Facebook ermöglicht es Dritten nicht nur, rechtsverletzende Beiträge von der Plattform entfernen zu lassen, sondern auch, unliebsame kritische Beiträge ohne Anhörung des Verfassers zu sperren. Für die Betroffenen ist effektiver Rechtsschutz Fehlanzeige. Stattdessen droht eine Beitragssperre bis hin zum Ausschluss von der Plattform.
Beitragslöschung bei „Problemen mit Geistigem Eigentum“
Heute morgen war es mir plötzlich nicht mehr möglich, mich über mein Smartphone bei Facebook einzuloggen. Der Einwahlversuch endete mit einem Sitzungsabbruch, in dem darauf verwiesen wurde, ich solle mich über einen regulären Webbrowser erneut bei der Plattform anmelden. Die Einwahl ergab, dass Florian Blischke, Geschäftsführer der Revolutive Systems GmbH, die Entfernung eines meiner Beiträge bei Facebook erwirkt hatte. Der Beitrag selbst enthielt einen Hinweis auf den Artikel „17 Anzeichen, an denen man eine „Massenabmahnung“ erkennt – am Beispiel der aktuellen Facebook-Abmahnung“ des Kollegen Arno Lampmann.
Interessanterweise begründete Facebook die Entfernung mir gegenüber damit, eine Drittpartei habe gemeldet, dass die von mir verlinkten Inhalte gegen ihre Urheberrechte verstoßen. Das sehe ich anders.
Urheberschutz von Anwaltsschriftsätzen
Anknüpfungspunkt für eine Urheberrechtsverletzung können nur die im Artikel beispielhaft abgebildeten Seiten eines Anwaltsschriftsatzes von Rechtsanwalt Hans-Werner Kallert aus der Abmahnwelle der ehemaligen Binary Services GmbH im Herbst 2012 sein. Grundvorausetzung für die Bejahung einer Urheberrechtsverletzung wäre aber, dass der Schriftsatz als persönliche geistige Schöpfung nach § 2 Abs. 2 UrhG und damit als urheberrechtlich geschütztes Werk zu beurteilen ist (BGH, Urteil vom 17.04.1986, Az. I ZR 213/83). Dazu führt der BGH im vorstehenden Urteil aus:
„Anwaltsschriftsätze sind grundsätzlich dem (rechts-) wissenschaftlichen und nicht dem literarischen Bereich zuzuordnen. Bei wissenschaftlichen Werken findet der erforderliche geistig-schöpferische Gehalt seinen Niederschlag und Ausdruck in erster Linie in der Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffs und nicht ohne weiteres auch – wie meist bei literarischen Werken – in der Gedankenformung und -führung des dargebotenen Inhalts. […] Die Frage, ob ein Schriftwerk einen hinreichenden schöpferischen Eigentümlichkeitsgrad besitzt, bemißt sich dabei nach dem geistig-schöpferischen Gesamteindruck der konkreten Gestaltung, und zwar im Gesamtvergleich gegenüber vorbestehenden Gestaltungen. Lassen sich nach Maßgabe des Gesamtvergleichs mit dem Vorbekannten schöpferische Eigenheiten feststellen, so sind diese der durchschnittlichen Gestaltertätigkeit gegenüberzustellen. Die Urheberrechtsschutzfähigkeit erfordert ein deutliches Überragen des Alltäglichen, des Handwerksmäßigen, der mechanisch-technischen Aneinanderreihung des Materials.“
Nach Meinung des Oberlandesgerichts München verletzt selbst die Veröffentlichung eines urheberrechtlich geschützten Anwaltsschreibens den Anwalt dann nicht in seiner freien Berufsausübung oder seinem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht, wenn ein sachlicher Grund zur Veröffentlichung besteht (OLG München, Beschluss vom 16.10.2007, Az. 29 W 2325/07).
Abgebildetes Abmahnschreiben unterliegt keinem Urheberschutz – Veröffentlichung jedenfalls sachlich gerechtfertigt
Vorliegend erreicht das Anwaltsschreiben von Rechtsanwalt Kallert bereits nicht die Schwelle der persönlichen geistigen Schöpfung. Selbst wenn dies der Fall wäre, läge ein sachlicher Grund für die Veröffentlichung vor.
Der im Artikel „17 Anzeichen, an denen man eine „Massenabmahnung“ erkennt – am Beispiel der aktuellen Facebook-Abmahnung“ abgebildete Anwaltsschriftftsatz enthält standartisierte Ausführungen, die in Inhalt und Struktur vollständig durch die Sache vorgegeben sind, d.h. die Aufforderung zur Unterlassung eines bestimmten Verhaltens sowie die Zahlung der gegnerischen Abmahnkosten. Damit unterscheidet sich die Abmahnung in urheberrechtlicher Sicht nicht von üblichen UWG-Abmahnungen anderer Rechtsanwälte. Ein deutliches Überragen des Alltäglichen kann in der Abmahnung auf keinen Fall gesehen werden.
Außergewöhnlich kreative, kunstvolle oder sonstwie ungewöhnliche Formulierungen, die zur Anerkennung von Schöpfungshöhe führen könnten, sind ebenfalls nicht erkennbar. Besonders sind die Abmahnungen nur aus wettbewerbsrechtlicher Perspektive im Hinblick auf die diversen Missbrauchsindizien, wie Arno Lampmann es zutreffend herausgearbeitet hat.
