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LG Karlsruhe: Keine UWG-Vertragsstrafe wegen Wayback Machine

wayback machine löschen

Wer wegen eines Wettbewerbsverstoßes auf seiner Internetseite eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgibt, schuldet keine Vertragsstrafe, wenn Altversionen der Internetseite noch in der Wayback Machine online bleiben (LG Karlsruhe, Urteil vom 16.02.2023, Az. 13 O 2/23 KfH).

Rechtsanwalt Niklas Plutte
Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz

rechtsanwalt oliver wolf

Rechtsanwalt Oliver Wolf, LL.M.
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

Wir sind spezialisierte Rechtsanwälte für Wettbewerbsrecht. Nutzen Sie unsere kostenfreie Ersteinschätzung. Hinweis: Die verklagte Agentur wurde von unserer Kanzlei durch Rechtsanwalt Oliver Wolf vertreten. Das Urteil ist rechtskräftig.

Vertragsstrafe wegen fehlender Bereinigung der Wayback Machine?

Im Zuge wettbewerbsrechtlicher Streitigkeiten wies eine Onlinemarketing-Agentur einen Konkurrenten auf mögliche wettbewerbswidrige Alterswerbung auf dessen Internetseite hin. Daraufhin entfernte der Konkurrent die angegriffene Werbung von seiner Internetseite, ließ den Google Cache löschen und gab eine vorbeugende strafbewehrte Unterlassungserklärung ab.

Die Unterlassungserklärung nahm die Onlinemarketing-Agentur erst circa 1,5 Jahre später an. Kurz darauf forderte sie die Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 7.500 Euro mit der Begründung, die beanstandete Alterswerbung sei nicht aus der Wayback Machine gelöscht worden, was tatsächlich nicht geschehen war.

Hintergrund: Bei der Wayback Machine handelt es sich um ein digitales Archiv des World Wide Web, das vom Internet Archive, einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in San Francisco gegründet wurde und seit 2001 unter https://archive.org/ öffentlich zugänglich ist. Es ermöglicht dem Besucher, „in der Zeit zurück zu gehen“ und zu sehen, wie Websites in der Vergangenheit ausgesehen haben.

Unterlassungserklärung kann nach Jahren angenommen werden

Das Landgericht Karlsruhe wies die nachfolgende Zahlungsklage jedoch ab. Die klagende Agentur habe keinen Anspruch auf Vertragsstrafenzahlung.

Zwar sei ein Unterlassungsvertrag zwischen den Parteien zustanden gekommen. Dass die vorbeugende strafbewehrte Unterlassungserklärung erst lange nach Erhalt ausdrücklich angenommen wurde, war unschädlich. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei einer auf Abschluss eines Unterlassungsvertrags gerichteten Unterlassungserklärung in der Regel davon auszugehen, dass der Schuldner sein Angebot unbefristet abgegeben hat mit der Folge, dass es vom Gläubiger jederzeit angenommen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 17.09.2009, Az. I ZR 217/07Testfundstelle).

Wayback Machine: Fehlende Löschung verletzt Unterlassungsvertrag nicht

Die verklagte Agentur habe aber nicht gegen ihre Pflichten aus dem Unterlassungsvertrag verstoßen.

„Es stellt keinen Verstoß gegen eine Unterlassungsverpflichtung dar, es nicht zu verhindern, dass alte Webseiten-Versionen mit der zu unterlassenden Werbung, die aus der Zeit vor Zustandekommen des Unterlassungsvertrags stammen, in einem von Dritten selbständig betriebenen Web-Archiv weiterhin auffindbar sind, welches von üblichen Internet-Suchmaschinen nicht durchsucht werden kann.“

Archiversionen in Wayback Machine keine geschäftliche Handlung

In ihrer Unterlassungserklärung hatte sich die angegriffene Agentur verpflichtet, nicht mehr „im geschäftlichen Verkehr“ mit der beanstandeten Äußerung „zu werben“. Die Auffindbarkeit der früheren, zu unterlassenden Werbung in der Wayback Machine fiel aus Sicht des Landgerichts aber nicht unter den Begriff der geschäftlichen Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG.

„Eine geschäftliche Handlung läge in der Unterlassung, bei der Wayback Machine eine Löschung zu erreichen, bzw. in der deswegen fortbestehenden Abrufbarkeit nur, wenn dieses Verhalten mit der Förderung des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen unmittelbar und objektiv zusammenhinge.“

Dies lehnte das Landgericht zu recht mit ausführlicher Begründung ab. Aus dem Urteil:

„An der Eignung, über den Einfluss auf geschäftliche Entscheidungen von Marktteilnehmern den Absatz der Dienstleistung der Beklagten positiv zu beeinflussen, fehlt es bei dem hier in Rede stehenden Verhalten. Die Nichtverhinderung der bloßen Abrufbarkeit der ursprünglichen Werbung unter den gegebenen Umständen stellt keine geschäftliche (Werbe-)Handlung dar. Maßgeblich ist dabei der Charakter der Wayback Machine als Archiv, das zudem nach unstreitig gebliebenem Vortrag keine eigene Suchfunktion aufweist und durch übliche Suchmaschinen nicht durchsucht werden kann. Es ist – was das internetaffine Gericht selbst beurteilen kann und darf – nach menschlichem Ermessen so gut wie ausgeschlossen, dass die Beklagte Kunden dadurch gewinnt, dass die (längst von der Homepage gelöschten und über Suchmaschinen unauffindbaren) alten Versionen ihrer Homepage zur Kenntnis und zum Anlass genommen werden, mit der Beklagten geschäftlich in Kontakt zu treten. Dabei kommt es nicht darauf, dass – wie anzunehmen ist – ein kleiner Teil der potentiellen Kunden der Beklagten die Wayback Machine kennen und gelegentlich nutzen mag. Entscheidend ist vielmehr, dass eine solche Nutzung kein denkbarer Kanal zur Absatzförderung ist.“

Ausdrücklich stellte das Landgericht fest, dass schon die bloße Auffindbarkeit früherer wettbewerbswidriger Werbung nicht hätte verboten werden können, so dass sich etwaige Beseitigungspflichten auch nicht auf die Wayback Machine erstrecken würden. Aus diesem Grund habe die verklagte Agentur auch nicht mit der Wayback Machine in Kontakt treten müssen, weil die bloße Auffindbarkeit einer dortigen Archivierung nicht den Charakter einer geschäftlichen Handlung der Agentur trage.

Das Handeln der Wayback Machine müsse sich die verklagte Agentur nicht zurechnen lassen, weil ihr die Archivierung und Vorhaltung veralteter Homepage-Versionen wirtschaftlich nicht zugute gekommen sei. Außer dem Anwalt der klagenden Agentur, der gezielt auf der Suche nach einer (vermeintlichen) Verletzung des Unterlassungsvertrags unter Nutzung seiner Fachkenntnisse die Wayback Machine im Netz aufgesucht und einen Stand der Homepage der verklagten Agentur zeitlich vor der Unterlassungserklärung angesteuert hatte, käme niemand auf die Idee, im Internet an dieser Stelle nachzuforschen und das Aufgefundene noch dazu als aktuelle Werbung zu interpretieren.

Kommentar von Rechtsanwalt Plutte

Die Entscheidung des Landgerichts überzeugt für das Wettbewerbsrecht. Sie lässt sich meiner Meinung nach auch auf das Markenrecht übertragen, da dort ebenfalls eine Handlung im geschäftlichen Verkehr Voraussetzung für das Vorliegen einer Markenverletzung ist.

Schwieriger gestaltet es sich im Urheberrecht. Ein Handeln im geschäftlichen Verkehr gehört nicht zum Tatbestand einer Urheberrechtsverletzung, was sich beispielsweise daran zeigt, dass illegales Filesharing von Privatpersonen über das Urheberrecht verfolgt werden kann. Im Urheberrecht wird es daher darauf ankommen, ob man die Auffindbarkeit von geschütztem Content wie Fotos oder Texten in der Wayback Machine als tatbestandsmäßige öffentliche Zugänglichmachung im Sinne von § 19a UrhG ansehen muss oder der Archivcharakter der Wayback Machine eine Sonderbehandlung rechtfertigt.

Update für das Urheberrecht: Das Oberlandesgericht Nürnberg entschied in Bezug auf in der Wayback Machine verbliebenen Content, dass eine Unterlassungserklärung regelmäßig dahingehend auszulegen sei, dass die darin enthaltene Verpflichtung, urheberrechtlich geschützte Werke nicht der Öffentlichkeit im Internet zugänglich zu machen, grundsätzlich nicht weiter reiche als die sich aus § 19a, § 15 Abs. 2 UrhG ergebenden gesetzlichen Vorgaben. Dies gelte auch für die Pflicht zur aktiven Beseitigung des Verletzungszustands einschließlich der Einwirkung auf Dritte. Eine Zuwiderhandlung des Unterlassungsschuldners gegen den Unterwerfungsvertrag setze daher in der Regel voraus, dass er weiterhin Dritten in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens Zugang zu dem geschützten Werk verschafft und mit seiner Wiedergabe auf eine unbestimmte Zahl möglicher Adressaten abziele. Eine andere Beurteilung sei nur dann veranlasst, wenn bestimmte Tatbestandsmerkmale der öffentlichen Wiedergabe offensichtlich der Interessenlage der Parteien des Unterwerfungsvertrags unter Berücksichtigung der diesem zugrundeliegenden Anlassverstößen widersprechen würden. In seiner lesenswerten Entscheidung verneinte das Gericht Vertragsstrafenansprüche (OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 19.02.2024, Az. 3 U 2291/23).

Tipp zur Wayback Machine: Websitebetreiber können die Wayback Machine über die robots.txt blocken. Relevante Besuche der Internetseite kann man über die Wayback Machine ohnehin nicht erwarten. Wenn Sie den folgenden Code in Ihre robots.txt Datei einfügen, stellt sich die Frage einer Bereinigungspflicht nicht mehr:

User-agent: ia_archiver
Disallow: /

Autor: Niklas Plutte

Niklas Plutte ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz mit Sitz in Mainz. Folgen Sie ihm bei Twitter, Facebook und LinkedIn!

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