGMR geregelte Meinungsfreiheit verstößt, was abgelehnt wurde. Der Vorwurf des EGMR, das Newsportal habe nicht alles Notwendige getan, um Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch beleidigende Kommentare zu verhindern, ist allerdings fragwürdig. Angesichts des von Delfi implementierten Textfilters und der Beachtung des “Notice and Take Down”-Prinzips führt die Entscheidung faktisch auf eine Pflicht von Internetportalen zur vorgeschalteten redaktionellen Kontrolle von Leserkommentaren hinaus.

Diese Wertung steht jedoch im Widerspruch zur Haftungsprivilegierung des Art. 14 der E-Commerce-Richtlinie, worauf Rechtsanwalt Thomas Stadler zu Recht hinweist. Danach haftet der Betreiber eines Internetportals für rechtswidrige Beiträge seiner Nutzer nicht, wenn er diese nach Hinweis unverzüglich entfernt bzw. sperrt (vgl. auch die deutsche Privilegierung in § 10 TMG). Da Urteile des EGMR für deutsche Gerichte keine unmittelbare Bindungswirkung erzeugen, sondern gemäß Art. 46 Abs. 1 EMRK nur zwischen den Streitparteien wirken, bleibt abzuwarten, ob die Entscheidungsgrundsätze in Deutschland überhaupt praktische Relevanz erlangen.

Autor: Niklas Plutte

Niklas Plutte ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz mit Sitz in Mainz. Folgen Sie ihm bei Twitter, Facebook und LinkedIn!

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