SEO Verträge sind für Kunden schwer zu kündigen. Zeitweilige Abstürze der Sichtbarkeit rechtfertigen meist noch keine fristlose Kündigung (vgl. AG Neuss, Urteil vom 10.06.2020, Az. 101 C 176/19; LG Düsseldorf, Beschluss vom 16.09.2020, Az. 20 S 121/20).
SEO Vertrag Klassiker: Dienstvertrag oder Werkvertrag?
Viele SEO Agenturen sehen sich hohen Erwartungen ihrer Kunden ausgesetzt. Werden diese nicht erfüllt, stehen häufig Forderungen nach Minderung oder Schadensersatz im Raum.
Ob Kunden mit solchen Forderungen Erfolg haben, hängt maßgeblich davon ab, ob es sich bei dem zugrunde liegenden SEO Vertrag um einen Werkvertrag im Sinne von § 631 Abs. 1 BGB oder einen Dienstvertrag im Sinne von § 611 Abs. 1 BGB handelt. Eine Einstufung als Dienstvertrag ist für die Agentur günstig. In diesem Fall muss sie lediglich die versprochenen Tätigkeiten ausführen. Nur wenn sich die erbrachten Leistungen als völlig unbrauchbar erweisen, kommen Ansprüche der Kunden in Betracht. Anders sieht es bei einem Werkvertrag aus: Hier muss der vereinbarte Erfolg tatsächlich eintreten. Der “Erfolg” kann beispielsweise darin bestehen, dass das organische Ranking von bestimmten Webseiten für spezifische Keywords verbessert wird.
Wie ein SEO Vertrag rechtlich eingeordnet wird, hängt nicht davon ab, wie der Vertrag bezeichnet wird. Es kommt darauf an, welcher Vertragszweck vereinbart worden ist. Nach welchen Kriterien sich das richtet, wird am vorliegenden Fall deutlich.
Welche Ansprüche bestehen bei ausbleibendem SEO Erfolg?
Ein Rechtsanwalt beauftragte ein Unternehmen mit der Erbringung von SEO-Leistungen. Darüber wollte er erreichen, dass die Website seiner Kanzlei über Suchmaschinen wie Google gefunden wird. Er vereinbarte eine Vergütung in Höhe von 1.050 Euro pro Monat. Das Unternehmen sollte beispielsweise den Inhalt und die Navigation des Internetauftritts bearbeiten, nach Keywords recherchieren und Trafficanalysen durchführen. Die Maßnahmen wurden in vier Phasen eingeteilt. Es wurde ein monatlicher Zeitaufwand von 16 Stunden zur Pflege und Optimierung der Kanzleiwebsite vereinbart.
Der als „Angebot über SEO Service“ bezeichnete Vertrag sah eine Laufzeit von fast sieben Monaten vor. Obwohl das Unternehmen alle ausgemachten Tätigkeiten erbracht und sich die Sichtbarkeitswerte der Website nach kurzer Zeit verbessert hatten, zahlte der Kunde die Rechnungen nicht. Als die Sichtbarkeitswerte nach einigen Monaten deutlich abgestürzt waren, sperrte der Rechtsanwalt den Zugang zu seinem Internetauftritt und kündigte den SEO Vertrag „mit sofortiger Wirkung“ und verweigerte die Zahlung von Vergütung über insgesamt 4.200 Euro.
Stattdessen erklärte er die Aufrechnung mit einem angeblichen Anspruch auf Schadensersatz wegen Schlechterfüllung bzw. Nichterfüllung oder Unmöglichkeit, hilfsweise mit einem vermeintlichen Anspruch auf Minderung von 4.200 Euro.
Zur Begründung trug er vor, der Schwerpunkt des Vertrags habe in der Suchmaschinenoptimierung gelegen. Von daher handele es sich um einen Werkvertrag. Die Verbesserung der Sichtbarkeit der Website sei zwar eingetreten. Dies sei aber nur auf Presseberichte über den Kunden zurückzuführen. Der Absturz der Sichtbarkeitswerte habe ihn zur fristlosen Kündigung des SEO Vertrags berechtigt. Eine vorhergehende Abmahnung sei entbehrlich, weil eine Abhilfe mangels persönlicher Fähigkeiten unmöglich gewesen sei. Eine weitere Zusammenarbeit sei für ihn unzumutbar.