Selbst falls man entgegen der hier vertretenen Auffassung eine urheberrechtliche Schutzfähigkeit des Anwaltsschriftsatzes vertreten wollte, würde die große Zahl von mindestens 205 Empfängern nahezu inhaltsgleicher Impressumsabmahnungen bei Facebook in Verbindung mit den umfangreichen Missbrauchsanzeichen dazu führen, dass die öffentliche Abbildung im Internet gerechtfertigt wäre. Die Veröffentlichung dient hier nicht der Diffamierung der Abmahnerin oder ihres Rechtsanwalts, sondern der detaillierten Beschreibung und Auseinandersetzung mit den gehäuft auftretenden Missbrauchsindizien.
Defintiv falsch wäre darüber hinaus die Behauptung, dass die Veröffentlichung des Anwaltschriftsatzes Urheberrechte des Geschäftsführers der Abmahnerin verletzt. So verstehe ich aber den Facebook-Hinweis aber, wo es wörtlich heißt:
„Wir haben den Zugriff auf folgende Inhalte, die du auf Facebook gepostet hast, entfernt oder gesperrt, weil wir eine Meldung von einer Drittpartei erhalten haben, dass die Inhalte gegen ihre Urheberrechte verstoßen.“
Um es kurz zu machen: Der Artikel verletzt keine fremden Urheberrechte. Insbesondere stehen Florian Blischke als Geschäftsführer der Abmahnerin und Beschwerdeführer unter keinem rechtlichen Gesichtspunkte Urheberrechte an den Anwaltsschriftsätzen zu. Die Beanstandung ist schon aus diesem Grunde unbegründet. Unabhängig davon müsste auch sein Anwalt die Veröffentlichung der Abmahnung sowie die korrespondierende Berichterstattung durch RA Lampmann dulden. Folgerichtig kann mein Hinweis auf den Artikel keine Urheberrechte verletzen. Die Entfernung meines Postings erfolgte also zu Unrecht.
Facebook Prozedere ohne Rechtsschutzmöglichkeit
Bedauerlicherweise hat man als Betroffener weder vor noch nach Beitragsentfernung effektive Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Maßnahme, z.B. durch ein Recht zur Stellungnahme zum Verletzungsvorwurf. Facebook stellt den Nutzer vielmehr vor vollendete Tatsachen. Die Entfernung erfolgt ähnlich wie in einem einstweiligen Verfügungsverfahren ohne Anhörung des Gegners allein auf Grundlage des Vortrags des Beschwerdeführers.
Ich will nicht unterschlagen, dass Facebook darauf hinweist, dass die Entfernung bei Vorlage einer Einverständniserklärung durch den Beschwerdeführer rückgängig gemacht werden könne. Diese Möglichkeit ist bei näherer Betrachtung aber nur theoretischer Natur. Es ist unrealistisch zu glauben, dass sich ein Beschwerdeführer in der Praxis bereit erklären würde, einen eben erst erfolgreich gesperrten Beitrag wieder freizugeben. Bei streitigen Beiträgen gibt es für den Betroffenen somit zumindest gegenüber Facebook keine effektive Rechtsschutzmöglichkeit. Es handelt sich um ein einseitiges Verfahren, dass über den begrüßenswerten Ansatz, rechtsverletzende Beiträge schnell von der Plattform zu entfernen auch die Unterbindung zulässiger kritischer Berichterstattung ermöglicht.
Unbekannte Prüfkriterien und die Einschränkung der freien Berufsausübung
Völlig unklar bleibt, ob und ggf. durch wen Beschwerden bei Facebook intern überprüft werden und nach welchen Kriterien ggf. die Entfernung eines kritischen Beiträgs erfolgt. Mir ist eingängig, dass Facebook nicht jeden Einzelfall in gerichtsvergleichbarer Tiefe überprüfen kann. Die Einholung einer Stellungnahme vom Beschwerdegegner ist aber zumutbar und nötig – schließlich unterliegt auch das Posten von Facebookbeiträgen der Meinungsfreiheit des Artikel 5 Grundgesetz.
Wenn man wie ich regelmäßig kritische Beiträge über Abmahnungen und die dahinterstehenden Personen veröffentlicht, behindert diese Praxis außerdem zunehmend meine freie Berufsausübung (Artikel 12 Grundgesetz). So hatte ich vor einiger Zeit bereits einen ähnlichen Fall erlebt, in dem ein von mir bei Facebook geposteter Hinweis auf einen eigenen Artikel zu Abmahnungen wegen unerwünschter Werbeemails durch einen Odenwälder Rechtsanwalt entfernt worden war, wiederum ohne vor oder Entfernung meine Ansicht einzuholen.
Zuletzt: Die Entfernung eines einzelnen Beitrags mag im Einzelfall hinnehmbar sein. Sehr zweifelhaft wird das Prozedere aber, wenn man berücksichtigt, dass Facebook sogar damit drohte, mir im Wiederholungsfall die Möglichkeit zum Posten weiterer Beiträge auf meiner Anwaltsseite bei Facebook zu nehmen bzw. mich gar von der Plattform auszuschließen. Spätenstens falls dieser Fall eintreten sollte, müsste ich gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen.
Wir haben eine ausführliche Übersicht verfasst, wie man als Plattform mit Content-Beschwerden von Usern wegen Rechtsverletzungen auf der Plattform umgehen sollte.