AG Neuss: SEO Agentur kann volle Zahlung verlangen
Das Amtsgericht Neuss verurteilte den Kunden zur Zahlung der offenen Vergütung in Höhe von 4.200 Euro. Bei dem vorliegenden SEO Vertrag habe es sich um einen Dienstvertrag im Sinne von § 611 Abs. 1 BGB gehandelt.
Das SEO Unternehmen habe hinsichtlich der Suchmaschinenoptimierung keinen Erfolg im Hinblick auf eine bestimmte Platzierung geschuldet. Es habe hierauf normalerweise keinen Einfluss, weil die Platzierung vom Verhalten Dritter abhängig sei. Darüber hinaus sei ihm der Algorithmus unbekannt, der den Sichtbarkeitswert einer Website bestimmt. Ferner spreche für einen Dienstvertrag, dass ein monatliches Pauschalhonorar vereinbart worden und genau festgelegt worden sei, welche konkreten Leistungen das Unternehmen im jeweiligen Monat zu erbringen habe.
Dass der SEO Vertrag auch werksvertragliche Leistungen in Form von Programmierungsarbeiten enthalte habe, spreche nicht gegen die Einordnung als Dienstvertrag. Bei typengemischten Verträgen sei maßgeblich, in welchem Bereich der Schwerpunkt liege (vgl. BGH, Urteil vom 12.01.2017, Az. III ZR 4/16; BGH, Urteil vom 15.03.2018, Az. III ZR 126/17). Hier habe der Schwerpunkt des Vertrags nicht auf Entwicklungsleistungen gelegen. Vielmehr sei maßgeblich, dass durch einen ausdifferenzierten Leistungskatalog die Internetseite der Kanzlei besser gefunden werden solle. Zumindest sei das angestrebt worden; das Programmieren diene dabei nur als Mittel zum Zweck.
Aussperrung der SEO Agentur war rechtswidrig
Die Vergütung müsse der Rechtsanwalt auch für die restliche Laufzeit des Vertrages nach Sperrung der Webseite bezahlen. Der Anspruch ergebe sich aus § 611 Abs. 1 BGB, § 615 Satz 1 BGB. Durch die ungerechtfertigte Sperre sei er in Annahmeverzug geraten (§ 615 Satz 1 BGB). Die fristlose Kündigung sei nicht wirksam gewesen sei (§ 626 BGB, § 314 BGB). Es könne offen bleiben, ob ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB vorlag, da der Rechtsanwalt zunächst eine Abmahnung hätte aussprechen müssen. Eine Abmahnung sei nach § 314 Abs. 2 Satz 3 BGB nur entbehrlich gewesen bei außergewöhnlichen Umständen. Solche Gründe seien hier nicht ersichtlich. Das einmalige Absinken der Sichtbarkeitsschwelle reiche nicht, denn hierauf habe das SEO Unternehmen gewöhnlich keinen Einfluss.
Keine Gegenansprüche des Kunden
Aus der Einordnung als Dienstvertrag ergebe sich, dass der Vergütungsanspruch des Unternehmens nicht durch Aufrechnung erloschen sei. Ein Anspruch auf Minderung scheide bei einem Dienstvertrag aus. Ebenso wenig komme mangels vertragswidrigen Verhaltens ein Anspruch des Kunden auf Schadensersatz nach § 628 Abs. 2 BGB in Betracht. Ein Anspruch wegen Schlechtleistung/Nichtleistung gemäß § 280 Abs. 1 BGB, § 281 Abs. 1 BGB scheide bereits deshalb aus, weil der Rechtsanwalt keine Frist zur Leistung oder Nacherfüllung gesetzt habe.
Berufung vor Landgericht Düsseldorf erfolglos
Der unterlegene Rechtsanwalt wollte sich mit der Entscheidung nicht abfinden und legte gegen das Urteil Berufung ein. Nachdem das Landgericht Düsseldorf per Hinweisbeschluss darauf aufmerksam gemacht hatte, dass es die als offensichtlich erfolglos ansah, nahm er die Berufung jedoch zurück (vgl. LG Düsseldorf, Beschluss vom 16.09.2020, Az. 20 S 121/20). Das Urteil des Amtsgerichts Neuss ist damit rechtskräftig.
Hinweis: Unsere Kanzlei hat den Kläger im Prozess vertreten.